Das Musée d’Orsay an der Seine war ein Bahnhof, was man noch an den großen Uhren an den Stirnseiten des Hauptschiffes sehen kann. Bevölkert ist diese Halle aber seit 40 Jahren von Skulpturen aus dem 19. Jahrhundert: antikisierende Bronzen und allegorische Marmorskulpturen wie Jean Joseph Perrauds "Désepoir" ("Verzweiflung"), ein in sich gekehrt Sitzender mit ausdruckslosem Gesicht.
In diesem Pariser Museum werden ewige Themen verhandelt und in Körpern ausgedrückt. Deshalb waren Michael Elmgreen und Ingar Dragset zunächst überrascht vom Vorschlag des damaligen Direktors Christophe Leribault, dem seit Februar das Schloss Versailles untersteht, hier eine Ausstellung zu machen. "Wir waren leere Räume gewohnt", scherzen die beiden, die zuletzt große Ausstellungen in Prag, in der Fondazione Prada in Mailand und im Centre Pompidou Metz hatten. "Aber hier war alles schon voll!" Andererseits seien sie es gewohnt, Gegenüber zu haben und Situationen zu spiegeln, schließlich arbeiteten sie seit den frühen 1990er-Jahren zu zweit.
Ein Plateau wurde eingezogen, und Elmgreen & Dragsets charakteristisch-lebensgroße weiße Figuren sind nun von unten daran montiert. Die Wirkung ist aus einigen Perspektiven erstaunlich, als habe sich der Raum invertiert. Diese Skulpturen tragen moderne Kleider, Turnschuhe, Kopfhörer und verwandeln so die Posen der Statuen aus der Sammlung in selbstverständliche Alltags-Haltungen. Sogar die Sockel wurden gespiegelt und profanisiert. So sitzt eine der Schöpfungen des Duos auf einer Waschmaschine.
Zartheit und Zurückhaltung
Es geht um Männlichkeitsbilder und Möglichkeiten der Zartheit und Zurückhaltung. Die hat Michael Elmgreen hier in der Skulpturenhalle früher schon gesehen. "Es war schon immer so", sagt er. Es habe immer andere Versionen von Männlichkeit gegeben, das lehre die Geschichte unter anderem an einem Ort wie diesem. Und das sollten auch jene sehen, die sich jetzt davor fürchten, dass die Rollen- und Geschlechterbilder sich veränderten und deswegen immer konservativer würden.
Zugleich sei es keineswegs einfacher geworden, als nonkonformes Kind aufzuwachsen. Die Figur des Jungen von heute, den sie in unterschiedlichsten Darstellungen verwenden, macht darauf aufmerksam. Im Zentrum der Halle steht eine persönliche Arbeit – ein kleiner Junge steht am Rande eines Sprungbretts und blickt aus mehreren Metern Höhe auf das Museum herunter. Diese Sekunde der Entscheidung: Ist man mutig genug, zu springen? Oder mutig genug, es nicht zu tun, vor allen anderen?
"Michael und ich sind wieder zurückgegangen", sagt Ingar Dragset. Dieses Monument des stillen Nonkonformismus, inmitten all der anderen Repräsentationen von Maskulinität, ist hier ein eleganter und berührender Eingriff. Am Ende der Halle steht dann noch eine tatsächliche Marmorskulptur, während die anderen zeitgenössischen Werke aus einem leichteren Material bestehen. Ein Junge mit VR-Maske, die leeren Hände vor sich haltend. Niemand weiß, was er erlebt.