Die Eröffnung des Museums Reinhard Ernst am Sonntag war ausverkauft. Doch auch nachdem die Besucherinnen und Besucher in 90-Minuten-Slots eingelassen wurden, war das Interesse größer als das Fassungsvermögen des beeindruckenden weißen Würfelbaus. Jetzt ist das Museum der Öffentlichkeit übergeben, und bereits um 10 Uhr morgens stehen Menschen an. Doch zur Besonderheit des Konzepts des Stifters zählt: Zwischen 10 und 12 Uhr morgens gehört das Museum Schulklassen und anderen Institutionen, erst ab 12 Uhr tritt die Allgemeinheit ein.
Der japanische Architekt und Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki hatte das monolithische weiße Gebäude geplant, entworfen und gebaut, leider verstarb er kurz vor der Eröffnung seines einzigen Museumsbaus in Europa. Die kongeniale Verbindung zwischen Sammler, Sammlung und Architekt aber bleibt.
Es ist eine Privatsammlung mit einem ausgeprägten Profil: Im Zentrum steht die Abstraktion. Damit ist das Museum Reinhard Ernst eines der wenigen Museen weltweit, das sich ausschließlich abstrakter Kunst widmet, über zeitliche und geografische Grenzen hinweg. Für Reinhard Ernst als Unternehmer waren vor allem Kontakte in die USA und nach Japan relevant, und so spiegelt es sich auch in seinem Bestand an Werken wider – und zwar in bekannten Positionen wie der Gutai-Gruppe, aber auch weniger prominenten Vertretern. Es wird hier an vielen Stellen mutig eine Augenhöhe ausprobiert, die voll aufgeht.
Die Farbe, die sich aus der Form befreit
Das Besondere ist, wie sich diese erste Ausstellung ohne allzuviel Überbau ganz von selbst erzählt. In einem elf Meter hohen Raum treffen zunächst die Farben aufeinander – ein gigantischer Morris Louis von 1960 wird gekontert von einer Arbeit von Sam Francis, die schon auf der Documenta zu sehen war ("Basel Mural III", 1956-1958) und von Helen Frankenthalers "One O’Clock" (1966). Es geht um die Farbe, wie sie sich erst aus der Form befreit, dann aus dem Format, und dann eigenständig im Raum besteht. Diese Nachvollziehbarkeit eines ganzen kunsthistorischen Prozesses anhand von wenigen ausgewählten Arbeiten herzustellen, ist der Kuratorin Lea Schäfer exzellent gelungen.
Auch der Sprung nach Japan ist gar nicht so weit, wenn man ihn kuratorisch so fein vorbereitet wie in einem Raum, in dem sich eine große, prächtige, schwarz-weiße Kalligrafie von Inoue Yuichi von zwei Gemälden Robert Motherwells einrahmen lässt. Im selben Raum hängt ein gewaltiger, 18-teiliger "Formation Stream" von Toshimitsu Imaï aus den 1970er-Jahren, glühendes Rot und Kohlschwarz lassen an Brennglasuren denken, ein kleineres Bild rechts daneben scheint den Faden mit Perlmuttglanz aufzunehmen. Und es sind solche tollen kleinen Überraschungen, dass dieses kleinere Werk von Katharina Grosse und aus der jüngeren Vergangenheit stammt.
Unorthodoxe Paarungen und Gegenüberstellungen jenseits von Chronologie oder Geografie machen hier richtig Spaß. Dabei ist wichtig zu sagen, dass die Werke keinesfalls nach "Look" sortiert wurden, sondern aus der Überzeugung heraus, dass diese Bilder sich über Zeit und Raum hinweg etwas zu sagen haben.
Die Begegnung tut ungeheuer gut
Eine ähnliche Überraschung gibt es in einem Raum, der die Gutai-Gruppe mit den Zero-Künstlern paart. Das ist schlüssig, beide suchten in der Aktivierung des Materials einen ganz neuen Ansatz. Doch dann hängt dazwischen eine der kameralosen Fotoarbeiten von Wolfgang Tillmans aus der Gegenwart, die sowohl mit den Stoffarbeiten von Gutai als auch mit den bildlichen Zersetzungsprozessen von Otto Piene produktiv in Verbindung tritt.
Die Sammlung ist die weltweit größte von Werken der abstrakten Malerin Helen Frankenthaler, die hier in einem größeren Zusammenhang gezeigt wird. Schön, wie ein frühes Werk von ihr neben einem von ihrem Lehrer Hans Hoffmann aus demselben Jahr präsentiert wird. Und wie man über den anderen großen Exilanten Josef Albers zu Kenneth Noland übergeleitet wird.
In einem angrenzenden Raum trifft Lee Krasner auf den Gegenwartskünstler Tal R., und man könnte sagen, dass ihnen beiden diese Begegnung ungeheuer gut tut. Denn sie holen aus dem jeweils anderen etwas Neues, Ungesehenes heraus.
Diese sanft ansteigende Welle
Dass Abstraktion eine vielschichtige, aber universelle Sprache ist, so lautet die These der Sammlung Reinhard Ernst, und das Museum ist zugleich der Beweis. Als Schlussakkord gibt es drei Werke von Frank Stella aus der "Moby-Dick"-Serie. Hier kommt die Malerei von der Wand in den Raum und legt noch mal an Dynamik und Intensität zu, was regelrecht beglückend ist, wenn man schon die ganze Zeit auf dieser sanft ansteigenden Welle, dem Wechsel von Gestischem und Systematischem geritten ist.
Das Museum Reinhard Ernst ist ein sorgfältig angelegter Speicher und Archiv für die Geschichte der abstrakten Malerei. Doch es ist auch eine Schatzkiste für alle, die heute arbeiten.