Mode und Olympia in Paris

Lasset die Spiele beginnen

Die Olympischen Spiele in Paris sollen die modischsten aller Zeiten werden. Einen Vorgeschmack auf die Liaison zwischen Sport und Fashion bekam man nun bei den Couture-Schauen. Das war manchmal gelungen und manchmal eher peinlich

Die Couture-Woche in Paris wurde von einem Event eingeläutet, das der hohen Schneiderkunst gefühlt nicht ferner hätte sein können: "Vogue World" ging in die dritte Runde, Anna Wintours neuer Spielplatz. Durch den rapiden Machtverlust der Printmedien greift die ewige "Vogue"-Chefin nach jedem sich bietenden Strohhalm, um den Einfluss und die Relevanz des Condé-Nast-Verlages und seines Streckenpferdes zu manifestieren. 

"Vogue World" ist eine Art Plattform, ähnlich der Met Gala, auf der Wintour Branchengrößen zusammenbringt, Geld für den guten Zweck einsammelt (dank des Verkaufs sehr teurer Tickets) und nebenbei auch Sponsorengelder nicht ausschlägt. Den Gästen bot sich auf der Place Vendôme ein Spektakel. Ganz so, als würde Wintour sagen wollen: Die exklusiven, wichtigen Modeevents, wie es sie einst gab, sind dank Influencertum und Runway-Livestreams sowieso vorbei; treiben wir es wenigstens auf die Spitze. 

In knapp einem Monat beginnen auch die Olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt - und durch die Luxusfirma LVMH als einen der Hauptsponsoren werden sie schon jetzt als die modischsten aller Zeiten gehandelt. Das aufdringliche "Vogue"-Event schien als inoffizielle Eröffnung zu sagen: Lasset die Spiele beginnen.

Die Verbindung zwischen Sport und Mode, schon verstanden

"Die Show war eine esoterische Geschichtsstunde über ein Jahrhundert französischer Mode, dargeboten von 151 Models und 70 Tänzern, begleitet von altgedienten Sportlern und französischen Jugendmannschaften, die jedem Jahrzehnt eine Disziplin zuordneten", schreibt der "Guardian". Sängerin Sabrina Carpenter beschritt den Runway in einem gestreiften Jacquemus-Look. Die Models Gigi Hadid und Kendall Jenner erreichten den Ort des Geschehens - oder Schreckens - auf den Rücken zweier Pferde. Die Tennisstars Serena und Venus Williams fungierten als Models. Die Verbindung zwischen Sport und Mode, schon verstanden. 

"Heutzutage braucht man ein kulturelles Ereignis, um echte Aufmerksamkeit zu erregen, nicht eine Machtdemonstration." So kommentiert die Autorin und Researcherin @quiestnina Wintours verwirrendes Familientreffen auf ihrem Instagram-Account. Kulturell relevant war die "Vogue World" sicher nicht. Sie markierte jedoch den Beginn einer modischen Reise durch das Thema Olympia, das sich auch durch einige Haute-Couture-Kollektionen ziehen sollte. Und das auf viel weniger laute Art und Weise. 

Mode spiegelt das Weltgeschehen und den Zeitgeist wider, Designer orientieren sich an dem, was um sie herum passiert, finden Inspiration in Ereignissen und Entwicklungen. Der Abwurf der Atombombe über Hiroshima beispielsweise prägte die japanischen Modedesigner extrem, sodass sie eine düsterere Anti-Fashion zur gängigen europäischen Mode entwarfen. Weltkriege, Punk, die Frauenbewegung - sie alle fanden ihren Weg von der Straße auf den Laufsteg, sei es als neue Silhouette, als Vivienne-Westwood-Kleid oder Mini-Rock.

Dior und Olympia 1924

Auch die Olympischen Spiele oder ein Film, der alle Tennis-fanatisch zurücklässt ("Challengers" von Luca Guadagnino) haben Einfluss auf das, was Designer in ihren Kollektionen verarbeiten. Mode und Sport, das muss nicht Leggings und Laibchen oder Kleider aus Fußballnetzen heißen. Je subtiler die Referenzen und feiner die Zitate, desto smarter und stimmiger oft die Kreationen.

Maria Grazia Chiuri etwa schaute in ihrer Haute-Couture-Kollektion für das Maison Dior auf das Paris der Olympischen Spiele vor 100 Jahren. Und damit auch auf den Kampf der Frauen, damals als Athletinnen ernst genommen zu werden. "Das Tanktop ist das neue Korsett", ließ Chiuri vor der Show verlauten. 

Und tatsächlich tauchte das Oberteil als Couture-Version aus Edelsteinen, mit Mosaik-Spiegeln besetzt oder aus transparentem goldenem Netz auf. Inspiriert von einer Epoche um 1924 herum, in der in Paris das limitierende, schmerzhafte Korsett langsam weiten, weichen Silhouetten wich, orientierte sich Chiuri an damals innovativen Designern. Madame Grès und Jean Patou erkennt man in den weiten, drapierten, die Körper umspielenden Kleidern. Den griechischen Peplos interpretierte die Modedesignerin in Jersey-Stoffen: das erste Mal, dass dieses legere Material in Diors Couture-Kollektion vorkommen sollte.

Sportlich-schicke Balance

Chiuri widmete sich dieser Saison der Aufgabe, hohe Schneiderkunst und Bequemlichkeit zu verbinden. Frauen sollen die magischsten Roben tragen können, ohne in ihnen zum Stillstand gezwungen zu sein. Und es gelang ihr. Anders als etwa Demna Gvasalia, der in seiner Couture-Kollektion für Balenciaga seine gängigen Streetwear-Silhouetten wieder aufnahm und enttäuschte, schaffte Chiuri eine sportlich-schicke Balance. 

"Wellness, Komfort und Schönheit - ich denke, diese drei Elemente sind in unserer Arbeit sehr wichtig. Aber manchmal ist die Mode mehr von der Silhouette oder der Konstruktion besessen als vom Material. Ich möchte Kleidung entwerfen, in der sich der Körper wohlfühlt und frei bewegen kann," erklärte sie "Vogue Runway". Ihre Entwürfe in Gold, Silber und Bronze, die edlen Faltenwürfe und eine luxuriöse Schlichtheit verwandelten die Models in griechische Göttinnen. Stark, frei und auf dem Siegertreppchen.

Wie bei jeder ihrer Kollektionen ließ Chiuri ihren feministischen Ansatz über die Kleider hinauswachsen und griff für das Bühnenbild auf Werke von Faith Ringgold zurück. Die Bilder der im April verstorbenen Künstlerin rahmten ihre Kleider ein, von Anfang bis Ende. Schon der temporäre Dior-Pavillon, in dem die Show stattfand, war mit Ringgolds Werk "Woman Freedom Now" tapeziert. Innerhalb des Raums säumten gestickte Mosaike den Laufsteg, angelehnt an die Arbeiten, die Ringgold für die Stationen der Untergrundbahn von Los Angeles entworfen hatte. Die hier porträtierten Personen bedienten das Olympia-Fieber, da sie sportlichen Aktivitäten nachgingen – Joggen, Surfen, Fußballspielen. 

Die Olympischen Spiele der Mode

Diese Freude an Bewegung fand sich auch Thom Browne wieder. Der Designer zeigte seine zweite Haute-Couture-Kollektion und setzte sich mit einem Material auseinander, das Modedesign-Studenten nur zu gut kennen: Musselin. Der off-weiße Baumwollstoff wird normalerweise genutzt, um an Entwürfen zu arbeiten, bevor die Stücke aus dem eigentlichen Material gefertigt werden. Die Rohversion also, der erste Versuch. 

Brown machte diesen Stoff zu seinem Hauptdarsteller, erschuf gewagte Silhouetten und bearbeitete das Textil, sodass es von basic zu Haute Couture aufstieg. Musselin wurde zu neuem Garn gesponnen und zu einem Cardigan verstrickt, mit Perlen besetzt, verbunden mit weiteren "niederen" Stoffen, zu Tweed verarbeitet und zu Tütüs. Elegante Lagen-Looks mit Anzugjacken und Faltenröcken, Kleider mit Meerjungfrauen-Rock und geschichtete Futter-Materialien ergaben Kreationen, die Aufmerksamkeit und lange Betrachtung forderten, um alle Elemente ausfindig machen zu können. 

Gerade die Accessoires und Details deuteten in der Karawane aus Eierschale auf die Olympischen Spiele hin. Ein roter Sport-Bikini, aufgemalt auf ein weißes Shiftkleid, eine dunkle Badehose auf einem wadenlangen Rock. Weiße Schnürstiefel aus Musselin protzten mit goldenen Stollen als Sohle. Die Ferse steht in der Luft, doch es fehlt der Absatz – ganz so sieht ein Fuß eines Läufers aus, bevor er lossprintet. 

Muskeln sind das wichtigste Kleid

Die Hälfte einer Couture-Robe war mit dem menschlichen Muskelgerüst in Rot bestickt worden – letztlich sind die Muskeln das wichtigste Kleid, um in sportlichen Disziplinen zu bestehen. Die drei finalen Blazer hielt Browne medaillengleich in Bronze, Silber und Gold und paarte sie mit Falten-Mini und Schlips.

Thom Browne nannte die Haute Couture die "Olympischen Spiele der Mode". Die besten treten gegeneinander an, es geht um akkurate Ausführung, Perfektion, das Aushängeschild eines Hauses oder Landes. Ein großer Moment, in dem nach jahrelangem Training das Kunststück vorgeführt wird. Oder in Brownes Fall ein goldenes Kostüm, für dessen Perlenstickerei 42 Personen 11.000 Stunden arbeiteten. Ein bisschen extrem, vielleicht übertrieben, aber doch so schön anzusehen. 

Kollektion von Thom Browne bei den "Haute Couture Herbst-Winter 2024-2025"-Schauen in Paris
Foto: dpa

Kollektion von Thom Browne bei den "Haute Couture Herbst-Winter 2024-2025"-Schauen in Paris