Die Jaffa-Orange ist nicht nur agrarhistorisch ein Erfolgsprodukt. Seit dem 19. Jahrhundert wurde sie rund um die gleichnamige historische Hafenstadt angebaut, seit den 1920er-Jahren blühte der Export nach Europa. Süß und fast kernlos, wurde sie mit ihrem griffigen Namen zur brand. Eine Markenfrucht, Produkt einer stabilen Beziehung zwischen jüdischen und arabischen Landwirten und Exporteuren sowie Folge des besonderen Klimas.
Weiter nördlich erfand man als Winterquartiere für die wärmeliebenden Obstbäume schon im 15. Jahrhundert die Orangerien, in denen Fürsten ihre repräsentativen Zitruspflanzen mit Kachelöfen über den Winter brachten. Die Gewächshäuser sind heute noch Bestandteil mancher Parks.
Ben Livne Weitzman steht im Grüneburgpark auf einer Anhöhe und erzählt, dass er sein aktuelles kuratorisches Projekt "The Orangerie" absichtlich kaum angekündigt hat. Als es im Herbst startete, war die Stimmung zu aufgeheizt für die Bekanntmachung einer Gruppenausstellung, in der israelische und palästinensische Künstlerinnen und Künstler gemeinsam vertreten sind. Ein deutsches Phänomen, wie der Kurator, der an der Städelschule und der Goethe-Universität studiert hat, nebenbei bedauernd anmerkt. Selbst in Israel, inmitten des Krieges, stellten israelische und palästinensische Künstlerinnen und Künstler zusammen aus.
Bewegtbild im realen Umfeld
Im Süden sieht man die Türme der Deutschen Bank, im Norden grenzt die Grünfläche der Bundesbankzentrale an. Auf den breiten, gepflegten Wegen des größten Frankfurter Parks sind Jogger und Hundehalter unterwegs, nachmittags Kinder auf Fahrrädern. Die Anhöhe war einmal das Fundament eines Wohnhauses der Familie Rothschild. Ein dunkler Obelisk erinnert seit 1968 an die Enteignung und Zerstörung durch die Nationalsozialisten. Eine Rosen-Anlage empfindet den Grundriss des Hauses nach. Wenn man es weiß, sieht man es. Sonst nicht. Genau wie die Kunstausstellung "The Orangerie", die hier mit Werken von Yael Bartana, Hinda Weiss, Muhammad Toukhy und Raafat Hattab entstanden ist.
Ben Livne Weitzman entwickelt seit zwei Jahren Ausstellungen im öffentlichen Raum, bei denen die Kunstwerke als Augmented Reality präsent sind. Das von ihm mitgegründete gemeinnützige Unternehmen Wava macht sie per App auf mobilen Endgeräten sichtbar. Dabei sind die Werke ortsspezifisch angelegt und verschränken sich auf dem Tablet oder Mobiltelefon als Bewegtbild mit dem realen Umfeld.
Hinda Weiss, eine in Brooklyn lebende Künstlerin, hat für ihren Film "Frankfurt Notes" an einigen weniger bekannten Gedenkstätten für jüdisches Leben in der Stadt gedreht. Ihre Videocollage wird scherenschnitthaft gerahmt von den Zweigen und Vögeln des Grüneburgparks, zu Ornament geworden wie die Zierbeete, die das zerstörte Anwesen nachzeichnen, auf dessen Grund man sich hier befindet.
Raafat Hattabs Beitrag beginnt mit Nahaufnahmen von der Pflege eines Olivenbaums auf rötlichem Sand, der gewässert und versorgt wird – ein Symbol für Ursprünglichkeit und Verwurzeltsein. Doch allmählich gibt die Kamera mehr vom Umfeld preis, das sich als hektisch urban erweist. Denn der Baum steht auf dem Yitzhak-Rabin-Platz inmitten des Verkehrs von Tel Aviv.
Yael Bartana, die 2024 den deutschen Pavillon in Venedig bespielte, zeigt in ihrem Film "Trembling Time" hier einen Moment des Innehaltens im dichten israelischen Straßenverkehr. Von einer Brücke aus auf die fahrenden Autos herab gefilmt, zeigt sie in Überblendungen, in Zeitlupe und Wiederholungen den Moment, als eine Gedenksirene ertönt und plötzlich alles stillsteht.
Die Menschen steigen auf der mehrspurigen Straße aus ihren Autos aus und sehen hoch wie zu einer geisterhaften Erscheinung, der gespensterhaften Allgegenwart des kollektiven Traumas. "Trembling Time" stammt aus dem Jahr 2001. Das Werk war hier in Frankfurt schon einmal zu sehen, zur Manifesta 4 vor mehr als 20 Jahren.
Gleichzeitigkeit, Überlagerung und hybride Medien
Muhammad Toukhy, der 1999 in Jaffa geboren wurde, zeigt in "Epiphanie" den palästinensischen Brauch, an Pfingsten einem ins Wasser geworfenen Kreuz hinterher zu tauchen, um besonderen Segen zu empfangen. Toukhy bearbeitete dazu Archivmaterial, das an die Ästhetik des Neorealismus erinnert. Die Dokumentation dieses kuriosen und zugleich anmutigen orthodoxen Brauchs lässt sich nur entschlüsseln, wenn man über die nach Westen ausgerichtete Peterskirche und die außergewöhnliche Zusammensetzung der Bevölkerung von Jaffa Bescheid weiß, insbesondere der dort lebenden Palästinenser. Doch auch dann löst sich die Komplexität nicht auf, im Gegenteil.
Den kleinen Parcours mit seinen vier Stationen schreitet man in einer kurzen Parkrunde schnell ab, aber die Werke greifen von hier aus historisch und geografisch weit aus. Man versteht sofort, dass das Ausstellungserlebnis ganz anders ist als etwa in einem kuratierten Skulpturenpark.
Die Gleichzeitigkeit, die Überlagerung von Themen, Zeiten und Betrachtungsweisen haben in dieser hybriden, digitalen Form ein perfektes Medium gefunden, gerade in seiner Immaterialität. Eine Orangerie ist ein Glashaus, das Schutz bietet, und das selbst des Schutzes bedarf.