Vorwürfe der Verharmlosung von Kinderpornografie

Was hinter dem Shitstorm gegen Balenciaga steckt

Demna
Foto: Kehring Group

Demna, Artistic Director von Balenciaga

Zwei Balenciaga-Kampagnen, die mit der Sexualisierung von Kindern in Verbindung gebracht werden, haben große Empörung ausgelöst. Nun hat das Modeunternehmen juristische Schritte gegen eine Kreativagentur eingeleitet

Zwei verschiedene Werbeserien des Modehauses Balenciaga stürzen das Unternehmen, das Teil der Kering-Gruppe ist, in Schwierigkeiten. Kritiker sehen in beiden Kampagnen einen Versuch der Verharmlosung oder gar der Beförderung von Sexualisierung von Kindern. Das Unternehmen zog die Werbung zurück, löschte die entsprechenden Instagram-Posts und kündigte an, gegen die verantwortlichen Kreativen zu klagen.

Zum einen geht es um eine Weihnachtskampagne, die vor allem die aktuellen Accessoires von Balenciaga bewirbt. Konzeptionell ist sie angelehnt an das künstlerisch-dokumentarische Projekt "Toy Stories" des Fotografen Gabriele Galimberti: Über zwei Jahre lang fotografierte dieser Kinder aus der ganzen Welt in ihren Zimmern, jeweils mit allen Spielsachen, die sie besitzen. Ein engagiertes Projekt, das eindrücklich Konsumverhältnisse und soziale Unterschiede zeigt.

Galimberti wurde von Balenciaga mit dem Fotografieren der Weihnachtskampagne beauftragt. Analog zu seinem freien "Toy"-Projekt präsentieren in den Anzeigenmotiven Kinder Handtaschen und andere Balenciaga-Produkte. Unter anderem zählen dazu Plüschtier-Taschen aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion 2023, die auf der Pariser Modewoche auf dem Laufsteg gezeigt worden waren: tragbare Teddybären mit Punk-Attributen wie bunten Irokesenfrisuren und Hals- und Armbändern aus schwarzem Leder mit Nieten. Diese wurden von Kritikerinnen und Kritikern als BDSM-Sexmontour identifiziert und verstanden. Dies führte in Verbindung mit den jungen Models bis hin zum Vorwurf der Kinderpornografie.

Balenciaga reagierte umgehend: "Wir entschuldigen uns aufrichtig für jede Beleidigung, die unsere Weihnachtskampagne verursacht haben könnte. Unsere Plüschbären-Taschen hätten in dieser Kampagne nicht mit Kindern gezeigt werden dürfen. Wir haben die Kampagne sofort von allen Plattformen entfernt."


Ein Detail einer anderen, fast zeitgleich veröffentlichten Kampagne sorgte ebenfalls für Aufsehen. Diese bewirbt die Zusammenarbeit des Labels Balenciaga mit Adidas. Models wie Bella Hadid, die Schauspielerin Isabelle Huppert oder Nicole Kidman sitzen in Outfits der neuen Kollektion in luxuriösen Hochhausbüros. Die Produktaufnahme einer Hourglass-Handtasche auf einem der Schreibtische lässt bei genauem Hinsehen einen Text auf einem der wie beiläufig verstreuten Dokumente erkennen. Es handelt sich um ein Schriftstück aus einem tatsächlichen Gerichtsverfahren: ein Urteil des Obersten US-Gerichtshofs von 2008, "Vereinigte Staaten gegen Williams", in dem es um "virtual child pornography" geht.

Auch hier zog Balenciaga nach heftigen Protesten das Motiv zurück, distanzierte sich und bat erneut auf Social Media um Verzeihung: "Wir entschuldigen uns für die verstörenden Dokumente in unserer Kampagne. Wir nehmen diese Angelegenheit sehr ernst und werden rechtliche Schritte gegen die Parteien einleiten, die für die Erstellung des Sets und die Aufnahme von nicht genehmigten Gegenständen für unser Frühjahrskampagnen-Fotoshooting verantwortlich sind. Wir verurteilen den Missbrauch von Kindern in jeglicher Form auf das Schärfste. Wir setzen uns für die Sicherheit und das Wohlergehen von Kindern ein."


Jetzt soll das Unternehmen eine Schadensersatzforderung von 25 Millionen Dollar vor dem New York Supreme Court eingereicht haben, beschuldigt sind die Verantwortlichen für das Set-Design. Balenciaga behauptet, die Agentur North Six und der Setdesigner Nicholas Des Jardins hätten die Bilder der Gerichtsdokumente ohne ihr Wissen eingefügt was "böswillig oder zumindest außerordentlich rücksichtslos" sei.

"Infolge des Fehlverhaltens der Beklagten haben Mitglieder der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, Balenciaga fälschlicherweise und auf erschreckende Art mit dem abstoßenden und zutiefst beunruhigenden Thema der Gerichtsentscheidung in Verbindung gebracht", heißt es in der Klageschrift. "Die Beklagten haften gegenüber Balenciaga für alle Schäden, die aus dieser falschen Assoziation resultieren."

Die Kampagne mit den Leder-Teddybären soll allerdings nicht Gegenstand der Klageschrift sein. Einige Tage nachdem Balenciaga die von ihm fotografierten Weihnachts-Anzeigen zurückgezogen hatte, veröffentlichte der Fotograf Gabriele Galimberti auf Instagram eine Stellungnahme zu den Vorwürfen, die er auch auf sich gerichtet sieht:

"Nach den Hunderten von Hass-Mails und Nachrichten, die ich aufgrund meiner Fotos für die Balenciaga-Kampagne erhalten habe, fühle ich mich gezwungen, diese Erklärung abzugeben", schreibt er. "Ich bin nicht in der Position, die Entscheidungen von Balenciaga zu kommentieren, aber ich muss betonen, dass ich in keiner Weise befugt war, weder die Produkte, noch die Models, noch die Kombination derselben auszuwählen. Als Fotograf war ich einzig und allein dazu angehalten, die gegebene Szene zu beleuchten und die Aufnahmen in meinem typischen Stil zu machen. Wie bei einem kommerziellen Shooting üblich, liegen die Richtung der Kampagne und die Auswahl der gezeigten Objekte nicht in den Händen des Fotografen."

Transgression gehört für Balenciaga zum Geschäftsmodell. Dies hatte bislang jedoch noch nie für vergleichbare Empörung gesorgt. Von Ye, vormals bekannt als Kanye West, trennte sich das Label kürzlich nach antisemitischen Äußerungen des Musikers. Kurz zuvor hatte er noch die Schau eröffnet, auf der auch die Teddy-Taschen zum ersten Mal gezeigt wurden.


Aktualisierung: Balenciaga hat inzwischen in einer weiteren Äußerung erklärt, volle Verantwortung für die Teddy-Motive zu übernehmen. "Die Plüschbär-Taschen und die Geschenk-Kollektion hätten nicht mit Kindern gezeigt werden dürfen. Dies war eine falsche Entscheidung von Balenciaga." Das Dokument in der anderen Kampagne, das sich auf einen realen Fall zu Kinderpornografie bezieht, komme mutmaßlich aus einem Filmdreh einer TV-Sendung. Die mit dem Set-Design Beauftragten hätten schriftlich versichert, alle Requisiten seien unechte Bürounterlagen, sie hätten sich aber als echt herausgestellt. Das Unternehmen kündigt unter anderem an, seine kreativen Prozesse und deren Strukturen zu untersuchen und sich mit Kinderschutz-Organisationen in Verbindung zu setzen.