Frankfurt hat eine der lebendigsten jüdischen Gemeinden Deutschlands, das Jüdische Museum Frankfurt war bei seiner Gründung 1988 das einzige in Deutschland. Sein Auftrag: jüdische Kultur einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln – aus einer jüdischen Perspektive, nicht als Teilaspekt einer deutschen Geschichtsschreibung.
Die Dauerausstellung "Wir sind Jetzt" in der ehemaligen Stadtvilla der Familie Rothschild erzählt sie aus der Gegenwart heraus: Ob junge Szenegastronomen, der Politiker Daniel Cohn-Bendit oder Überlebende des Holocaust, die Situation wird über persönliche Geschichten klar. Vermittelt durch beeindruckende Ausstellungsdisplays, die Intimität erzeugen, Projektionen entlarven und der Reflexion auf die Sprünge helfen. Und eine grundsätzliche Ambivalenz spürbar machen: jene sich durch Hass und Gewalt stets aktualisierende Frage, wie man als Jüdin oder Jude in Deutschland leben kann.
Zusätzlich gibt es seit der Wiedereröffnung Ende Oktober jetzt einen lichten, großzügigen Neubau von Staab Architekten, der erstmals große Wechselausstellungen möglich macht. Die Direktorin Mirjam Wenzel setzt auch hier auf die Gegenüberstellung von Kulturgeschichte und Gegenwart, geleitet von einer kühnen Frage: Wo sind all die weiblichen Aspekte des Gottesbegriffs in den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam hin, die es zu jeder Zeit gegeben hat?
Grundsatzbefragung in mondlichthafter Atmosphäre
Auch hier geht das Jüdische Museum mit offenem Visier in die Diskussion und untersucht vergessene, vernachlässigte oder schlicht unterdrückte Narrationen aus 3000 Jahren. Die Grabplakette der Sophia aus der Spätantike beispielsweise besagt, dass diese Sophia Synagogenvorstand war. Die israelische Künstlerin Hadassa Goldvicht (Jahrgang 1981) zeigt in Videos ihre Aneignung des hebräischen Alphabets durch Verspeisen und Ablecken der Buchstaben aus Honig. Dabei sind weibliche Mitglieder des Judentums von dieser mit dreijährigen Jungen praktizierten Tradition der Schriftlehre heute ausgeschlossen, genau wie sie nicht Synagogenvorstand sein können. Hier klingt, in mondlichthafter Atmosphäre elegant präsentiert, auch eine Grundsatzbefragung an.
Eine zentrale Rolle spielt der Begriff "Schechina", die Bezeichnung für die der Welt zugewandte Seite Gottes, die dezidiert weiblich ist. Anselm Kiefers Bild mit diesem Titel schwebt über der Ausstellung, es zeigt ein ephemeres Brautkleid – in den jüdischen Schriften taucht die Weisheit als weibliche Figur auf, als Braut eines stets männlich gedachten Gottes. Erhalten blieb in allen großen Religionen aber die Frau als Mutter oder als unberechenbare Gefahr. Die Gestalt der Lilith, der ersten Frau Adams, die sich ihm nicht unterordnen wollte, hat Künstlerinnen immer bewegt. Im jüdischen Glauben bedroht sie Neugeborene, in der jüdischen Feminismusbewegung spielt sie eine große Rolle.
Kunstwerke von Carolee Schneemann und Kiki Smith geben der uralten Erzählung zeitgenössische Formate. Und werden gerade durch die breite kulturhistorische Einordnung künstlerisch neu auf den Punkt gebracht. Dieses Museum könnte ein Palast für spannendes Denken in alle Richtungen werden.