Jeden ersten Montag im Mai findet in New York die wohl extravaganteste Benefizveranstaltung des Jahres statt: die Costume Institute Gala, besser bekannt als Met Gala. Vor allem als Star-Auflauf in kostümigen Roben berühmt, dient das Event eigentlich dazu, die Kostümsammlung des Metropolitan Museum of Art zu erhalten. Formell wird dieses Archiv das Costume Institute oder auch "Anna Wintour Costume Center" genannt – ein Name, der erklärt, wer die Schirmherrschaft über das Gesamtereignis innehat.
Seit 1995 Vorstandsmitglied der Gala, bestimmt die Chefredakteurin der US-"Vogue" die Gästeliste, die Sitzordnung, und auch jedes einzelne Outfit muss von ihr abgesegnet werden. Denn die Looks sind schließlich das, was die Gala ausmacht. Neben saftigen Spendengeldern natürlich. Um einen Sitzplatz an einem der begehrten Tische zu bekommen, ist ein Preis von etwa 30.000 Euro nicht ungewöhnlich. Ein ganzer Tisch hingegen kann Millionen kosten. Große Modehäuser laden oft Weltstars zu sich in die Runde ein. Die sollen, in die eigene Marke gekleidet, natürlich das Haus repräsentieren. Werbetrommel meets Wohltätigkeit.
"Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Filmstars, Models, Designer, Society-Schwäne, Rocklegenden, Sportler, Politiker und Rapper, ganz zu schweigen von der einen oder anderen kulturellen Ikone, zusammenkommen, um die Mode zu feiern - und eine Nacht im Museum zu verbringen", schreibt Anna Wintour selbst. Doch was heute mit dem "Superbowl der Modewelt" oder "Oscarnacht der Fashion" beschrieben wird, hatte einst einen ganz anderen Nutzen.
Kleidung als Diskurs
Mode sollte nicht nur gefeiert werden. Die Ausstellungen im Costume Institute sollten vielmehr eine Konversation über den Zustand der Welt anregen und Kleidung im Kontext gesellschaftlicher Ereignisse betrachten. Textilien fungieren schließlich als eine ganz eigene Sprache, erklären äußere Umstände, spiegeln den Zeitgeist und die Bedürfnisse einer Gesellschaft wider.
Die Ursprünge der Benefiz-Veranstaltung gehen zurück auf das Jahr 1948, als die neu gegründete Kuratoriumsabteilung des Costume Institute um Spenden in der alteingesessenen New Yorker High Society bat. 1970 wurde die legendäre Modejournalistin Diana Vreeland, damals selbst Chefredakteurin der US-amerikanischen "Vogue", Sonderberaterin des Instituts. Durch sie wurde das stille Sammeln zu einem glamourösen Event voller Stars. Damit kam auch die Aufmerksamkeit. Der Hauptfokus lag jedoch immer auf der Ausstellung selbst, während heute viele Zuschauende die Gala zwar kennen, ihren Zweck jedoch kaum einordnen können.
Das erste thematische Met-Defilée fand 1973 in Form einer Retrospektive von Christóbal Balenciaga statt, der ein Jahr zuvor verstorben war. Vreeland holte einflussreiche Persönlichkeiten wie Jackie Kennedy mit ins Komitee des Instituts und organisierte zusammen mit ihr eine Ausstellung mit dem Titel "The Glory of Russian Costume", als der Kalte Krieg gerade in vollem Gange war. 200 Jahre nach Beginn des Revolutionskrieges feierte das Met "American Women of Style". 1980, einem Jahr, in dem sich Amerika öffentlich um die Entschärfung der Beziehungen zu Asien bemühte, zeigte das Museum die Ausstellung "The Manchu Dragon: Kostüme aus China".
Provokation statt Fakten
Während ihrer Zeit als Leiterin der Met Gala wurde Vreeland dafür kritisiert, historische Fakten zugunsten einer provokanten visuellen Präsentation zu ignorieren und Kunst und Kommerz schamlos zu vermischen. Vielleicht erkannte sie aber auch bloß die Tatsache an, dass diese beiden Felder schon immer miteinander verwoben waren. Seit Anna Wintours Übernahme wurde die Eröffnungs-Party der Ausstellung immer wuchtiger. Wie die Wintour-Biografin Amy Odell schrieb, steht sie nun nicht mehr nur für eine Feier des Costume Institute und der Mode, sondern auch für Wintours Dominanz in der gesamten Branche.
Während Aufmerksamkeit und Gelder garantiert sind, scheinen die einstige Tiefe und Relevanz des Events, verknüpft mit den bedeutenden Ausstellungen, zu verblassen. Vorrang haben nun polarisierenden Persönlichkeiten und Hype-Momenten – wie es fast bei jedem mit der Mode verknüpften Event langsam, aber sicher passiert.
Am Montag Abend (Ortszeit New York) beginnt die Met Gala auf dem roten Teppich, der die Treppen des Metropolitan Museum hinaufführt, und endet in einem höchst exklusiven Kreis der etwa 450 geladenen Gäste, die einer "No-Phone"-Regelung folgen müssen. Bis zu ihrer tatsächlichen Ankunft steht nicht fest, welche Berühmtheiten das Event beehren werden, was die Livestreams und Berichterstattung vor Ort heiß laufen lässt. Sie alle warten auf die außergewöhnlichen Looks und Kostüme, dem von Wintour festgelegten Dresscode entsprechend, der sich stets auf das für das Jahr bestimmte Ausstellungsthema bezieht.
Endloser Kreislauf von Schöpfung und Zerstörung
"Sleeping Beauty: Reawakening Fashion" ist der Titel der diesjährigen Schau, das Motto der Gala wurde mit "The Garden of Time" definiert, basierend auf einer Kurzgeschichte von J.G. Ballard mit gleichem Titel. In seinen Werken beschäftigt sich der Autor meist mit dystopischen Fantasien, in diesem spezifischen Text geht es um ein Paar, das ein dekadentes Leben in einem wunderschönen Garten hinter hohen Mauern führt. Außerhalb dieser Grenze ist die Landschaft kahl. Die Geschichte wird oft als Metapher für die Entwicklung der menschlichen Historie und den endlosen Kreislauf von Schöpfung und Zerstörung gesehen. Ein Thema, das sich in der Ausstellungskonzeption deutlich widerspiegelt.
"Sleeping Beauty: Reawakening Fashion" zeigt 250 historisch bedeutsame Stücke, von Elsa Schiaparelli über Christian Dior, Yves Saint Laurent bis zu Hubert de Givenchy. Bei den schlafenden Schönheiten handelt es sich meist um Originalentwürfe, die viel zu zerbrechlich sind, um jemals wieder getragen zu werden. "Mode ist eine der emotionalsten Kunstformen, weil sie mit dem Körper verbunden ist", sagte Andrew Bolton, der verantwortliche Kurator des Costume Institute. "Sie ist durchdrungen von Erinnerungen und Emotionen, und wir nehmen sie sehr stark über unsere Sinne wahr. Ich hoffe, dass diese Ausstellung diese sinnliche Dimension der Mode anregen wird.“
Der Titel löste jedoch bei vielen eine unangenehme Assoziation zu Kim Kardashian in Marilyn Monroes Kleid zur Met Gala 2022 aus. Die Unternehmerin hatte sich in das fragile Glitzerstück gezwängt, das Monroe, während ihres "Happy Birthday, Mister President"-Auftritt trug. Auf Vorher-Nachher-Fotos sind bei dem wertvollen Stück klare Tragspuren und Risse zu erkennen. Das Kleid sei für Marilyn und Marilyn allein gefertigt worden, durch Kardashians Übernahme sei es quasi entehrt, hieß es von Kritikern, die die historische Bedeutung der Robe in Gefahr sahen. Die Diskussion über Kleidungsstücke, die als Kulturerbe gelten, und über ihre weitere "Nutzbarkeit" war eröffnet und wird nun in der Ausstellung weitergeführt. Darf man sie wieder aufwecken, oder sollte man sie einfach schlafen lassen?
Modegeschichte wird lebendig
Und nicht nur Kardashian polarisierte mit ihren Looks bei der Eröffnungsparty. Bei dem berüchtigten Event, bei dem es gar nicht gigantisch genug zugehen kann, sind schon sagenumwobene Modemomente entstanden: Cher in Bob Mackies "Naked Dress" im Jahr 1974, Prinzessin Diana 1995 in blauem Dior-Ensemble, Kate Moss in einem silbernen Marc-Jacobs-Look inklusive Turban oder Rihanna, 2015, in einem eidottergelben Schleppen-Entwurf von Guo Pei. Was dieses Jahr begeistern oder die Sprache verschlagen könnte, erklärt die Trendforcasterin Mandy Lee in einem Reel auf Instagram: Wortwörtliche Übersetzungen des "Garden of Time" könnten das Wanduhr-Keid von Moschino auf den roten Teppich bringen, generell kann sie sich viele als Schmuckstücke eingesetzte Armbanduhren vorstellen.
Da der Garten in Ballards Kurzgeschichte aus glasähnlichem Material beschrieben wird, erahnt Lee aus Glas oder auch transparenten Hartmaterial gefertigte Roben. Blumen und alles Gartenhafte wird wohl unumgänglich, und Marnis Blumenkleid in Scherenschnitt-Optik sieht Lee ganz weit vorne. Neben dem TikTok-CEO Shou Zi Chew ist auch Loewes Creative Director Jonathan Anderson dieses Jahr mit im Vorsitz des Events. Seine Gras-besetzen Stücke aus der Frühling/Sommer-Herrenkollektion 2023 könnten ebenso den roten Teppich besiedeln.
Letztlich wird es bei der diesjährigen Costume Institut Gala darum gehen, Modegeschichte wieder aufleben zu lassen, Vintage-Stücke zurück ins Scheinwerferlicht zu bringen und gleichzeitig um den Diskurs des respektvollen Umgangs mit kostbaren Kleidern, deren einziger sicherer Ort das abgedunkelte Archiv darstellt. Und natürlich um Anna Wintour, aber das ist ja klar.