Medienschau zur Venedig-Biennale

"Deutschland ist erschöpft"

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Erste Reaktionen auf den deutschen Pavillon und die Hauptausstellung, Meinungen und Kommentare: Unsere Presseschau zur Venedig-Biennale


Hauptausstellung

Kritiker Hanno Rauterberg ist nicht wirklich glücklich in Venedig auf einer "Biennale des guten Gewissens": Alles sei auf Ein- und Rückbindung bedacht, schreibt er in der "Zeit", "nichts zählt mehr als Abstammung und Herkunft. Wer als Indigener zur Welt kommt, wer als Autodidakt das Kunstfeld betritt, wer sich als schwul oder queer zu erkennen gibt, mag auf vielfältige Weise benachteiligt sein; in der Kunst jedoch öffnet sich ein ungeahnter Freiraum. Noch die schlimmste Ethnofolklore gilt als gerechtfertigt und gut, solange sie von indigener Hand gefertigt wurde."

Nicola Kuhn ist im "Tagesspiegel" angetan von der Hauptausstellung, aber hat auch Kritikpunkte: "Über 300 Künstler hat Adriano Pedrosa zusammengeholt, vornehmlich aus Lateinamerika, Asien, Afrika, dem Nahen Osten, darunter viele Unbekannte, insbesondere für den historischen Teil. Mit ihnen will der erste südamerikanische Biennale-Kurator die Geschichte der Moderne ergänzen, die bisher vor allem von westlichen Künstlern erzählt. Ihre Ausläufer außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten wurden in den hiesigen Breiten kaum wahrgenommen. Doch überzeugt der 'Nucleo Storico', wie Pedrosa sein Lehrstück nennt, leider nicht. Die Bilder wirken akademisch, nicht aufregend. Die summarische Hängung der Porträts etwa widerspricht einer Würdigung. Das anfangs geweckte Interesse verliert sich bald wieder."

Nur Fremde, aber kaum Annäherung, findet Marcus Woeller in der "Welt". So zeige Pedrosa zwar marginale Positionen der Kunstgeschichte, reihe diese aber eher auf, als sie in Verbindung zu setzen. "Schon hier zeigt sich, dass der 'Globale Süden' als soziopolitische Kartografie taugen mag, aber als Klammer für eine große Kunstausstellung ist der Begriff kaum geeignet. Die Abteilung für zeitgenössische Kunst ordnet Pedrosa nach einer persönlichen Logik. Seine Prämisse der Fremdheit erfüllen migrantische Künstler, 'queere' Künstler, Outsider-Künstler und die Tradition des 'artista popular'. Volkskünstlerisch und kunsthandwerklich wirken auch große Teile der Ausstellung." Außerdem stört der Autor sich an den Labels, die alle Werke von vornherein durch das Ausstellunskonzept bekommen: "So läuft man durch die Biennale und sucht nach roten Fäden, die die Kunst des 'Globalen Südens' fassen könnten. Auch Adriano Pedrosa dürfte vor dieser Herausforderung gestanden haben. Seine Einordnung der Künstler nach identitätspolitischen Zugehörigkeiten schwächt die Ausstellung. Denn die Sortierung künstlerischer Positionen in Kategorien wie 'fremd', 'migrantisch' oder 'queer' tendiert zur Abstemplung. Mit einem derart kuratorisch verengten Blickwinkel stellt man Werke in einen Kontext, der andere Zusammenhänge überlagert bis negiert."


Deutscher Pavillon

"ArtNews"-Chefredakteurin Sarah Douglas hat sich vor einem plötzlichen Regenguss im deutschen Pavillon Unterschlupf gefunden, wie sie im Newsletter berichtet. "Es war mein zweiter Besuch, um Yael Bartanas komplexe und tadellos inszenierte Science-Fiction-Fantasie über die Abreise des jüdischen Volkes von der Erde in einem riesigen Raumschiff in mich aufzunehmen, und ich konnte nicht umhin zu bemerken, wie dramatisch Bartana und Ersan Mondtag, ein weiterer Künstler, dessen Werk den Pavillon in diesem Jahr besetzt, die Struktur verändert haben. Der deutsche Pavillon ist insofern einzigartig, als er für jede Biennale neu gestaltet werden muss, da es sich um ein Bauwerk aus der Zeit des Nationalsozialismus handelt, dessen grandioses Design von den dunklen Ambitionen jener Zeit zeugt. Jeder nationale Vertreter muss sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen; bei dieser Ausgabe versperrt ein riesiger Haufen Erde den Eingang, sodass jeder, der den Pavillon betritt, dies durch eine Seitentür tun muss." Sie meint beobachtet zu haben, dass der Pavillon während der Vorbesichtigungstage für Aufsehen sorgt.

"Deutschland ist erschöpft", behauptet Andrew Durbin im britischen Kunstmagazin "Frieze" und meint damit die Antisemitismus-Debatte. Diese Erschöpfung schlage sich auch in einem "besonders schwachen. deutschen Pavillon" nieder. Der Erdhügel von Ersan Mondtag vor dem Eingan sein "ein weiteres Beispiel für die unerträgliche Angewohnheit des Landes, sein Gebäude zu zerlegen, seit Hans Haacke 1993 den Marmorboden mit dem Vorschlaghammer einschlug". Yael Bartanas Sci-Fi-Arbeit sei eine "leere Vision eines digital gerenderten Raumschiffs, das zu anderen, besseren Galaxien reist, die auf eine riesige Leinwand projiziert wird. Und was ist mit unserer eigenen? Nun, viel Glück dabei."

"Insgesamt gelingt den beiden so gegensätzlichen Künstlern ein grandioser Auftritt", befindet dagegen Nicola Kuhn im "Tagesspiegel". "'Very German', kommentiert ein Paar beim Verlassen des Pavillons. Dabei ist der Ansatz der beiden Künstler gerade das eben nicht."

"Kein anderer Pavillon in den Giardini der Biennale, die offiziell am Samstag eröffnet wird, setzt dem Besucher so zu. Kein anderer überwältigt und berührt ihn so", ruft ein begeisterter Jörg Häntzschel in der "SZ". "Die meisten Länder überlassen ihre Pavillons einzelnen Künstlern. Deutschland hat seinen Pavillon der Kuratorin Çağla Ilk überlassen, der Leiterin der Kunsthalle Baden-Baden. Ilk hat nicht nur ganze sechs Künstler eingeladen, sie hat dem Pavillon, dessen Architektur sie als "Lüge" und als "gefährliches Märchen scheinbarer Harmonie" bezeichnet, auch als dringend notwendigen Gegenpol einen zweiten Standort hinzugefügt: die Insel Certosa in der Lagune von Venedig. Kein anderes Land hat in Venedig ähnlich viel Aufwand und gedankliche Energie investiert."

Eine Monopol-Besprechung des deutschen Pavillons von Daniel Völzke lesen Sie hier


Britischer Pavillon 

Vor Begeisterung nach Luft schnappen muss der "Guardian"-Kritiker Adrian Searle nach seinem Besuch des britischen Pavillons von John Akomfrah. Dieser hat dort eine ausgreifende Videolandschaft aus gefundenen und gedrehten Szenen aufgebaut, in der es um koloniale Ausbeutung, Exil und Globalisierung geht. "Akomfrah nimmt uns mit auf eine großartige und schreckliche Reise durch sechs miteinander verbundene, raumgroße Filminstallationen (sowie auf Bildschirme, die über den Säulengang des Pavillons gehängt sind). Ihre Wiederholungen haben nun eine kumulative Kraft erreicht, die größer ist als die Summe der Teile der Ausstellung. Sein aktuelles Werk für Venedig wirkt wie eine Zusammenfassung. 'Listening All Night to the Rain' ist mehr als eindringlich. Es ist verstörend, traurig und absolut fesselnd."


Politik, Proteste, Konflikte

Gestern protestierte eine Gruppe von circa 100 Personen mit "Viva, viva Palestina!" in den Giardini – und vor allem vor dem geschlossenen israelischen, dem deutschen und dem US-Pavillon: Mo Salemy, ein Künstler und Kurator, der sich der Demonstration anschloss, sagte der "New York Times", "er sei auch kritisch gegenüber den Vereinigten Staaten, die Kunst von Jeffrey Gibson ausstellen, die seiner Meinung nach den Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern thematisiert. 'Sie stellen Werke über einen Völkermord aus, der vor 300 Jahren stattgefunden hat", sagte Salemy. "Ich schätze, in 300 Jahren wird es hier eine Ausstellung über Palästina geben.' Obwohl der Protest laut und deutlich zu hören war, wurde der Ausstellungsbetrieb in den Giardini der Biennale nicht gestört."

Tobias Timm berichtet in der "Zeit", wie die Weltpolitik und die -krisen in Venedig sichtbar werden. "Nein, die Künstler sind nicht zu beneiden, sie sind ja keine Meinungsmaschinen, und doch soll ihre Kunst etwas über die aktuellsten Krisen und Kriege sagen, ihre eigene Klugheit ausspielen. Manchmal gelingt das sogar, wie in den Räumen der Ukraine, wo natürlich von der russischen Attacke die Rede ist. Aber auch davon, wie man heute eigentlich noch Grußkarten verschicken kann. Was auf solchen Grußkarten stehen könnte, selbst wenn sie an die Front verschickt werden."

Auch Niklas Maak schreibt in der "FAZ", dass sich in vielen der Kunst-Pavillons die konfliktreiche politische Weltlage niederschlägt. Als Beispiel nennt er den geschlossenen israelischen, aber auch den polnischen Pavillon, der ursprünglich vom nationalistischen Maler Ignacy Czwartos bespielt werden sollte. "Nach dem Regierungswechsel in Polen wurde dieser Plan gekippt; zu sehen ist jetzt eine Videoarbeit des ukrainischen Künstlerkollektivs Open Group. Sie zeigen Geflüchtete aus der Ostukraine, die Geräusche von Sirenen und Maschinengewehren imitieren; die Be­sucher sollen diese Geräusche an bereitgestellten Mikrofonen nachahmen, tack-tack-ta-ta-ta-tack, als sei das hier ein surrealer Kurs für eine Sprache der Angst oder ein Kriegs­karaoke. Aber die PIS-Strategen geben nicht auf: Aus Protest gegen seinen Rauswurf eröffnet Czwartos an ei­nem privaten Ort gleich hinter den Giardini seine Bilderschau 'Polonia Uncensored' trotzdem. So hat ein Land nur einen geschlossenen Pavillon, ein anderes kämpft mit gleich zweien um die Deutungshoheit über Bilder. Selten schlugen sich die aktuellen politischen Krisen so deutlich in und vor den Länderpavillons nieder wie auf dieser Biennale."

Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr ordnet im BR (ab Minute 7.08) die Entscheidung der Künstlerin und des kuratorischen Teams ein, ihren israelischen Pavillon vorerst geschlossen zu halten. Im Deutschlandfunk Kultur kommentiert Vladimir Balzer. 

Auch im Format "Studio 9 - der Tag" bei Deutschlandfunk Kultur geht es unter anderem um die Biennale. Zu Gast ist in dieser Folge der Kulturkritiker und Monopol-Autor Tobi Müller, auch Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr, gleichzeitig Müllers Ehefrau, wird als Überraschungsgast zugeschaltet.