Wie ein weißer Fingernagel leuchtet die Mondsichel am Himmel über Florenz. Als wäre sie Teil des Set-Designs oder ein personalisiertes "Bat-Signal", das seine Superheldin ankündigt. Hier, in den Hügeln um die toskanische Hauptstadt herum, zeigt die Modedesignerin Marine Serre als Gast der 106. Ausgabe der Pitti Uomo ihre Frühling/Sommer-2025-Herren-Kollektion. Ihr Markenzeichen: die Mondsichel.
Oft ziert der schmale Halbkreis Bodysuits, Strumpfhosen und Longsleeves und steht für Serre und ihre Arbeit; genau wie das Konzept des Upcylings. Mit ihrer Kollektion "A Radical Call for Love" gewann sie im Jahr 2017 den LVMH-Preis, als bis dato jüngste Designerin. Ihre Modenschauen inszeniert die Französin normalerweise in Paris, ihre Kollektionen beschreibt sie selbst als "Future Wear": Kleidung, die unsere Zukunft respektiert, in dem sie zum Großteil aus recycelten Materialen hergestellt ist.
Auch kann ihre Mode als eine Art Uniform für dramatische Zukunftsszenarien verstanden werden. Die agilen, dynamischen Silhouetten würden futuristische Kämpferinnen kleiden, die den Planeten verteidigen und allen klimatischen Bedingungen trotzen. Dazu gehören "Dank Accessoires" wie Anti-Verschmutzungs-Gesichtsmasken mit Halbmond-Print. Serres hybride Designs variieren zwischen Prêt-à-porter und Haute Couture, Abendgarderobe und Sportswear. Ihre Looks scheinen bei Outdoor-Aktivitäten, auf der großen Bühne – etwa an Beyoncé – oder an einem Tag wie jedem anderen gleichermaßen am richtigen Platz.
Erst die Location, dann die Mode
Nun wurden die Entwürfe zum ersten Mal bei einer Modenschau außerhalb Frankreichs präsentiert. Und auch hierher, in die Florentiner Landschaft, passen sie ausgesprochen gut. Während einer Vorbesichtigung der Kollektion, der ersten, die Serre gibt, erklärt sie, dass die Looks auch aus der Inspiration des Settings entstanden sind. Erst kannte sie den Ort, die Villa Maiano in Fiesole, etwas oberhalb von Florenz gelegen. Dann entstand die Mode.
Obwohl es ihre Herren-Schau ist, kann Serre die Damenmode nicht ganz ausblenden, wie sie sagt. So finden sich in dem Casting auch viele weibliche Models, die in Couture-Looks durch den Villen-Garten stolzieren. Der Ort rief danach. "Sempre Legati" heißt Serres Kollektion, was so viel bedeutet wie "für immer verbunden". Und wie schon ihre erste Entwurfsserie, die nach den Terror-Anschlägen in Paris 2015 und 2016 als ein Ruf nach Frieden fungierte, ist auch "Sempre Legati" mit einer wichtigen Botschaft verbunden.
Die finalen Outfits sind alle in Weiß gehalten, wie eine achtköpfige Friedenstaube stehen sie als Symbol für Serres Wunsch nach Einklang und Zusammenhalt aller Menschen. Egal, welche Religion, welche Herkunft. Die Models, die "Sempre Legatis" 49 Looks präsentieren, stammen aus 25 Nationen. Kein Zufall, sondern Teil der Markenidentität und persönlichen Überzeugung.
Die exklusive Modewelt öffnet sich für politische Themen
Der Marine-Serre-Halbmond ist allerdings ein islamisches Motiv, für dessen Nutzung sie oft kritisiert wurde. Viele stört das Radikale daran, das sich auch im Namen ihrer ersten Kollektion findet. Serre sieht das anders. "Für mich bedeutet 'radikal' eher so etwas wie ein Engagement. Etwas, bei dem es ums Handeln geht. Es bedeutet auch, bis zum Ende dessen zu gehen, woran man glaubt. Ich habe 'radikal' eigentlich in einem positiven Sinne gemeint", erklärte sie einst.
Sie möchte das Weltgeschehen nicht unkommentiert lassen, sei es Umweltschutz oder Krieg, und integriert Lösungsansätze oder wenigstens Verknüpfungen in ihrer Mode. Als eine der wenigen Designerinnen in der Branche öffnet sie die exklusive Welt der Mode politischen Themen, und das auf eine sehr tragbare und dennoch avantgardistische Art und Weise.
Serre als Gastdesignerin zu rekrutieren, scheint in dem eher traditionellen Kontext der Herrenmodemesse Pitti Uomo innovativ, ist jedoch keine Überraschung. Sie folgt auf Namen wie Martine Rose, Wales Bonner, Glenn Martens und Virgil Abloh – Designer, die in den letzten Jahren die Fashion-Welt stark geprägt, Marken reformiert und neue Standards gesetzt haben. Die Show-Einladung erreicht die Gäste in einem ledernen Reisepass-Etui mit Monddruck, als würde Serre sagen wollen: Mit meinem Pass ist jeder überall willkommen. So folgen alle geladenen "Citizens of the World", wie Serre sie nennt, ihrer grandiosen Übersetzung von Pariser Hybrid-Wear in italienische Couture.
Dramatisch, elegant und cool
Die Show beginnt mit einem voluminösen schwarzen Rock, der aus Marine Serres Silhouetten-Repertoire ausbricht, gepaart mit einem aus Vintage-Schmuck gefertigten Top. Zu Livemusik schreitet das Model vor einem rosa Sonnenuntergang durch die weitläufigen Villengärten. Es folgen schwarze Anzüge und erste Hinweise auf Serres Zusammenarbeit mit dem Lederwarenanbieter Cuoio di Toscana. Violette Taschen mit der Serre-Sichel, Krawatten, später Hosen, ein Kostüm und ein Anzug. Dazwischen ein fliederfarbenes Couture-Kleid, dass nur den halben Körper des Models umspannt und in einer kleinen Schleppe von seinem Kopf auf die Schultern fällt.
Dramatisch, elegant, aber gleichzeitig so cool ist das Ganze, wie vielleicht nur Marine Serre Haute Couture interpretieren kann. Rote Lederlooks und Anzüge, folgen gepaart mit schwarzen Details, dazu ein transparentes Bodycon-Kleid, dessen Netzstoff selbst die Hände umschließt. Eine braune Sichel-Print-Lederhose kombiniert Serre zu einem gestreiften Herrenhemd, schickt einen von der Krawatte über Hemd, Jacke, Tasche und Hose komplett ledernen Look über den Laufsteg.
Es schließt sich Serres Königsdisziplin an, das Upcyling. Eine Outdoor-Jacke aus zusammengesetzten Rucksäcken, ein unfassbar schickes Ensemble aus Damen-Mantel und Mini-Rock, gefertigt aus karierten Wollschals. Serre präsentiert Tube-Kleider aus Hosenbünden, klassische Karo-Blazer, durch die Sichel "ver-serret" und durch übergroße Hemdkrägen und Manschetten herausstechende Anzüge. Die Vintage-Seidenschals, die in den Kollektionen oft zum Einsatz kommen, drapiert sie diese Saison unter einem durchsichtigen, beigefarbenen Netzstoff um den Körper eines Models. Sie designt lockere Herrenshorts, spitzkragige Hemden und Bustiers aus den Stoffen. Ein Catsuit zeigt die geairbrushten Tücher, die sich um einen ebenfalls bemalten Körper winden.
Couture aus deutschen Jutebeuteln
Es folgt ein atemberaubendes Rucksack-Couture-Kleid. Dann, als Übergang zu den weißen Friedens-Looks, Kleidungsstücke aus recycelten Jutebeuteln; viele wohl mit deutschen Wurzeln. "Deutsche Spezialitäten", "100 Jahre General-Anzeiger" oder auch "Danke! Ihr Amtlicher Blutspendedienst" verkünden die Aufdrucke auf Shift-Kleidern, breiten Trenchcoats und Bomberjacken.
Serre schafft es, jedes bestehende Material so einzusetzen, dass der Ursprung erahnbar ist, jedoch das Kleidungsstück nicht dominiert. Die acht finalen, weißen Designs sind zum Großteil aus alten Baumwoll-Laken gefertigt. Kleine runde Spitzendeckchen kommen als BH vor. Aus "trutschig" anmutendem, weißen Blumenstoff fertigt Serre mit Hilfe von elastischer Rucksack-Schnürung ein Korsett-Kleid und stülpt einem Model in Tischdecken-Unterwäsche eine weiß-transparente Stoffhülle über. Ein unkonventionelles Brautkleid ist geboren. Der letzte Look, ein weißes Abendkleid, zitiert mit einem roten Print Serres erste Kollektion. "A Radical Call for Love" steht um zwei Hände geschrieben, die einen Halbmond halten. "Pray for all the oppressed" fordert ein weiterer Druck auf.
Mit den letzten Sonnenstrahlen verabschiedet und bedankt sich auch Marine Serre. Sie hat es geschafft, Mode mit Message in die italienische Dolce-Vita-Kulisse zu integrieren, Schönes und Progressives zu verbinden. Dazu reicht sie bis in die späten Abendstunden das Eis der besten Gelateria der Stadt. Sie hat - hin bis zur Mondphase - alles richtig gemacht.