London Fashion Week

Gut angezogen und für alles gewappnet

Die Londoner Fashion Week ist bekannt für ihre Nachwuchsförderung. Hier stellen wir drei junge Designerinnen und Designer vor, die in diesem Jahr besonders beeindruckten - und offensiv-funktionale Mode auf den Laufsteg brachten

Die London Fashion Week zu beobachten, bedeutet vor allem, neue Talente und aufstrebende Designer zu entdecken. Natürlich zeigen hier auch etablierte Marken wie J.W. Anderson, Simone Rocha und Burberry, die wohl den meisten geläufig sind. Doch dominiert wird der Show-Kalender von Brands wie Chopova Lowena, Aaron Esh oder 16Arlington – nicht klein, aber auch nicht universell bekannt. 

Viele ehemalige Designstudenten, etwa von der prestigeträchtigen Hochschule Central Saint Martins, beginnen mit ihren Modenschauen in London. Ein Grund für die Fülle an nachwachsenden Labels ist die Initiative NewGen des British Fashion Council, kurz BFC. Hier werden junge Designerinnen und Designer finanziell unterstützt, bekommen Support dabei, ihre Mode der Öffentlichkeit zu präsentieren, und auch Mentoring ist Teil der Abmachung. 

Dort wird den Teilnehmenden unter anderem dabei geholfen, ihre Unternehmensstruktur erfolgreich aufzubauen. Und auch ein Slot während der Londoner Modewoche wird den Preisträgerinnen und Preisträgern garantiert. "Dazu gehören die Befreiung von den Teilnahmegebühren, ein engagierter Showproduzent und ein Produktionsteam, eine Grundausstattung an Beleuchtung, Bestuhlung, Sound, Sicherheit und ein Raum im BFC, je nach Verfügbarkeit," heißt es auf der Website des British Fashion Council.

Mode für die Extreme

Die NewGen-Preisträger werden jedes Jahr unter Berücksichtigung der Kriterien Kreativität, Designästhetik und Unterscheidungsmerkmal ausgewählt. Und so standen bei der aktuellen Londoner Fashion Week für die Saison Frühling-Sommer 2025 auch einige neue Namen auf dem Terminplan, die durch das Programm zum ersten Mal ihre eigene Schau bei einer der vier wichtigsten Modewochen zeigen durften. 

Einer von ihnen ist Charlie Constantinou, der in seinen Kollektionen Funktionskleidung durch attraktive Silhouetten eine neue, große Bühne bietet. Nach seinem Abschluss an der Central Saint Martins vor zwei Jahren wurde Constantinou mit dem ITS Academy Award für Nachwuchsdesigner ausgezeichnet und erreichte das Halbfinale des renommierten LVMH-Preises. "In meiner Arbeit geht es vor allem um Anpassungsfähigkeit und darum, wie man zwischen verschiedenen Umgebungen wechseln kann", sagte der Modedesigner nach seiner Show.

Seine Kleider entwirft er für ein Science-Fiction-ähnliches Szenario unter extremen Wetterbedingungen, die so ein wenig an Marine Serres "Future Wear" erinnert. In einer verschwommenen Farbpalette von Neongrün, das zum "Brat"-Trend dieses Sommers passt, über Grau, Braun, Waldgrün, Blautönen bis zu Orange-Rot präsentierte Constantinou seine dem Modeuniversum genehme Funktionskleidung. 

Die weiblichen Models trugen atmungsaktiven Strick mit Tribal-Muster, gesteppte Stulpen und Tanktops und Röcke über ausgestellten Hosen mit verstellbaren Beinweiten. Ausladende Nylonhosen mit Reißverschluss-Details, gestrickte Hoodies und Westen und Tops, die in um den Kopf gebundenen Schals endeten, waren an den männlichen Models zu sehen. Harnesse aus Nylon mit praktischen Taschen, Capri-Hosen mit dekorativ-funktionalen Zippern und wüstentauglich gewickelte Oberteile machten klar: Mit Charlie Constantinous Kleidung sind wir gut angezogen und augenscheinlich für alles gewappnet.

Entwürfe von Charlie Constantinou auf der London Fashion Week, September 2024
Foto: Lily Craigen / BFC

Entwürfe von Charlie Constantinou auf der London Fashion Week, September 2024


Funktional in einem anderen Sinne ist die Mode von Johanna Parv, die ebenfalls ihr Solo-Debüt bei der Londoner Modewoche feierte. Die Estin gründete ihre gleichnamige Marke nach ihrem Abschluss an der Central Saint Martins im Jahr 2020 und designt Kleidungsstücke, die einen festgelegten Zweck verfolgen. 

Genauer gesagt hat sie berufstätige Frauen vor Augen, die stets unterwegs sind und gut, aber auch praktisch angezogen sein wollen. Ihr Mode ist konstruiert elegant, verbindet corporate chic mit Radfahr-Montur. Ob Arbeit oder Freizeit: wer pendelt, aktiv ist, für keinen Outfit-Wechsel nach Hause will und sich so vorausschauend kleiden muss, ist bei Parv genau richtig. Ihre Taschen können um den Hals, um die Taille oder auch als Ärmel getragen werden. Reißverschlüsse schaffen Beinfreiheit, Schulterschlitze lassen ein Hemdkleid interessant werden, Jacken werden in winzig kleinen Täschchen verstaut und sind so aus dem Weg geräumt.

Grau, Schwarz und Weiß wechselten sich mit Pastellschattierungen in Lila, Gelb und Grün ab. Sportliche Stirnbänder, Leggings und feste Kniestrümpfe im Colorblock-Muster funktionierten als passende Accessoires für die urbane Nomadin. Regenmäntel, Radler-Shorts und Sport-BHs unterstrichen die funktionale Seite. Feine Lederschuhe, grober Silberschmuck und Ledertaschen holten die Looks runter vom Rennrad und rein ins Büro. Parv entwickelt ihre Entwürfe mit ihren eigenen Erfahrungen im Hinterkopf. "Es ist ein persönliches Bedürfnis nach dem, was ich mag", erklärte sie "Vogue Runway". Beide, Parv und Constantinou, profitieren von dem generellen Hoch der Funktionskleidung. Zehenschuhe wie das "FiveFingers"-Modell von Vibram sieht man auf Szene-Events, offensiv-praktisch ist nicht mehr uncool. Solange es richtig gestylt ist.

Entwurf von Johanna Parv, London Fashion Week, September 2024
Foto: Eeva Rinne / British Fashion Council

Entwurf von Johanna Parv, London Fashion Week, September 2024


Im September letzten Jahres zeigte Karoline Vitto ihre erste Kollektion in Zusammenarbeit mit Dolce & Gabbana während der Mailänder Fashion Week. Das Duo lädt jede Saison einen aufstrebenden Designer ein, unterstützt ihn, ähnlich wie NewGen, und macht so eine eigene Modenschau möglich. Diese Saison zeigte die Brasilianerin das erste Mal in London. Sie ist eine der sehr wenigen Designerinnen, die auch nach dem kurzen Plus-Size-Trend auf Laufstegen noch immer Models überhalb der Standardgröße laufen lässt. Und zwar fast ausschließlich. 

Vitto designt für exakt diese Formen. "Für mich geht es bei der Konstruktion darum, den Körper darunter zu betonen", sagte sie der "Vogue Runway". "Die Frau wird immer zum Highlight." Sie nutzt vor allem Viskose und Jersey, drapiert die simplen, leichten Stoffe, spannt sie, auch mit Hilfe von Metalldetails, platziert Cut-Outs. Das Metall kann die Trägerin der Kleider selbst biegen, den Stoff verschieben und so entscheiden, wie viel Haut sie zeigen möchte oder wie viel verdeckt bleiben soll.

Vittos Kollektion war von einer brasilianischen Tradition inspiriert, der "Festa de Iemanjá", bei der Gläubige dem Meer und der Meeresgöttin Blumengaben widmen. Ihr Konzept stellte Frauen als Göttinnen dar, die aus dem Strudel des geblümten Ozeans auftauchen. Vitto zeigte kurze Tops mit Cutouts und diagonal gesetzten Reißverschlüssen, machte Bustiers straßentauglich und wagte sich auch wieder an Denim, aus dem sie weite Hosen und gerade Röcke konstruierte. 

Körperformen sind kein Trend

Die Bikini-Tops, gepaart mit den langen fließenden Hosen und bloßen Rücken, erinnerten ein bisschen an das Bild einer Meerjungfrau. Kleider und Longsleeves aus schwarzem Jersey waren mit rotem Siebdruck versehen, braune Kleidungsstücke mit pinkem Aufdruck, der die Silhouetten unterstrich. Gerade zum Ende hin zeigte die Designerin körperumschmeichelnde Kleider in Mini- und Maxi-Länge, die dank der Details aus Draht, die auch in den passenden Handtaschen zum Einsatz kamen, mondän und modern wirkten. 

Selten sah ein Model in einem Jerseykleid besser angezogen aus. Designerinnen wie Karoline Vitto sind in der extrem genormten Welt der Mode besonders wichtig. Sie erinnern daran, dass Körperformen und Silhouetten kein Trend sind, sondern die Wirklichkeit abbilden - und exisitierende Körper, die es einzukleiden gilt. 

Entwürfe von Karoline Vitto, London Fashion Week, September 2024
Foto: Sophie Holden / BFC

Entwürfe von Karoline Vitto, London Fashion Week, September 2024