Deutschlands erfolgreichste Modedesignerin hat Geburtstag - Jil Sander wird heute, am 27. November, 80 Jahre alt. Und während einige Eigenschaften der Schleswig-Holsteinerin nur als typisch deutsch beschrieben werden können, sind andere meilenweit vom Stereotyp entfernt. Sie gilt als die Erfinderin des Zwiebellooks (allgemeines deutsches Modebewusstsein in einem Wort), liebt es schnörkellos, etablierte das Attribut "praktisch" für eine High-Fashion-Marke, die auch in Mailand zeigte.
Sie ist eine unbeirrbare Perfektionistin und musste erst für einige Jahre ihre eigene Firma verlassen, um sich den süßen Seiten des Lebens widmen zu können und zu merken: Arbeit allein kann es nicht sein. Gleichzeitig besitzt sie ein unnachahmliches Gespür für begehrenswerte, zeitlose Mode, liebt den Luxus, zahlt gern für stilvolle Extravaganz und zieht sich unfassbar gut an.
Als einer der wenigen deutschen Mode-Exporte hat Sander es geschafft, nicht nur relevant zu werden und zu bleiben, sondern gilt als Inspirationsquelle des aktuell noch immer gefeierten Purismus, der von The Row über Phoebe Philo bis Toteme die zeitgenössische Mode prägt.
"Eine poetische Umsetzung des Zeitgefühls"
Jil Sander wird eine der ersten Marken sein, die bei der Suche nach minimalistischer Mode vorgeschlagen werden. Sie selbst jedoch beschreibt ihre Entwürfe mit anderen Worten. "Ich habe meine Mode nie als minimalistisch verstanden, in der Schnittkonstruktion kann sie sehr opulent sein. Sie war auch nie rein funktional, es ging immer auch um eine poetische Umsetzung des Zeitgefühls", erzählte sie 2017 im Monopol-Interview.
Den Zeitgeist lesen, verstehen und daraus einen völlig neuen Stil ableiten: Das kann Jil Sander bestens. Nach ihrem Schulabschluss absolviert sie ein Studium an der Staatlichen Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld. Eine Stadt geprägt vom Bauhausstil, der Sanders Arbeit von Beginn an beeinflusst und sich durch die Reduktion auf das Wesentliche wiederfindet. Nach einigen Jahren als Moderedakteurin und häufiger Unzufriedenheit mit Kleidern, die sie bei Shootings zu Gesicht bekommt, eröffnet Sander 1968 eine nach ihr benannte Modeboutique in Hamburg Pöseldorf. 1974 entwirft sie schließlich ihre erste eigene Kollektion.
Sander beginnt als Designerin, als die Arbeitswelt auch Frauen zugänglicher wird. Das trifft sich gut, denn sie wird es sein, die ihren Mitstreiterinnen eine eigene Arbeitsuniform zur Verfügung stellt. In einer Zeit, in der Opulenz die Mode bestimmt, bietet Sander Blazer, Hosen und T-Shirts an, gilt als eine der Erfinderinnen des Anzugs für die Frau. Extrem schlicht und doch durch und durch luxuriös.
Nur was ihr steht, wird produziert
Nach gewisser Skepsis ihrer ersten Kreationen gegenüber, kann sie in Paris schließlich mit ihrem Zwiebellook überzeugen: gestapelt getragene, unendlich oft kombinierbare, klassische, edle Stücke. Bei allem, was mit ihrer Arbeit in Verbindung steht, regieren Jil Sanders höchste Ansprüche, kompromisslose Qualität und Eleganz durch Understatement. Ihre selbstbewusste Mode soll nicht die der Männer kopieren, sondern die starke, aber zarte Seite ihrer Trägerin betonen und bei aller Geradlinigkeit den femininen Charme zur Geltung kommen lassen.
Jil Sander verlässt sich schon immer ganz auf sich selbst, das ist ihr Erfolgsrezept. Sie vermarktet sich als das perfekte Image ihrer Mode, schneidert die klaren, aufwendigen Kleider in erster Linie für sich selbst: Nur das, was ihr steht, findet auch Platz in den Kollektionen. Ihr persönlicher Stil ist maßgeblich für die später verkauften Stücke, macht sie aus, unterscheidet sie.
Sander hat stets das erste und das letzte Wort, wenn es um Designentscheidungen geht, beharrt radikal auf kleinsten Details, gibt die Kontrolle nie ab. Sie hält im wahrsten Sinne des Wortes alle Fäden in der Hand. In einer Dokumentation über ihre Arbeit sieht man die Designerin in einer regen Diskussion darüber, auf welcher Höhe ein Etikett angebracht werden soll – fünf oder doch sechs Zentimeter vom Halsausschnitt abwärts?
Lässigkeit zu Höchstpreisen
Diese vermeintlichen Kleinigkeiten entscheiden schließlich über das Level an Eleganz, die Aussagekraft des Kleidungsstückes. Besessen ist sie von Techniken und der Fertigung in den Ateliers, lässt sich Kleider von Italien nach Deutschland senden, um die Qualität zu prüfen. Jil Sanders Charisma und ihre Bestimmtheit helfen ihr dabei, ihre Ware an die Kundinnen zu bringen. Die versuchen, sich die souveräne Lässigkeit, die die Designerin vorlebt, einzukaufen. Und das zu Höchstpreisen.
Von Anfang an sind es Materialien und Proportionen, denen sich Sander ganz klar verschreibt. Den Spitznamen "Kaschmir-Queen" bringt Sander ihre Obsession für feinste Stoffe ein, denn was sie an Verzierung und Farbe einspart, ersetzt sie durch Hingabe in der Materialauswahl. Der perfekte Seidenkrepp muss es sein, die leichteste Baumwolle, die reinste Wolle.
Purismus ist das Wort, das ihre Mode wohl am besten beschreibt: Nur Essentielles findet sich an den monochromen Kleidern, doch das in der höchsten Perfektion. Trends sind ein Fremdwort für die Designerin, zum Glück. Ihre Vintage-Teile können heute noch genauso wie vor 50 Jahren getragen werden - sowohl, weil sie dank ihrer Qualität noch wunderbar erhalten sind, als auch, weil ihr Stil nie aus der Mode kommen wird.
Seelenverwandte in der Kunst
Der anspruchsvolle Luxus zieht sich auch durch Sanders Privatleben. Sie besitzt mehrere Häuser und Wohnungen in Europa verteilt, begeistert sich für Architektur und sammelt leidenschaftlich Kunst. Robert Ryman gehört zu den ersten Künstlern, dessen Werke sie kauft. Auch er widmet sich mehr der Materialität als der Farbe, bestätigt sie in ihrer Enthaltsamkeit, wie Sander es ausdrückt.
Sie erfreut sich an den Arbeiten von Ad Reinhart, Agnes Martin und Richard Serra. Künstlerinnen und Künstlern, denen sie die Erkenntnis verdanke, "dass eine große Kraft in der Reduktion stecken kann", wie sie es im Interview mit Monopol erklärte.
Diesen Ansatz verfolgt sie auch bei der Ausarbeitung ihrer legendären Flagships-Stores, die sich von Paris bis Tokio über den Globus ziehen. Dem Konzept der Neuen Sachlichkeit entsprechend, unterstreichen die cleanen, jedoch organischen Räume die Aussagekraft ihrer skulpturalen Entwürfe. Ihre Message, in allem, was sie tut, scheint "Weniger ist mehr" zu sein. Aber von dem Wenigen das Beste, was sich finden lässt.
Immer kampfbereit
Kühle und Strenge werden der deutschen Designerin nachgesagt, was sicher auch an ihrem makellosen Erscheinungsbild liegt. Blonder Bob, blaue Augen, drahtige Figur, oft im Hosenanzug, ernst in die Kamera blickend. Professionell bis in die Fußspitzen, entschieden und durchsetzungsstark. Gleichzeitig ist sie sensibel, oft nervös, zurückhaltend. Eigenschaften, die Perfektionisten nicht selten auszeichnen.
Sie lebt zurückgezogen, über Familie und Freunde hört man selten etwas. Denn das ist nicht, was im Mittelpunkt stehen soll: Nicht um Jil Sander als Person dreht es sich, sondern um sie als Designerin und Muse ihres eigenen Werks. Als Kopf ihres Imperiums, das bald auch Schuhe, Taschen, Brillen und Düfte umfasst, lastet die komplette Verantwortung auf Sanders Schultern.
Designer und Freund Peter Schmidt berichtet über ihre zitternden Hände – sie sei immer kampfbereit, wie er es nennt. Und kämpfen muss sie im Jahr 1999, als Jil Sander und die Prada-Gruppe fusionieren und sie mit dem temperamentvollen Prada-Chef Patrizio Bertelli aneinandergerät.
Jil Sander ohne Jil Sander funktioniert nicht
Sander verlässt ihre eigene Marke und widmet sich drei Jahre lang einem Leben, in dem sie Bücher zu Ende lesen, reisen und ihren hart erarbeiteten Erfolg auskosten kann. Doch Jil Sander ohne Jil Sander funktioniert nicht, und so kommt sie zurück, um das Label zu retten. Ein gefeiertes Comeback, das die damalige Chefin der italienischen "Vogue", Franca Sozzani, und auch die kritische Suzy Menkes mit Lobeshymnen überschütten.
Leichter, weicher sind ihre Kleider geworden, weniger streng, emotionaler, für eine jüngere Zielgruppe geschneidert, die anbeißt. Nach einem weiteren Weggang und Comeback verabschiedet sich Jil Sander schließlich von ihrer Marke, die seit 2017 erfolgreich von Lucy und Luke Meier fortgeführt wird.
Sander ist ihrer Zeit weit voraus. Sie lanciert Parfüm, als Düfte und Mode noch weit voneinander entfernt kreiert werden, führt ihre Firma 1989 als erste Frau in Deutschland im Vorstand eines Aktienunternehmens an die Börse. Ihr Stil findet den Höhepunkt seiner Anerkennung erst in den 1990er-Jahren, als extravagante Schlichtheit weltweit die Laufstege erobert. 20 Jahre, nachdem Sander ihre Visionen in Paris zum ersten Mal vorgeführt hatte. Pure Formen, starke Linien, kluge Schnitte – modern, aber nicht modisch.
Im Blick die Frauen, die ihren Erfolg selbst in die Hand nehmen, wie auch sie es tut. "Modern ist für mich eine Mode, in der das Individuum zu seinen Stärken findet," erklärte sie einst. Form folgt Funktion. Bequemlichkeit wird nicht durch Ästhetik eingebüßt. Jil Sander schafft es, dass man sich in ihren Kleidern selbst wie die Chefin einer der erfolgreichsten deutschen Modemarken fühlt. Sie nimmt Frauen, ihre Bedürfnisse und Bestrebungen ernst und hinterlässt so nicht nur der Welt der Mode ein reiches Erbe.