Markenidentität in der Mode

Ist Valentino jetzt das neue Gucci?

Die erste Valentino-Kollektion von Alessandro Michele sieht aus wie seine Gucci-Entwürfe. Das passt zu einem Trend: Die Chefdesigner der Modehäuser ändern sich ähnlich oft wie die Trainer im Fußball. Das schwächt die Markenidentität

"Valentino hat entschieden, dass niemand über das aktuelle Gucci am Gucci-Tag sprechen solle", verkündete der Instagram-Account @DietPrada am Montag in seiner Story. Es schien tatsächlich wie ein kleiner Stoß mit dem Ellenbogen. Gerade als Guccis kreative Leitung Sabato de Sarno seine zweite Herrenkollektion zeigen will, überrascht sein Vorgänger Alessandro Michele wenige Stunden zuvor mit einem extrem umfangreichen Lookbook. 

"Avant les Debuts" heißt Micheles erste Resort-Kollektion für Valentino. Seine Interpretation der Marke war gespannt erwartet worden, und Michele antwortete in bekannter Manier. Der ehemalige Gucci-Gott zeigte 171 Looks und 93 Accessoires, die er offiziell in knapp zwei Monaten entworfen hat. Nach seiner Ernennung zur kreativen Leitung des Maison Valentino im März war gemunkelt worden: Wird Valentino das neue Gucci? Oder hält sich der Meister des Maximalimus zurück und ordnet sich der ihm anvertrauten Markenidentität unter? 

Der erste Blick auf Micheles neuste Entwürfe ließ Liebhaber der klaren Linie verzweifeln: "Vucci", "Deja Vu(cci)" und "Ist das Resort in einem Wes Anderson-Film?" sind die netteren Kommentare. Er habe Gucci zu Valentino gebracht, die schicke elegante Silhouette der Marke durch seine überladenen Kitsch-Looks zu Kostümierungen verhunzt und solle doch bitte einfach seine eigene Marke gründen. 


Nach einem ersten Ausbruch wurden differenzierte Stimmen lauter. Michele habe sich ganz klar an den Valentino-Designs der 1960er-Jahre orientiert und die DNA des Hauses auf seine Weise interpretiert. Die Wahrheit ist vermutlich: Michele hat 20 Jahre lang für Gucci gearbeitet. Er hat dort gelernt und sicher auch viel Inspiration aus den Archiven gezogen. Jedoch war das von ihm bediente Gucci ein einzigartiges, das es so zuvor noch nicht in der Geschichte des Hauses gab

Durch seine dominante Handschrift hatte er dem Haus einen Anstrich verpasst, den viele noch immer mit dem Label verbinden. Sein Stil sticht heraus, hat einen großen Wiedererkennungswert. Und das, was wir heute bei Valentino gezeigt bekommen, ist Michele, nicht Gucci. Michele hat eine klare Botschaft zu seinem Debüt: "Was ihr seht ist, wie ich ihn (Valentino) treffe, und es sind meine Hände und meine Augen, die das Atelier nun bewohnen." 

Wollen Menschen heutzutage Kleider tragen, die aus den 1960er-Jahren stammen könnten? Das bleibt abzuwarten. Was viele sich aber wünschen, ist, sich auf eine Marke und ihre Ästhetik verlassen zu können. Einen ähnlichen Protest wie bei dem Fall Michele gab es bei Phoebe Philos Abschied von Céline und Hedi Slimanes Ankunft, inklusive negiertem accent aigu

Von dem einen auf den anderen Tag war alles anders

Von Kleidern, die Frauen verstehen und auf die sich weibliche "Philophiles" weltweit einigen konnten, ging es nun zu den kürzesten Röcken an den dünnsten Models, Mini-Lederjacken und Glitzerkleidchen. Mode, die an normalen Menschen kaum gut aussehen kann. Von dem einen auf den anderen Tag war alles anders. Während früher ein Designer ein Modehaus gründete und sein Leben lang eine visuelle Identität schuf, seine puren Visionen in die Welt hinausschmetterte, ist heute kaum noch ein Original bei dem von ihm etablierten Label. Neue Designer und alte Marken fusionieren, ziehen sich an und stoßen sich ab.

Seit Jahren schon wird das sich immer schneller werdende Designer-Roulette beobachtet und kritisiert. In rasanter Geschwindigkeit wechselt die kreative Leitung bei großen Modehäusern. Michele zu Valentino von Gucci, Sabato de Sarno von Valentino zu Gucci, neuer Direktor bei Blumarine, bei Tods, bei Moschino. Die nächste große Entscheidung steht nach Virginie Viards Abgang bei Chanel an

Dieses Hin und Her bedeutet bei treuen Kunden stets ein neues Verkraften, Anfreunden und Adaptieren. Gleichzeitig wird von den Entscheidern, die in den Luxuskonzernen wie LVMH oder Kering das Sagen haben, kaum mehr ein Risiko eingegangen. Während in den 1990er-Jahren die jungen Wilden, John Galliano und Marc Jacobs, an die gigantischen Modehäuser Dior und Louis Vuitton geholt wurden, traut sich so etwas heute kaum einer mehr. Es werden Designer rekrutiert, von denen sich die CEOs Sicherheit erhoffen. Dadurch mag eine Marke sich verändern, jedoch nicht in einem radikalen Sinne, sondern eher in die Richtung der Gleichgültigkeit. 

Das Produkt wird sich immer ähnlicher

"Dies ist eine Welt, in der der 1000-Dollar-Kapuzenpullover einer Marke nicht von dem einer anderen Marke zu unterscheiden ist. In der es einfacher ist, die Form einer Boxbag mit goldener Logo-Hardware zu kopieren, die bei einer anderen Marke funktioniert, als eine einzigartige Form für sich selbst zu entwickeln. Die Kunden haben das begriffen und geben ihr Geld lieber für einmalige Erlebnisse oder schwer zu findende Vintage-Stücke aus, als dass sie das Gleiche haben wie alle anderen", schreibt "Business of Fashion"-Gründer und Chefredakteur Imran Amed. 

Designer kommen und gehen, doch das Produkt wird sich immer ähnlicher, denn die Kreativen bestimmen nicht. Die Chefs sind letztlich die, die den Einsatz der finanziellen Ressourcen erteilen können. Die Unternehmer Bernard Arnault (LVHM) und Francois-Henri Pinault (Kering) etwa. Ihre Visionen und die der Modeschöpfer entzweit sich mehr und mehr. Den einen geht es um quasi garantierten Umsatz, den anderen darum, ihr Talent in Kleidung umzusetzen – die manche mögen und andere nicht. Es geht also nicht bloß um das Problem, seine Lieblingskleider in dem einen Jahr von dieser und im nächsten von einer anderen Marke zu kaufen. Sondern auch darum, dass signifikante Codes brillanter Designer abgeschwächt werden, um einer konsumentenfreundlichen Vorstellung zu entsprechen. 

Bei diesen Aussichten fühlt es sich fast verpflichtend an, ausgeprägte Design-DNA wie die von Alessandro Michele wertzuschätzen. Wie gut, dass er den Michele-Effekt ausleben darf. Kreativdirektoren sollten ihren eigenen Stil mitnehmen und zelebrieren dürfen, immer unter der Bedingung, das Erbe der jeweiligen Marke zu wahren, an der sie sich gerade probieren. Das fühlt sich gesund an. Toxisch wird es, wenn aus Angst, dem ständigen Wachstum nicht standhalten zu können, der immer gleiche Einheitsbrei zu immer exorbitanteren Preisen wird.