Liberty Adrien, Carina Bukuts, Sie haben zuvor erst einmal zusammen gearbeitet, daraus ist ihr Entschluss gewachsen, sich gemeinsam auf die Leitung des Portikus in Frankfurt am Main zu bewerben. Sind Sie in allem so schnell?
Liberty Adrien: Die Zeit zwischen unserem Kennenlernen, unserer gemeinsamen Zusammenarbeit und der Ernennung als kuratorisches Duo für Portikus verlief sehr fließend. Die aufeinanderfolgenden Lockdowns gaben uns viel Raum, um uns auszutauschen und eine starke Freundschaft aufzubauen, die sich während des Ausstellungsprojekts "Balade" in Berlin als wertvoll erwies. Als es die Möglichkeit gab, sich gemeinsam für den Portikus zu bewerben, erschien uns das ganz natürlich. Wir hatten gerade mehr als ein Jahr damit verbracht, zuerst jedes Wochenende, dann jeden Tag und fast jeden Abend zusammen an einem Projekt zu arbeiten. Die Bewerbung gab uns die Gelegenheit, unsere Überlegungen darüber, was die Rolle von Kulturinstitutionen in der heutigen Gesellschaft ausmacht, weiterzuentwickeln. Wir waren beide bereit für neue Herausforderungen und wollten diese auch weiterhin gemeinsam anpacken.
Und wie kam es zu dem Ausstellungsprojekt "Balade" im öffentlichen Raum in Berlin-Charlottenburg?
Carina Bukuts: In der Pandemie haben Liberty und ich – wie viele andere vermutlich auch – sehr viel Zeit in unserer unmittelbaren Nachbarschaft verbracht. Auf unseren Spaziergängen durch Charlottenburg haben wir uns viel über Kunst und den öffentlichen Raum unterhalten und sind auf Orte gestoßen, von denen wir dachten, dass sich anhand dieser nicht nur viel über die Geschichte Berlins erzählen lässt, sondern sie sich auch gut eignen würden, um zeitgenössische Kunst auszustellen. Für jeden Ort haben wir eine Künstlerin oder einen Künstler aus Berlin eingeladen, ihn zu bespielen. Wir sind auf viel positive Resonanz gestoßen, denn viele von ihnen haben uns erzählt, dass sie sehr selten gefragt werden, in ihrer eigenen Stadt auszustellen. Das hat uns selbst überrascht. Sieben Wochen lang war der Ausstellungsparcours kostenfrei zugänglich. In der Orangerie am Schloss Charlottenburg war eine Installation von Willem de Rooij zu sehen und im Stadtraum Werke von Slavs and Tatars auf Litfaßsäulen. Vieles, was wir in "Balade" umgesetzt haben, prägt auch unsere Pläne für den Portikus: von einem generationenübergreifenden Ansatz bei der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler bis zur Vielfalt der künstlerischen Sprachen und der Rolle von Zugänglichkeit.
Carina Bukuts, Sie waren zuvor Kunstkritikerin beim Magazin "Frieze". Haben Sie das Gefühl, die Seiten gewechselt zu haben?
CB: Ich glaube, es gibt viele Parallelen zwischen der redaktionellen und kuratorischen Arbeit. In beiden Bereichen ist ein hohes Maß an kritischer Reflexion über die Gegenwart benötigt und es stellt sich die Frage, welchen Stimmen und Diskursen Raum gegeben wird – sei dies nun in den Seiten eines Magazins oder in den Räumlichkeiten einer Institution. Ich glaube, dass jede Form von Selektion an Verantwortung gekoppelt ist und dass Kuratoren und Kuratorinnen, Wissenschaft und Kritik alle gemeinsam ihren Beitrag leisten, Kunst in all ihrer Komplexität zu vermitteln. Das Schreiben wird auch immer ein wichtiger Teil meiner Praxis bleiben, aber auf einer persönlichen Ebene habe ich gemerkt, dass mir der Dialog mit einer breiteren Öffentlichkeit zunehmend wichtiger wurde.
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten in den Tätigkeiten, wo die Unterschiede?
LA: Es gibt viele Gemeinsamkeiten in unserer Herangehensweise an Kunst und Kultur. Sowohl die Kuratorin als auch die Kritikerin interessiert sich für die Gegenwart und soziopolitische Entwicklungen, wovon die Kunst ja oft ein Spiegel ist. Wir sind in zwei verschiedenen Ländern aufgewachsen und haben unterschiedliche Kunstgeschichten studiert. Diese Erfahrungen haben uns auch viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Wir haben zwei verschiedene Werkzeugkästen, wie Carina oft sagt, die sich sehr gut ergänzen. Unsere Unterschiede werden zu einer Stärke, wenn wir unser Wissen kombinieren und es gleichzeitig im gemeinsamen Austausch auch immer wieder überprüfen.
Der Portikus mit seiner unmittelbaren Anbindung an die Städelschule hat als Ausstellungshaus eine Sonderposition. Welche Rolle hat der Portikus für Sie beide bisher immer gespielt?
CB: Als ich in Frankfurt angefangen habe zu studieren, habe ich unweit des Portikus gewohnt und habe jeden Tag die Alte Brücke überquert. Die Ausstellungen und Veranstaltungen im Portikus haben meinen Horizont für künstlerische Praktiken erweitert und mir auch gezeigt, wie sich eine Institution außerhalb rigider Systeme denken lässt. Der Portikus hat mich wie kein anderes Ausstellungshaus geprägt und ihn gemeinsam mit Liberty die nächsten Jahre kuratorisch gestalten zu dürfen, ist eine große Ehre.
LA: Da ich in Paris studiert habe, habe ich den Portikus erst später kennengelernt, als ich in Hamburg den Kunstraum Âme Nue gegründet habe. Ich war damals auf der Suche nach Modellen von Räumen, die sich durch viel Freiheit auszeichnen. Gemeinschaftsbasierte Projekte, bei denen das Experimentieren im Zentrum steht. Der Portikus ist in dieser Hinsicht eine großartige Referenz gewesen, der mich auch auf einer konzeptionellen Ebene inspiriert.
Und die Städelschule?
CB: Viele von meiner Weggefährten haben dort ihren Abschluss gemacht, und auch wenn ich dort selbst nie studiert habe, hatten die wöchentlichen Vorträge von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, Theoretikerinnen und Theoretikern einen großen Einfluss auf mein Verständnis von Kunst. Ich habe es als großes Geschenk empfunden, diesen Menschen zuhören und so nah an der Produktion von Kunst dran sein zu können. Umso schöner ist es, dass viele der Vorträge der letzten 20 Jahre nun in einem Doppelband verfügbar sind.
Liberty Adrien, Sie haben kuratorische Erfahrungen in Paris und Hamburg gesammelt. Gibt es Künstlerinnen oder Künstler, denen Sie aus dieser Zeit verbunden sind und bleiben?
LA: Ja, natürlich, auch Kulturschaffende wie Kuratorinnen, Journalisten, Musikerinnen, aber auch andere Mitglieder der Gemeinschaft. Es ist wichtig, sich immer daran zu erinnern, woher man kommt. Carina und ich verstehen den Portikus als einen Ort der Begegnung, an dem unterschiedliche Menschen sich um Ideen versammeln können. Paris und Hamburg sind tolle Städte und wir freuen uns sehr darauf, den Dialog mit Frankfurt zu stärken.
Wie nehmen Sie Frankfurt wahr – was ist hier nötig, und was ist unter Umständen hier eher möglich als in anderen Städten?
CB: Frankfurt ist eine sehr internationale Stadt und hat für seine Größe eine wirklich beachtenswerte Dichte an unterschiedlichen Kulturinstitutionen, die alle ein sehr eigenes Profil haben, was ich schätze. Wir glauben, dass es ein großes Potential für Kollaboration zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren der Stadt gibt. Damit ist nicht nur ein Gespräch zwischen jeweiligen Ausstellungshäusern gemeint, sondern auch mit der Stadtgesellschaft, die in Frankfurt sehr aktiv und engagiert ist.
LA: Mein erster Eindruck von Frankfurt ist, dass es eine sehr einladende Stadt ist. Ich bin sehr beeindruckt von der herzlichen Reaktion, die wir erhalten haben, seit wir im Portikus angefangen haben. Es ist eine Stadt mit einer lebendigen Kulturszene und Frankfurts einzigartige geografische Lage an der Kreuzung vieler dynamischer europäischer Städte bietet zudem eine Chance, Kollaboration auch international zu denken.
Der Portikus liegt mitten auf dem Fluss, Sie teilen sich die kleine Maininsel mit einem Ruderverein und jeder Menge Enten. Wie ist das?
LA: Das ist eine großartige Eigenschaft des Portikus. Es ist wirklich etwas Besonderes, eine von Wildtieren bewohnte Insel als Arbeitsstandort zu haben und die Geräusche unserer “Entenfreunde” bilden den Soundtrack unseres Arbeitsalltags. Die Maininsel ist wie eine kleine Oase in der Stadt. Auch die Beziehung zum Wasser, die Schiffe und der Ruderclub, die wir von unserem Fenster aus sehen, ist einzigartig. Wir sagen gerne, dass der Portikus zwischen zwei Brücken steht und sich deswegen besonders anstrengen muss, Brücken zu unterschiedlichen Gemeinschaften zu bauen.
Sie haben angekündigt, Ihr Programm mit einer Ausstellung von Asad Raza zu beginnen. Was interessiert Sie an diesem Künstler besonders?
CB: Asad Razas Werke nehmen oft sehr unterschiedliche Formen an: von einem Tennisplatz, den er in einer barocken Kirche installiert hat, bis hin zu der Erzeugung von recycelter Erde, die sich aus Abfällen der Stadt speist. Zentral für seine Praxis ist immer die Kollaboration mit lokalen Akteuren und die Partizipation des Publikums. Wer schon mal eine Ausstellung des Künstlers gesehen hat, weiß, dass seine Arbeiten immer Einladungen für einen Dialog sind: Ob das nun das gemeinsame Tennisspiel ist, ein Gespräch oder die Mitnahme von Erde ist. Auf eine gewisse Art ist Razas dialogische Arbeitsweise auch sehr ähnlich zu unserem Verständnis, was die Rolle einer Institution ist. Sein künstlerischer Ansatz negiert klassische Kategorisierungen und ist sehr prozessorientiert, sodass wir glauben, dass er ideal zum Portikus passt, wo das Experimentieren seit seiner Gründung im Vordergrund steht.
Welche weiteren Programmpunkte haben Sie vor?
LA: Unser Programm verbindet konzentrierte Ausstellungen mit spontanen Veranstaltungen und kurzlebigen Aktivierungen. Im Herbst wird der Portikus während der Frankfurter Buchmesse ein Ort sein, an dem das künstlerische Publizieren im Vordergrund steht. Das Format, das wir hierfür planen, wird sich an der Schnittstelle zwischen Messe und Ausstellung befinden und soll ein Ort für Begegnungen und Entdeckungen sein. Da der Portikus eine einzigartige Beziehung zur Städelschule hat, haben wir auch die Professorinnen und Professoren eingeladen, mit uns über Veranstaltungen nachzudenken, die wir gemeinsam realisieren können. Als Kunsthalle mit freiem Eintritt möchten wir insbesondere den Aspekt der Vermittlung stärken und werden kostenlose Führungen in mehreren Sprachen anbieten und neue Wege der Wissensvermittlung entwickeln. Viele Ideen sind in Arbeit und wir freuen uns darauf, sie bald mit Ihnen zu teilen.
Letze Woche hat eine Ausstellung des Hamburger Fotografen Jochen Lempert eröffnet.
CB: Für die Ausstellung beschäftigt sich Jochen Lempert mit der Ökologie der Maininsel selbst und wir sind sehr gespannt, wie er seine Fotografien im Portikus inszenieren wird. Die Schau ist kuratiert von Yasmil Raymond, Rektorin der Städelschule und Direktorin des Portikus, mit Deborah Müller, kuratorische Assistentin des Portikus. Etwas, das wir vielleicht schon verraten können, ohne zu viel preis zu geben ist, dass Jochen Lempert mit seinen Fotografien gleich zwei Ebenen des Portikus bespielen wird und durch den Blick nach draußen einen tollen Dialog mit der Natur und dem Wildleben erzeugt, die die Kunsthalle umgibt. Zusätzlich zur Ausstellung, die bis zum 5. Juni zu sehen sein wird, hat er auch eine Publikation konzipiert, die bald erhältlich sein wird.
Als der Angriff Russlands auf die Ukraine begann, waren Sie auf Reisen. Welche Gedanken haben Sie sich als Ausstellungsmacherinnen und Leiterinnen eines Hauses gemacht?
Wir waren sehr schockiert als uns die Nachrichten über die Invasion erreicht haben. Unsere Gedanken sind bei den Menschen der Ukraine, die gerade der ganzen Welt ihre Widerstandskraft zeigen. Kunst und Kultur richten sich grundsätzlich gegen die imperialen und exkludierenden Denkmuster, die Kriege dieser Art auslösen. Als Institution unterstützen wir Künstlerinnen und Künstler dabei, ihre Visionen zu verwirklichen und wir glauben, dass es nun wichtiger denn je ist, Stimmen in unserer Gesellschaft Gehör zu verschaffen, die bald verstummen könnten. Kunsträume sind Schutzräume und wir überlegen mit viel Sorgfalt, inwieweit der Portikus in seiner Rolle als Plattform globaler Solidarität gestärkt werden kann, wo Toleranz, Gleichheit und Inklusion praktiziert werden.