Diese Schau ist eine große Selbstbehauptung in starken Farben: Zum 50. Geburtstag des Hip-Hop haben das Baltimore Museum of Art und das Saint Louis Art Museum im vergangenen Jahr eine Ausstellung über die Kunst des Hip-Hop konzipiert, die jetzt von der Schirn in Frankfurt am Main übernommen wurde.
Der Legende nach mixte und sampelte DJ Kool Herc im Jahr 1973 auf einer Party in bisher ungehörter Art und Weise Songs auf der großen Anlage seines Vaters, die eigentlich für Gospel-Konzerte genutzt wurde. Die Blockpartys, die Kool Herc und seine Schwester Cindy Campbell veranstalteten, gehören zum Gründungsmythos des Hip-Hop, genau wie Goldketten und Trainingsanzüge – das ist längst Geschichte.
Aber was ist mit der Gegenwartskunst, um die es in der Schau "The Culture" vor allem gehen soll? Allein die Einflüsse von Graffiti auf die zeitgenössische Malerei könnte eine eigene, eine ganz andere Ausstellung ergeben. Stattdessen geht es in der Schirn nun hauptsächlich um Repräsentation, also um Malerei. Tschabalala Self hat ihre ältere Schwester Seta porträtiert, im Jahr 1996 am Festnetztelefon in einem gepunkteten Bikini, an der Wand das Skandalposter von Lil’Kims Album "Hard Core" aus demselben Jahr: Die Rapperin in leichter Untersicht, mit gespreizten Beinen im Glitzerbikini.
Die Geschichte erzählt sich selbst weiter
Kaum noch erinnert man sich, wie viel Aufregung dieses Cover einmal verursacht hatte, und wie viele Diskurs-Karambolagen von Sexismus, Feminismus, Appropriation und Selbstbestimmung es seither gegeben hat. Die Geschichte erzählt sich selbst weiter, in der gesamten visuellen Welt des Hip-Hop viel schneller als in der bildenden Kunst, das merkt man hier ganz deutlich.
Wie sich die Fäden weiterspinnen, neu verzweigen und überlagern visualisiert ein Werk von Jayson Musson, der bunten Baumwollstrick auf großformatige Leinwand spannt. Die bunte 3D-Technik des Labels Carlo Colucci war einst die Freizeitkleidung saturierter Cabriofahrer, landete dann auf den Ramschtischen und wurde schließlich vom Hip-Hop wieder geadelt.
Hier erinnert das kompliziert verwobene Garn genauso an abstrakte Malerei wie an die Pullover des Entertainers und verurteilten Vergewaltigers Bill Cosby und seine sich ans weiße TV-Publikum anbiedernde Väterlichkeit. Dass deutsche Rapper wie Bushido, Eko Fresh, Fler und die Frankfurter Celo & Abdi die Marke Carlo Colucci in ihren Songs huldigen, muss genauso unerwähnt bleiben wie die Tatsache, dass das Unternehmen aus Franken stammt.
Was hat Hip-Hop wirtschaftlich für Gucci oder Louis Vuitton getan? Fast alles
Gerade die Mode bietet so viele erzählerische Stränge und Hin- und Herbewegungen wie ein Schiffchen auf dem Webstuhl. War es doch ausgerechnet Karl Lagerfeld ("Wer Jogginghosen trägt hat die Kontrolle über sein Leben verloren"), der als Kreativchef von Fendi damals den Designer Dapper Dan verklagte. Daniel Day hatte in den 80ern und 90ern seine maßgeschneiderte Kleidung mit unlizensierten Markenlogos bedruckt – LL Cool J oder Salt-n-Pepa trugen seine expressiven Designs.
Später wird der geschäftlich ruinierte Designer von Gucci kopiert, und als der Aufschrei der Community für das Unternehmen bedrohlich wird, zu einer Kollaboration eingeladen. 2017 entwirft Dapper Dan das Guccissima Leather Down Jacket für das große Couture-Haus, in der Ausstellung ist es als verkürzte Chiffre einer langen, brutalen Geschichte zu sehen. Was hat Hip-Hop wirtschaftlich für Gucci oder Louis Vuitton getan? Fast alles. Auch aus solchen Fragen könnten Ausstellungen werden.
Die Liste der bildenden Künstlerinnen und Künstler ist ausgewogen und gegenwärtig. Ein Basquiat ist als historische Position dabei, Kehinde Wiley fehlt, es geht wohl auch nicht um Vollständigkeit. Anthony Olubunmi Akinbolas Arbeit "Camouflage" (2019) besteht aus schimmernden schwarzen Durags, den im Nacken gebundenen Nylon-Kopftüchern, die durch Hip-Hop-Künstler wie LL Cool J, 50 Cent oder Nelly populär wurden.
Material, das sich neu abmischen lässt
Die lokalen Bezüge des Hip Hop, als Geschichte postmigrantischer Selbstermächtigung längst das Thema von Doktorarbeiten und im Rhein-Main-Gebiet reich und ausgeprägt, sind an andere Orte ausgelagert und kommen nur punktuell vor. Im Techno-Museum Momem werden für 40 Euro Graffiti-Workshops für Jugendliche angeboten, und das Filmmuseum zeigt "Wild Style" von 1982.
Ein bisschen ist es so, als wolle die aus den USA stammende Ausstellung jetzt ganz offiziell Hip-Hop einen Platz in der Kultur geben, den die Bewegung längst hat – auch vor der Haustür der Schirn. Vielleicht muss man "The Culture" als gelungenes, solides Ausgangsmaterial sehen, das sich jetzt neu sampeln und aktuell abmischen lässt.