Helen Frankenthaler in Florenz

Innovation für die Abstraktion

Für die Künstlerin Helen Frankenthaler sollten beim Malen keine Regeln gelten. Mit ihren strahlenden Farbkompositionen hat sie den Abstrakten Expressionismus geprägt, in Florenz ist sie nun inmitten ihrer Weggefährten zu sehen

Werke, die zueinander sprechen, die voneinander inspiriert sind, deren Künstler Freundschaften pflegten und die heute zu einem Kunstschatz gehören. Das sind die Malereien der neuen Ausstellung im Palazzo Strozzi in Florenz: "Helen Frankenthaler - Malen ohne Regeln". 

Nach vielen männlichen Künstlern im Programm des Hauses tut es gut, in den altehrwürdigen Mauern eine auf eine Frau konzentrierte Schau zu betrachten. Fluidität und Farben, ein angenehm wahrzunehmender Ausbruch aus dem kontrollierten Handeln: Helen Frankenthaler (1928 - 2011) bewegte sich in ihren Bildern zwischen Zufall und Absicht. Dazwischen warten immer wieder legendäre Werke ihrer Zeitgenossen, die mit den ihren in Verbindung stehen. Versprochen wird, dass gerade durch diesen Dialog auch diejenigen, die die Künstlerin nicht kennen, verstehen werden, wer sie war.

Frankenthalers Karriere erstreckte sich über mehrere Jahrzehnte. Die aktuelle Ausstellung zeigt dementsprechend Werke von den 1950er-Jahren bis 2002. Raum für Raum erzählen sie den Werdegang der Malerin. Der erste Saal erwartet sein Publikum mit der breiten Leinwand "Moveable Blue" (1973), die Frankenthalers hohe Ansprüche an sich selbst reflektiert, wie es Kurator Douglas Dreishpoon erklärt. Das Bild zeigt auf besonders beeindruckende Art ihre in den 1950er-Jahren entwickelte "Soak-Stain"-Technik, also ein Aufsaugen der Farbe in den Stoff. Zwei blaue Seen, von gelben Inseln umrahmt, ein oranges Plateau in ihnen aufsteigend. 

Inspiriert von der Arbeit Jackson Pollocks und Willem de Kooning, goss Frankenthaler verdünnte Ölfarbe auf ungrundierte Leinwände und ließ die Farbe in das Gewebe einsickern, wodurch leuchtende, beinahe ätherische Kompositionen entstanden. Durch die Abkehr von einer gestischen Pinselführung, den Fokus auf spontane Farbe und die Interaktion zwischen Untergrund und Tönung, gelang ihr eine Innovation in der Abstraktion. Dieser Stil sollte sie zu einer der prägendsten Künstlerinnen des Abstrakten Expressionismus machen. 

Beziehungen sind Kunst

Farbfelder verschwimmen, verschmelzen miteinander. Dann wieder sind feinste Details zu erkennen, zarte Linien und Schwammabdrücke, die für Verbindungen stehen. Stets sichtbar bleibt dabei ein klarer Austausch zwischen Frankenthalers Werken und denen von Jackson Pollock, Anne Truitt, Anthony Caro, Mark Rothko, David Smith und Robert Motherwell: Künstler, die ihre Arbeit geprägt haben, oder gar ihr ganzes Leben - wie Motherwell, den sie 1958 heiratete. 

Douglas Dreishpoon, Leiter des Catalogue-Raisonné-Projekts der Helen Frankenthaler Foundation in New York, beschreibt, dass die Beständigkeit der Malerin viel mit diesen Freundschaften und Begegnungen zu tun habe. Man müsse sie studieren, von ihnen lernen. So würde ein Kontext für Frankenthalers Werke geschaffen. Die Zusammenhänge kann der Besucher für sich selbst entdecken, wenig wird dazu erklärt. Alles andere würde den fließenden, freien Arbeiten und deren Entstehung auch nicht gerecht werden. Die Ambiguität in Frankenthalers Werken macht sie zu einer subjektiven Erfahrung, ebenso ihre Beziehung zu den weiteren Werken. 

Im zweiten Saal steht Frankenthaler Jackson Pollocks "Number 14" (1951) gegenüber. Sie lebte in New York und widmete sich experimenteller Kunst, als sie dessen Ausstellung samt dieses Bildes besuchte. In Pollocks abstrakter Kunst entdeckte sie versteckte Bilder, die sie in ihrer Arbeit wieder aufnahm, identifizierte sie Bedeutungsebenen. Einen Raum weiter hängt "Alassio" (1960), das Frankenthaler kurz nach ihrer Hochzeit mit Robert Motherwell fertigstellte und das an ihren Sommer in einer ligurischen Villa erinnert. 

Offen für Überraschung oder Scheitern

In den bunten, lebendigen Sprenkeln ist gut sichtbar ein Quadrat platziert, das von roten Formen umspielt wird. Geometrische Details inmitten eines bunten Rauschens bilden ein sich wiederholendes Element, das man als aufmerksame Betrachterin überall entdeckt. David Smiths "Untitled (Zig VI)", eine gelb bemalte Skulptur aus rechteckigen Formen, auf kleinsten Rädern stehend, ist gleich daneben platziert. Seine Arbeiten widmete er oft seinen Töchtern. Eine klare Korrespondenz ist in der Leichtigkeit und dem feinen Humor zu finden, die in den Werken beider Künstler durchscheinen. 

Sie teilten sich auch den Leitspruch, der schließlich den Titel der Ausstellung inspirierte: "No Rules - Keine Regeln!" Egal, welchem Material und welcher Kunstform sie sich widmeten, sie waren offen für Überraschung oder Scheitern. Nur so war es ihnen möglich, bestehende Grenzen zu erweitern und sich auf eine neue Art auszudrücken. "Malen ohne Regeln" - entsteht dann nicht Chaos, eine Willkürlichkeit? Nein, Frankenthaler lernt sich kennen, entwickelt sich weiter, was besonders gut in den nach Jahrzehnten sortierten Etappen der Ausstellung sichtbar wird. 

Die Namen neben den Bildern an der Wand sind beeindruckend. Doch sie für einige Momente auszublenden und sich allein auf die Farben zu konzentrieren, lohnt sich. Einer der schönsten Säle zeigt Frankenthalers "Mornings" (1971), gelbe Schattierungen, die wie Dünen nebeneinander liegen. An der Wand daneben ihr "Ocean Drive West #1", lebendiges Blau, durch das sich längliche Farbtupfen ziehen; wie Schwimmer, Flöße oder entfernte Inseln. In der Raummitte ihre Skulptur "Heart of London Map" (1972). Sie lebte in diesem Jahrzehnt nah am Meer. Das Wasser zu sehen und die Sonne zu spüren tat ihr gut, das versteht man sofort beim Betrachten der Werke. 

Neues Verständnis von Raum und Licht

Ohne Regeln zu arbeiten, heißt auch, Ängste zu überwinden. Nichts als selbstverständlich anzusehen, was man schon erschaffen hat und für zukünftige Werke stets nach neuen Wegen zu suchen. In den 1990er-Jahren begann Helen Frankenthaler etwa, mit einem Gel zu arbeiten, das ihren Bildern eine Art zweite Haut verpasste, die sie manipulieren und in Lagen anordnen konnte. Ob Instrument oder Medium, sie probierte sich aus. "Mit der Zeit bleibt uns das Beste übrig", äußerte sich die Künstlerin selbst zu ihrer Schaffensweise. Helen Frankenthaler wurde als eine der wenigen Frauen in der damals männlich dominierten Kunstwelt groß. Ihre Werke geben eine (feminine?) Empfindsamkeit wieder, die sie von ihren Inspirationsquellen und Freunden abgrenzt - und die gerade in dem hier aufgezeigten Kontrast von männlichen Wegbegleitern auffällt.

Ihre späten Werke widmeten sich der Kosmologie; neblig und verträumt, doch auch immer kräftig und präsent. Die Ausstellung endet mit "Driving East" (2002). Ein anthrazitfarbener Himmel über einer dunklen Landschaft, zwischen ihnen ein feiner Silberstreif. Geht die Sonne auf oder unter? Blickt man auf ein Ende oder einen Anfang? Unwillkürlich versucht man, die Lichtquelle auszumachen, die am Horizont zu erspähen ist. 

Und kennt und versteht man Helen Frankenthaler nun am Ende des Rundgangs? Man bekommt einen Einblick in ihre persönlichen Beziehungen, wie etwa in den Werken "Cassis" und "Solar Imp" (beide 1995). Lernt ihr Interesse an den großen Meistern kennen, die ihr zu einem neuen Verständnis von Raum und Licht verhalfen, was vor allem in ihren Werken der 1980er-Jahre sichtbar wird. Doch vielleicht ist es vor allem der Titel der Schau, den man begreifen muss. Frankenthaler hat sich nie gefragt, warum sie malt, oder für wen. "Ich glaube, Kunst ist eine Ordnung im Chaos", liest sich ein Satz an der Wand. Mehr Regeln braucht es nicht.