Ein Jahr "He Will Not Divide Us"

Zerlegt, auferstanden, zerlegt, auferstanden

Sie wollten gegen die Spaltung des Landes unter Trump protestieren und wurden von Neonazis unterwandert und angegriffen: Seit einem Jahr spielt das Kunstkollektiv LaBeouf, Rönkkö & Turner mit ihrer Livestream-Performance "He Will Not Divide Us" unfreiwillig Katz und Maus mit Alt-Right-Aktivisten

Die Intention ist noch immer gut nachvollziehbar: Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verspürten nicht nur Künstler den Impuls, sich zu diesem überraschenden Sieg öffentlich zu verhalten. Der Schauspieler und Selbstinszenierer Shia LaBeouf startete am 20. Januar – am Tag der Amtseinführung Trumps – zusammen mit den Künstlern Nastja Säde Rönkkö und Luke Turner vor dem Museum of the Moving Image in New York einen 24-Stunden-Livestream, der die nächsten vier Jahre, während der quälend langen Amtszeit des neuen Staatsoberhaupts, auf dem Vorplatz des Ausstellungshauses im Stadtteil Queens laufen sollte. Die "He Will Not Divide Us" betitelte Installation wollte Menschen die Möglichkeit bieten, mit dem Mantra "Er wird uns nicht spalten" vor einer Webcam gegen den umstrittenen Präsidenten Geschlossenheit zu demonstrieren.

Eine Idee, so simpel und banal wie ein Status-Update, mit dem sich eine Community versichert, auf der richtigen Seite zu stehen. Doch dann kam Bewegung in die gut gemeinte, aber eben langweilige und unkünstlerische Sache: Neurechte Aktivisten kaperten den Livestream.

In den USA führen Anhänger der Alt-Right-Bewegung im Internet einen skurrilen und hasserfüllten Propagandakampf gegen das nach ihrer Ansicht herrschende liberale Meinungsmonopol der etablierten Medien und Politik. Den Wahlsieg Donald Trumps verbucht diese Szene, die auf selbstverwalteten Foren wie 4chan und Reddit aktiv ist und deren eigentliche Größe kaum auszumachen ist, selbstbewusst als ersten Erfolg für sich. Doch ihre diffamierende Bild- und Sprachrhetorik, ihre Codes und Symbole (mit Pepe etwa haben sie einen unfassbar hässlichen Comicfrosch als Galionsfigur gewählt) sind so verklausuliert, dass man eine tatsächliche Breitenwirkung bezweifeln darf.

"He Will Not Divide Us" jedoch zerlegten die Rechten mit einer überraschenden Gründlichkeit. Vielleicht weil ein prominenter, privilegierter Hipster wie LaBeouf besonderen Hass auf sich zieht, vielleicht weil dieses Kunstwerk so konsensselig angelegt war oder weil es durch den Livestream ein Teil der Internetkultur wurde – die von den Künstlern bereitgestellte Einladung zur Anti-Trump-Demonstration wurde innerhalb weniger Tage in einen Kanal für testosterongefluteten, nerdigen Zynismus verwandelt.

Eine neue Subkultur im Moment ihres größten Triumphes
Anfangs waren es noch vereinzelte Neonazis, die in dem bunten Haufen aus Selbstdarstellern und ernsthaft engagierten Jugendlichen auftauchten, etwa ein Irrer mit SS-Einheitsmütze, der wiederholt "1488" in die Kamera sprach. Die Zahl kombiniert zwei szenebekannte Codes: "88" steht für "Heil Hitler", "14" für den Satz "Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft für die weißen Kinder sichern". LaBeouf brüllte daraufhin dem Mann so lange "Er wird uns nicht spalten" ins Ohr, bis dieser schließlich verschwand. Wenige Tage später tauchte ein weiterer Mann auf, der den Satz: "Hitler did nothing wrong" in die Kamera sprach, woraufhin er von LaBeouf, Sohn einer jüdischen Mutter, angegangen wurde. Der Schauspieler wurde sogar kurzzeitig festgenommen, er soll den Mann im Gesicht gekratzt haben.

Nach diesen Vorfällen regulierte das Museum den Zugang zum Platz. Außerdem war nun dauerhaft Polizei vor Ort. Doch es dauerte nur eine Woche, bis vor der Webcam fast ausschließlich Alt-Right-Typen ihr Programm abzogen, Gruppen, die überraschenderweise kaum weniger bunt waren als ihre liberalen Gegner: Dumpfbacken mit roter "Make America Great Again"-Kappe, beredte Ivy-League-Streber, ein asiatischer Amerikaner mit dem Spitznamen Jacky 4Chan, Slacker mit Kinnbart, Wollmütze und Hitlergrußtourette, Richard-Spencer-Lookalikes, dunkelhäutige White-Supremacy-Ideologen ...

Wem 4chan und Reddit zu kompliziert ist, konnte hier live und rund um die Uhr eine neue Subkultur im Moment ihres größten Triumphs – den Trump-Sieg – beobachten, die Freude an der Provokation, die Feier der eigenen "Erbärmlichkeit" (nachdem Hillary Clinton Trump-Unterstützer "erbärmlich" nannte, adoptierten viele trotzig den Begriff und die Haltung), den Sarkasmus und auch den Einfallsreichtum, in endlosen Internet-Foren erarbeitet, jetzt hier auf der Straße performt, als – tatsächlich? – Teil eines Kunstwerks.

Läppisches Gerangel um Meme und Symbolik
Eine Woche nach der Amtseinführung, als Trump gerade sein erstes Dekret für den Einreisestopp von Bürgern bestimmter muslimisch geprägter Länder vorlegte, war in New York die Wut überall zu spüren: Die Rezeptionistin meines Hotels schaute kaum auf, als ich einchecken wollte, weil sie damit beschäftigt war, ein "Refugees Welcome"-Schild zu malen, ein Korrespondent für eine große deutsche Zeitung erklärte mir, warum es völlig in Ordnung sei, einen Neonazi wie Richard Spencer zu schlagen, auf dem Weg zum Flughafen, den gerade niemand mehr mit Uber zurücklegen wollte, weil der Dienstleister die Proteste der New Yorker Taxifahrergewerkschaft unterwanderte, traf man Demonstranten, die riesige Schilder hinter sich herzogen: "Mr President, this shit is illegal!"

Jetlagbedingt schaute ich mitten in der Nacht "He Will Not Divide Us", und irgendwann in den Morgenstunden sagte einer der Alt-Right-Anhänger, die so gar nicht aussahen wie Neonazis, vor der Webcam den erstaunlichen Satz: "Es ist schon lustig, dass die Liberalen das, was wir hier gerade machen, ernst nehmen." Und während ich eben noch verstört das Treiben anschaute, verwandelte sich plötzlich alles in ein jugendliches Spiel: gegen Konventionen und jegliche moralische und politische Ansprüche sein, Spaß haben, legal, illegal, scheißegal. In diesen Nächten stand dann immer ein aufrichtiger, bockiger Kommunist vor der Webcam, mit gereckter Faust und versteinertem Gesicht die Stellung haltend, umlagert auf völlig verlorenem Posten von feixenden Rechten. Die ganze Geschichte von Klassenkämpfen, der grausame Krieg der Ideologien des 20. Jahrhunderts komprimiert zu einem läppischen Gerangel um Meme und Symbolik. Politik 2017: eine Farce!

Jetzt konnte man "He Will Not Divide Us" tatsächlich eine – wenn auch unfreiwillige – Qualität nicht absprechen: als zeitdiagnostisches Werk, das die ganze Absurdität dieses politischen Winters auf den Punkt brachte.

Drei Wochen nach Eröffnung wurde es dem Museum of the Moving Image zu viel und es beendete die Zusammenarbeit mit den Künstlern: Die Installation sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, sie habe zu Gewalt angestiftet und sei zweckentfremdet worden. Also verlegten LaBeouf, Rönkkö & Turner die Versuchsanordnung nach Albuquerque im Bundesstaat New Mexico. Die Webcam wurde wieder in eine weiße Mauer an einer Straße eingelassen, "He Will Not Divide Us" stand erneut darüber, aber es war hier naturgemäß wärmer und lichter, die Menschen trugen T-Shirts.

"He Will Not Divide Us" in Albuquerque

 

Doch der klimatisch bedingte freundlichere Eindruck täuschte, es war dasselbe gespaltene, aufgewühlte Land unter dem Präsidenten Donald Trump. Es dauerte wenige Tage, bis die Webcam von Unbekannten mit Farbe übermalt wurde, und als dann in der Nähe der Installation Schüsse zu hören waren, beendeten die Künstler auch hier die Liveübertragung.

Als Nächstes errichteten sie einen Livestream, der nur einen Fahnenmast, daran eine weiße Flagge mit der Aufschrift "He will Not Divide Us", dahinter freien Himmel zeigte. Keine Ortsangabe, keine Menschen. Und hier wird die Geschichte wirklich unheimlich. Rechtsradikale machten sich daran, die im Livestream erkennbaren Sonnenauf- und Sonnenuntergangszeiten, Umgebungsgeräusche und Kondensstreifen von Flugzeugen mit im Internet verfügbaren Daten – etwa von Flugtrackingseiten – abzugleichen. Grob war das Zielgebiet damit abgesteckt: Tennessee. Den wichtigsten Hinweis gab ein von einer Kellnerin auf Instagram gepostetes Foto von LaBeouf in einem Restaurant. War er zur heimlichen Eröffnung in der Nähe der Installation? Dann gäbe das Geotagging im Instagram-Post einen Anhalt. Also fuhr ein lokaler Alt-Right-Anhänger hupend durch die Ortschaften in der Umgebung des Restaurants und erhielt dabei live Feedback, wann das Hupen im "He Will Not Divide Us"-Livestream zu hören war und in welcher Lautstärke. In weniger als 40 Stunden nach dem Hissen der Flagge hatte die Community den genauen Ort, eine Farm, bestimmt. Nach Einbruch der Dunkelheit holte ein Unbekannter die Flagge herunter und hisste – live übertragen im Stream – eine "Make America Great Again"-Kappe und ein Pepe-T-Shirt.

Das Künstlerkollektiv verdächtigt werden zwei mutmaßliche Mitglieder der rechstextemen Traditionalist Worker Party, deren Namen und Porträtfotos Shia LaBeouf Anfang Dezember auf Twitter und Luke Turner auf seiner Website veröffentlichte, mit der Behauptung, dass die Polizei nichts tue, um die beiden hinter Gitter zu bringen.

Avancierter Klingelstreich in einer neuen Weltordnung
Noch zweimal errichteten LaBeouf, Rönkkö & Turner im Laufe des Jahres einen Livestream von einer "He Will Not Divide Us"-Flagge, in Liverpool und in Nantes. Es dauerte wieder jeweils nur wenige Stunden, bis die Flaggen angegriffen wurden, in Liverpool von einem Maskierten, in Nantes von einer Drohne. Und jedes Mal feierten die Rechten im Netz mit martialischen, hämischen Videos ihre angeblichen Triumphe, wie eine Serie eingeteilt in Staffeln.

Alles nur ein avancierter Klingelstreich in einer neuen Weltordnung, in der Rechtssein plötzlich kaum mehr von Fun-Punk zu unterscheiden ist? Vandalismus 2.0? Oder sind die Eingriffe gar partizipatorischer Teil des Kunstwerks?

Luke Turner von LaBeouf, Rönkkö & Turner wendet sich entschieden gegen solche Lesarten seines Kunstwerkes, gegen die "unverantwortliche Glorifizierung" von Rechtsradikalen wie die an den Störungen beteiligte Traditional Worker Party und die identitäre Vereinigung Identity Evropa als "Internet-Trolle" und "Pranksters" durch die Mainstream-Medien. In einer E-Mail benennt der 35-jährige britische Künstler die Angriffe – den "kriminellen Vandalismus, Diebstahl, Brandstiftung und umfangreiche Bedrohung" – deutlich als "Terrorismus". Auch verurteilt er das Verhalten des Museum of Moving Image als "unethische Weigerung, gegen Neonazi-Störungen anzugehen".

"Die größte Bedeutung, die diese Arbeit über das letzte Jahr bekommen hat", schreibt mir Turner, "liegt vielleicht darin, dass sie gezeigt hat, dass es keinen Unterschied mehr gibt zwischen Online- und Offline-Welten, dass sie ein und dasselbe sind und dass eine tolerante Gesellschaft unbedingt aufstehen muss gegen gewalttätige Intoleranz in jeglicher Form." Weil sie sich dessen bewusst sind, habe sich LaBeouf, Rönkkö & Turner mit der Meme- und Internetkultur auch in früheren Arbeiten schon auseinandersetzt.

"Potenzial von Kunst, Hoffnung zu verkörpern"
Doch gerade weil diese Arbeit so inhaltsleer konzipiert war und die Angriffe mit besonderer Sorgfalt und Bösartigkeit ausgeführt wurden, lehren die Vorgänge noch mehr über die Rezeption von Kunst in unserer Zeit: Wenn Künstler und Institutionen eine Infrastruktur bereitstellen, können sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie von konsenswilligen Betrachtern nach vorgegebenen Regeln mit "korrektem" Content befüllt oder mit wohlwollendem Desinteresse einfach abgenickt werden. Die sozialen Medien, in denen affektgeladene Beiträge mit größerer Verbreitung "belohnt" werden, erweitern den diskursiven Raum um ein Kunstwerk herum. Der Kampf um Symbolik wird erbittert geführt, das sah man hierzulande 2017 auch an den Aktionen vom Zentrum für politische Schönheit oder den Demonstrationen gegen das "Monument" des Deutsch-Syrers Manaf Halbouni. Künstler, die sich darauf einlassen, müssen sich rüsten gegen diffamierende Angriffe. Es geht wieder um etwas.

"Leftists can't meme" frohlocken die Internet-Rechten, als hätte John Heartfield nie gelebt. Doch eines stimmt: Nicht nur Linke sollten den Umgang mit Memen lernen, sondern liberale Künstler allgemein, um sich zu verschärfter politischer Rhetorik in Beziehung zu setzen.

Im Moment weht die Flagge wieder in Nantes: "He Will Not Divide Us". Es war ein seltsames, finsteres Jahr. Doch Luke Turner zieht ein positives Fazit: "Die Community, die sich um das Projekt gefunden hat, der Geist des ungebrochenen Widerstands, ist ermutigend. Die Arbeit wird bleiben, egal was passiert, und damit beweist sie das Potenzial von Kunst, Hoffnung zu verkörpern, Hoffnung zu ermöglichen."