In Mailand findet gerade eine Ausstellung des italienischen Modehauses Dolce & Gabbana statt. Im Palazzo Reale, quasi neben dem Mailänder Dom, sind in zehn Räumen die hohe, von Hand gearbeitete Schneiderkunst, Schmuckstücke und Accessoires der Marke ausgestellt, nach unterschiedlichen Themen sortiert. In einem Saal hört man Gläser zerspringen und sieht Kleider und Schuhe aus Glas gefertigt, Kronleuchter hängen von der Decke. Ein anderer Bereich ist wie ein Atelier gestaltet, halbe Anzüge und elegante Abendroben sind an Schneiderbüsten drapiert, die Bilder ikonischer Dolce-Gabbana-Looks schmücken die Wände. Outfits, bestickt mit den prägnantesten italienischen Städten, Mailand, Rom, Florenz, Venedig, Palermo, Ostuni, Alberobello, thronen nebeneinander auf Sockeln, verziert mit den jeweiligen Wahrzeichen der Stadt.
Gerade Sizilien, die Heimatinsel von Domenico Dolce, wird unentwegt zitiert. Prunkvoll, stolz, maximalistisch. Etwas kitschig, etwas überladen vielleicht. Doch dann ein Raum voll schwarzer Spitze und Tüll, die Puppen halten goldene Gebetsketten in den Händen. Die Kleider kennt man aus den berühmten Kampagnen der Marke, in denen Monica Bellucci die Einwohner süditalienischer Kleinstädte betört. Zum Print gewordene Malerei, Capes und Mäntel über und über mit Edelsteinen besetzt, ein ganzer Saal der Mailänder Oper gewidmet. Dolce & Gabbanas Mode lebt von der Liebe zu ihrem Heimatland, vom Überfluss und dem Plakativen.
"Dal Cuore alle mani“ (vom Herzen in die Hände) ist der Titel der Ausstellung, die verschiedene Formen der italienischen Kultur, von der Musik über Handwerkskunst bis zum Dolce Vita, feiert - und auch die Marke selbst und ihren Legendenstatus in der italienischen Mode zelebriert. Im Kultfilm "Der Teufel trägt Prada" wurde sie mit Andrea Sachs' Zeile "Wie schreibt man bitte 'Gabbana'?" verewigt, und gerade eben erst trugen Supermodels wie Bella Hadid oder Naomi Campbell D&G beim Cannes-Filmfestival.
Fast schon weg vom Fenster
Dabei waren Domenico Dolce und Stefano Gabbana auch schon einige Male knapp weg vom Fenster, mussten eine Modenschau in China kurzfristig absagen und sich öffentlich entschuldigen. Immer wieder machen sie mehr mit Skandalen als mit ihrer Mode auf sich aufmerksam. Und sucht man nach der Historie der Marke im Internet, findet man schneller zu Geschichten der Homophobie und des Rassismus als zu relevanten Meilensteinen.
Geboren wird Dolce & Gabbana im Jahr 1985, als die Brand ihre erste Damen-Ready-To-Wear-Kollektion mit dem Titel "Real Women" zeigt. Bald erweitern sie ihr Sortiment um Accessoires, Strickwaren und Herrenmode und eröffnen ihren ersten Store in Mailand. Mit der vierten Kollektion macht sich die Marke in der italienischen Mode einen Namen, da sie hier das erste Mal auf Domenicos Wurzeln zurückgreifen und das "Sizilianische Kleid" vorstellten. Ein von der Presse benanntes Design, das die Anfangs-Ära der Marke am besten beschreibt: enges Bustier, zwei feine Träger, ausgestellter Rock.
So richtig gut beginnt es für das Duo zu laufen, als sich Madonna Anfang der 1990er-Jahre von ihm für ihre "Girlie"-Welttournee einkleiden lässt und zusätzlich eines seiner juwelenbesetzten Korsetts während der Filmfestspiele in Cannes trägt. Betont farbenfrohe, feminine und italophile Kleider werden zur ihrer Markenidentität und dem Alleinstellungsmerkmal in der generell minimalistischeren Mode der 1990er-Jahre. Neben "Bella Italia" inspiriert auch das Kino viele der folgenden Kollektionen, glamouröse Ikonen wie Sophia Loren, Anna Magnani oder Marcello Mastroianni werden in den dramatisch schönen Kleidern gewürdigt.
Leopard, Spitze, Transparenz, Stick-Overload
Nach ihrem Peak Anfang des neuen Jahrtausends jedoch hat man das Gefühl, dass das Designkonzept stagniert. Immer gleiche Silhouetten – körperbetont, elegant – treffen auf immer ähnliche Muster und Materialien – Leopard, Spitze, Transparenz, Stick-Overload. Statt sich eines Themas tiefgehend zu widmen, es zu analysieren und in abgewandelter Form und feinen Nuancen in tragbare Mode umzusetzen, wird bei Dolce & Gabbana eine Inspiration ohne Filter auf das immer gleiche Kleid-Modell übertragen.
Und daher, wie es der Mode-Youtuber @HauteLeMode in einem seiner Videos beschreibt, kann man noch nicht einmal sagen "wenigstens machen sie grandiose Mode", um die vielen Fehltritte der Marke irgendwie auszugleichen. Ihre Geschichte an problematischem Verhalten haftet Dolce & Gabbana so sehr an, dass noch nicht einmal die Kardashians als Fangemeinde es schaffen, den fahlen Beigeschmack zu übertünchen, der sofort als Assoziation auftritt.
Im Jahr 2021 schicken Domenico Dolce und Stefano Gabbana weiße Models mit Ohrringen über den Laufsteg, die an koloniale "Blackamoor"-Statuen erinnern, die Schwarze Menschen als rassistische Karikaturen abbilden. Ein Jahr später hat Stefano Gabbana die glorreiche Idee, eine Halloween-Party mit dem Motto "Disco Africa“ zu besuchen und ist auf einem Foto mit einem Gast zusehen, der Blackfacing betreibt. 2015 spricht sich das Duo – sie waren 23 Jahre lang ein Paar –offen dagegen aus, dass homosexuelle Paare Kinder bekommen dürfen: "Ich bin nicht überzeugt von dem, was ich chemische Kinder nenne, eine gemietete Gebärmutter, Samen aus einem Katalog“, sagt Dolce der italienischen Wochenzeitung "Panorama".
Skandal um die "Sklaven-Sandale"
2016 machen sie mit einem Schuh namens "Slave Sandal" Schlagzeilen. Dolce & Gabbana entschließen sich, Melania Trump einzukleiden, etwa in eine sogenannte "Pussy Bow"-Bluse. Das ist im Hinblick auf Donald Trumps frauenfeindlichen Kommentar "Grab 'em by the pussy“ an schlechtem Geschmack und Urteilsvermögen kaum zu überbieten. Stefano Gabbana beschimpfte die Sängerin und Schauspielerin Selena Gomez als "hässlich“ und Lady Gaga als "zu dick“.
2018 kommt es zu einem der größten Skandale der Marke, als sie eine Werbekampagne veröffentlicht, in der ein asiatisches Model versucht, italienische Gerichte mit Stäbchen zu essen. "Ist das zu groß für dich?", fragt eine männliche Off-Stimme herablassend, als es nicht gelingt, einen riesigen Cannoli mit den Stäbchen aufzunehmen. Ein Aufschrei ging durch die sozialen Medien, Rassismus-Vorwürfe wurden wieder einmal laut.
In einem Chatverlauf zwischen dem Instagram-Account "Diet Prada" und Stefano Gabbana verteidigte dieser die Kampagne und äußerte sich in herabwürdigenden Kommentaren über chinesische Menschen und ihre Kultur. Später lässt die Marke verlauten, der Account sei gehacked worden. Models und Gäste einer in Shanghai geplanten Modenschau springen trotzdem ab, die Show wird kurzfristig abgesagt, Dolce & Gabbana-Produkte werden boykottiert und der Umsatz der Marke in Asien sinkt.
Das kollektive Vergessen in der Mode
Nach dieser Auflistung mag man kaum glauben, dass sie noch viel weiter gehen könnte. Auch fragt man sich, ob die beiden Männer das Internet nicht verstanden haben, oder ob sie sich ihrer selbst und ihren Positionen so sicher sind, dass sie ihre Aussagen nicht hinterfragen müssen, bevor sie sie verbreiten.
Doch das kollektive Vergessen, das in der Mode so gern zuschlägt, greift natürlich auch bei Dolce & Gabbana. Die Marke zeigt bei der Mailänder Modewoche, und Stars und Sternchen tragen weiterhin ihre Kleider. Doch nicht alle sehen dem Duo ihr problematisches Verhalten nach. In einem "Business of Fashion“-Panel-Talk erklärt die Stylistin Karla Welch, sie würde Kleider von Dolce & Gabbana auf ihrer Kleiderstange verschmähen, weitere Kollegen stimmen ihr zu. Auch, wenn die Silhouette des typischen D&G-Kleides jedem Frauenkörper schmeicheln soll.
Stefano Gabbana und Domenico Dolce sind ihre eigenen Chefs. Sie geben ihrem Label seinen Namen und können komplett frei über ihren Ressourcen-Einsatz und die Kollektionen entscheiden – von der ersten Idee bis zur finalen Inszenierung. Ihre Marke soll die Liebe zum Heimatland und die Schönheit feiern, einer romantischen Fantasie gleichen, doch leider nur in ihrer exklusiven Traumwelt. Während man ihre Mode subjektiv bewerten kann, sind die Ignoranz und Arroganz, die Dolce & Gabbana immer wieder an den Tag legen, schwer zu akzeptieren. Da können Sizilien, die handgenähte Spitze und die hohe Schneiderkunst noch so schön sein.