Willem de Kooning gilt als einer der Hauptvertreter des Abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit, gemeinsam mit Jackson Pollock. Übersehen wurde bislang, welchen Einfluss Italien auf sein reifes und spätes Werk hatte. Denn erst, als er in USA längst als einer der führenden Künstler der New York School anerkannt war, reiste er nach Europa – und verliebte sich regelrecht in Italien und zumal in Rom. Eine Ausstellung in der Accademia in Venedig geht jetzt erstmal dem italienischen Einfluss auf das Werk de Koonings nach.
Und die Lagunenstadt ist der richtige Ort, um diesen Faden aufzunehmen. Denn es war die Biennale, an der de Kooning gleich mehrfach teilnahm und von wo sein Ruhm nach Europa ausstrahlte. 1950 war im US-Pavillon das Großformat "Excavation“ zu sehen, das erstmals mit der US-amerikanischen Abstraktion bekannt machte, während die 1954 gezeigten Bilder der "Frauen“-Serie gerade wegen ihrer Rückkehr zur Figuration verstörten.
Im Frühsommer 1959 hatte de Kooning eine höchst erfolgreiche Ausstellung in seiner New Yorker Galerie von Sidney Janis. Erstmals war er durch den Verkauf seiner Kunst finanziell wirklich abgesichert, obgleich er zu dem Zeitpunkt bereits ein Vierteljahrhundert als freier Künstler gearbeitet hatte. Er verließ erstmals seit 1926 die USA und fuhr nach Italien, zuerst nach Venedig, die Stätte seiner aktuellen vielbeachteten Ausstellungen, und anschließend nach Rom. Die "Ewige Stadt“ machte auf ihn enormen Eindruck. Nur 17 Tage nach seiner Rückkehr nach New York brach er erneut nach Rom auf und blieb dort gleich dreieinhalb Monate.
Freier, geradezu wilder
Die Bedeutung seiner beiden Rom-Aufenthalte – ein zweiter folgte zehn Jahre später 1969 – versucht die groß angelegte Ausstellung "De Kooning und Italien“ aufzuspüren, die bis September in den Räumen der ehrwürdigen Accademia in Venedig zu sehen ist. Das ist, was den ersten Aufenthalt angeht, nicht ganz einfach, weshalb die Ausstellung mit gleich drei der großartigen abstrakten Gemälde beginnt. Eben diese, die bei Sidney Janis solchen Erfolg hatten und ihn zum Star der New Yorker Szene machten.
In Rom fertigte de Kooning einige Zeichnungen in Collagetechnik. Nach seiner Rückkehr in die USA Anfang 1960 malte er weiter in jener gestischen Abstaktion, machte aber in den Titeln seiner neuen Werke deutlich, wie sehr ihn Italien beeindruckt hatte, etwa in dem Großformat "Villa Borghese“, das auch den Einband des jetzigen, höchst informativen Katalogs ziert.
De Koonings Malerei wurde in den folgenden Jahren nochmals freier, ja geradezu wilder. Er hatte mittlerweile ein Grundstück auf Long Island erworben und zog sich sukzessive aus New York zurück. Der zweite Rom-Aufenthalt brachte dann ein Novum: die Beschäftigung mit Skulptur. Mit einem Mal arbeitete de Kooning in Bronze, angeregt durch das überreiche skulpturale Erbe, das ihm in Rom an jeder Straßenecke begegnete.
Skulptur als Fingerübung?
Unmittelbarer Auslöser war das Wiedersehen mit einem alten Bekannten aus New York, der mittlerweile eine Bronzegießerei im Szene-Viertel Trastevere betrieb und de Kooning einlud, in Gips zu modellieren. So kamen die ersten, kleinen Figuren zustande, die der Bekannte in Bronze goss. In den folgenden Jahren versuchte sich de Kooning an größeren Formaten, bis zur "Clamdigger“ betitelten stehenden Figur von 1972.
In der jetzigen Ausstellung nehmen die Skulpturen breiten Raum ein. Sie sollen dieses in der Rezeption der Kunst de Koonings meist übergangene Kapitel besonders herausstreichen. Und doch bleibt beim Betrachter ein Unbehagen. Denn es drängt sich der Eindruck auf – wie schon vor 40 Jahren bei der in Berlin gezeigten Retrospektive, der letzten zu Lebzeiten des Künstlers –, dass hier lediglich Fingerübungen zu besichtigen sind, denen ein spezifisches Formgefühl abgeht, wie es die Malerei stets besessen hat, und ebenso die Zeichnungen der frühen 1970er Jahre.
In der Malerei kommt im spätesten Alterswerk des 1997 nach langer Krankheit verstorbenen Künstlers nochmals Neues hinzu, eine stärker lineare, in der Farbigkeit eher sparsame Ausführung. Mit diesen Werken, unverändert im Großformat, schließt die Ausstellung. Bis zu einem nur mehr aus blauen und schwarzen Linien gebauten Bild, das wirkt wie ein am Meer aufgescheuchter Möwenschwarm. Dem Ozean fühlte sich der 1926 als blinder Passagier in die USA gekommene, 1904 in Rotterdam gebürtige Willem de Kooning stets am nächsten. Auch, wenn ihn Rom als Gegenbild faszinierte.