Ein riesiges Paar silberner Highheels begrüßt einen im Sala Bianca im Palazzo Pitti. Bestimmt drei Meter ragen sie in die Höhe, beachtlich nah an die weiß gehaltenen Kronleuchter heran, die von der Decke hängen. "Marilyn" heißt dieses Kunstwerk der portugiesischen Künstlerin Joana Vasconcelos. Es gleicht einer überlebensgroßen Nachbildung jener Schuhe, die die bekannteste Marilyn der Welt in dem Film "Das verflixte 7. Jahr" trug. Leicht könnte man unter dem Bogen, den der hohe Absatz bildet, hindurch laufen. Das verführerische Kleidungsstück, Männerfantasie und Machtmerkmal in einem. Jedoch besteht Vasconcelos Version aus vielen, miteinander verflochtenen Kochtöpfen mit passenden Deckeln.
Zwei stereotypisch als weiblich konnotierte Objekte in einem, das ist kein Zufall. Joana Vasconcelos widmet sich in ihrer Arbeit immer wieder der Rolle der Frau, kritisiert Geschlechterungerechtigkeit auf ironische Art. Auch dadurch, dass sie Gegenstände aus ihrem üblichen Kontext reißt und in einen neuen, ungewöhnlichen Zusammenhang einpflegt, der ihre Bedeutung vollends hinterfragt. Der Absatzschuh kann eine Frau stärker, größer, mächtiger fühlen lassen, gleichzeitig verlangsamt er sie.
Diese Kontroverse faszinierte Vasconcelos. Liebt oder hasst sie den Stiletto also? "Es kommt sehr darauf an, von welcher Seite man dieses Thema betrachtet. Er ist ein modisches Accessoire, dass dir im Ausdruck deiner Identität helfen kann. Aber es ist auch mit den Themen Tradition und Hausfrauen-sein verbunden." Sie selbst trägt an diesem Tag ein Paar spitzer, schwarz-silberner Kitten-Heels von Dior, ein gekonnter Kompromiss.
Zusammenarbeit mit Dior
Mit dem französischen Modehaus arbeitete Joana Vasconcelos für das Setdesign seiner Herbst-Winter-2023/24-Show zusammen. Gigantische tropfenförmige Zapfen woben sich durch die Location, gefertigt aus Diors eigenen Stoffen. Wie eine Wucherung, ein gewachsener Körper erstreckte sich das aus riesigen Blumen bestehende Kunstwerk durch die Räumlichkeiten der Show, schien mit der von Maria Grazia Chiuri designten Kollektion zu interagieren.
Vasconcelos ist eine Künstlerin, die Aspekte von Mode und Kunst in ihrer Arbeit verbindet, sich an beidem bedient, für die das eine das andere nicht ausschließt. So erlebt man es auch an ihren drei gezeigten Kunstwerken in den Uffizien und dem Palazzo Pitti. "Kunst und Mode haben für mich eine sehr starke Verbindung, ich arbeite oft an ihren Schnittstellen. Der größte Unterschied ist hier, dass ich nicht für den menschlichen Körper kreiere, sondern sozusagen den Raum einkleide. Ich arbeite in anderen Größenverhältnissen."
In dem angrenzenden Sala Bona findet sich das nächste Vasconcelos-Werk. "Happy Family", reininterpretiert das christliche "Holy Family"-Thema. Statt Maria und Josef wartet dort eine Familienkonstellation aus Flora und Bacchus, zwei Motive der heidnischen Tradition. Sie sind nicht aus Keramik und Holz gefertigt, wie es für derart Skulpturen üblich ist, sondern aus Beton hergestellt. Eingehüllt von einem weißen, gehäkelten Netzstoff, der sie von Kopf bis Fuß umgibt. Beide Figuren halten ihn in den Händen, in der kleinen Hängematte, die zwischen ihnen entsteht, liegt das Baby, das unbedingt zur Familie dazugehört. Eine Ode an das Leben und die Wiedergeburt.
Die Sala Bona ist mit einer Reihe von Fresken geschmückt, die von 1608 bis 1609 von Bernardino Poccetti angefertigt wurden. "Es gibt so viele Bilder mit so vielen Körpern in diesem Raum. Ich habe die Skulpturen aus den Wänden herausgeholt, in die Realität. Und sie dekoriert, oder eingesperrt." Gehäkeltes Netz, alles ist sichtbar, und doch sind die Statuen bedeckt "oder vielleicht auch angezogen", wie Vasconcelos zustimmt.
Ein Raum als Zeitmaschine
Vasconcelos verbindet Handwerk mit Kunst und Design, Tradition mit Zeitgeist. Der Dialog zwischen den historischen Werken und ihren eigenen sei ihr das wichtigste an der Ausstellung. Sehr gut funktioniert das auch in der Tribuna in den Uffizien, einem achteckigen Raum, der die wichtigsten Antiquitäten sowie Gemälde der Hochrenaissance und Bologneser Kunst aus der Medici-Sammlung ausstellt. "Dieser Raum hat die magische Kraft, die Zeit auszulöschen, er ist wie eine Zeitmaschine", erklärt Vasconcelos. Was sie damit meint? Ihre riesige, wulstige Skulptur namens "Royal Valkyrie", die ursprünglich für die Räume des Schlosses von Versailles angefertigt war, versteht sich gut mit den geschichtsträchtigen Werken. Sticht heraus, ohne ihnen die Show zu stehlen. Und das ist bei ihrer Größe eine Leistung.
Stoffe, Schnüre, Wolle, Pailletten, Perlen, Federn und LEDs ergeben das an die Dior-Installation erinnernde Stück, das an der Decke der Tribuna befestigt ist und von hier aus seine Tentakel in alle Richtungen ausstreckt. Organische Formen, die im Einklang mit der reich dekorierten Architektur stehen, wie ein Couture-Kleid mit dem menschlichen Körper.
"Ich nutze dieselben Techniken und Handwerkszeuge wie ein Couture-Haus: Bestickung, Symmetrien, Details. Ich muss mich an den Raum wie an einen Körper anpassen, etwa wie ich es für die Dior-Show getan habe. Ich habe ein Stück für den Raum designt, der in einem Dialog zu seinem Innenleben stand", erklärt Vasconcelos.
Narrative der Weiblichkeit
Sie entscheidet Farben und Material, je nach vorgesehenem Ausstellungsort. Versailles "Royal Valkyre" funktioniert gut in den Uffizien, "da beide ähnliche Zeitperioden repräsentieren und eine gleiche Art der Dekoration genutzt wurde. Das Kunstwerk passte sich an Versailles an und tut nun das Gleiche hier in den Uffizien, auf natürlich Art und Weise."
Das riesige, bunte Geflecht ist den Walküren gewidmet, Heldinnen der nordischen Mythologie. Der Mythos beschreibt sie als unbarmherzige, mit übermenschlichen Kräften ausgestattete Kriegerinnen, die unbezwingbar waren. Durch ihre feine, schmückende Arbeitsweise und den Einsatz von mit Weiblichkeit assoziierten Stoffen, wolle Vasconcelos ihnen die Sinnlichkeit und Zartheit zurückgeben, die man ihnen abgesprochen hatte.
Die Künstlerin möchte eine andere Wahrnehmung weiblicher Macht anregen, in der beide Seiten nebeneinanderstehen können, die starke und die sanfte. Am Ende der Führung durch all ihre Werke tauschte sie die Kitten-Heels gegen flache, massive, schwarze Dior-Sandalen aus. Und so untermalte Joana Vasconcelos an ihren eigenen Füßen die unterschiedlichen Narrative der Weiblichkeit, die sie in ihren Arbeiten diskutiert.