"AfD-Verbot" des Zentrums für politische Schönheit

Sind Politiker-Fakes ein legitimes Mittel für Kunst-Aktivismus?

Das Zentrum für politische Schönheit hat eine Aktion zum Verbot der AfD gestartet und dafür ein Video mit einem KI-generierten Kanzler veröffentlicht. Sollte man Propaganda-Strategien für Kunst-Projekte übernehmen? Ein Kommentar

Olaf Scholz macht sich offenbar große Sorgen. Seine Mimik ist gewohnt sparsam, sein Ton wie fast immer beherrscht. Aber die Worte des Kanzlers haben Sprengkraft. "Hier und jetzt müssen wir eine Entwicklung verhindern, wie sie 1933 schon einmal ihren Lauf nahm. Es gibt offensichtliche Bestrebungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richten." Gemeint ist in der Rede, die auf der Website "Afd-verbot.de" veröffentlicht wurde, die Alternative für Deutschland. Die Partei, die vom Verfassungsschutz in Teilen als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird, hat in Deutschland gerade beängstigend viel Zuspruch. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Hessen und Bayern wurde die AfD zweit- beziehungsweise drittstärkste Kraft. In Thüringen, wo im kommenden Jahr gewählt wird, liegt sie in Umfragen mit über 30 Prozent vorn. 

Also hat sich der Kanzler scheinbar entschieden, durchzugreifen. "Das werde ich mir nicht länger bieten lassen", sagt Scholz in dem Video, das in der Aufmachung einer Rede zur Lage der Nation gleicht. "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, meine Regierung wird zum fünften Todestag von Walter Lübcke am 2. Juni 2024 beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der Partei Alternative für Deutschland beantragen." 

Das Video, das so gar nicht zu der gewohnten Kommunikationsstrategie des Bundeskanzlers passen will, gehört zur neuesten Aktion des Kunstkollektivs Zentrum für Politische Schönheit (ZPS). Dieses hat sich schon in mehreren Kampagnen an der AfD-abgearbeitet. So gab sich die Gruppe als Flyerservice aus und vernichtete tonnenweise Werbematerial der Partei. 2018 richtete sie einen vermeintlichen "Nazi-Pranger" ein, bei dem sich Teilnehmer der rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz selbst enttarnen sollten. 

KI als politische Fiktion

Nun hat sich das ZPS der immer mal wieder aufflammenden Diskussion um ein AfD-Verbot angenommen und gewissermaßen Fakten geschaffen. "Endlich! Scholz verbietet die AfD!" steht über dem Video mit der Kanzler-Ansprache. Dazu gehört eine Website in der Optik der Bundesregierung, auf der verfassungsfeindliche Aussagen von verschiedenen Abgeordneten gesammelt sind. Weitere Hinweise werden erbeten. Außerdem steht eine Installation ganz physisch vor dem Kanzleramt in Berlin. Darauf abgebildet: Björn Höcke, Alice-Weidel und andere AfD-Mandatsträger hinter Gittern. 

Man kann sicher darüber streiten, ob eine solch brachiale Aktion der angegriffenen Partei eher schadet oder nützt - genauso wie schon seit längerem darüber diskutiert wird, welche Konsequenzen ein Verbot der AfD hätte (erst vor Kurzem hatte der "Spiegel" dazu eine große Titelgeschichte). Bemerkenswert ist jedoch der Einsatz von KI-generierten Inhalten, die hier als Illustration einer politischen Fiktion eingesetzt werden. 

Das ZPS hat schon oft mit dem Mittel der Spekulation gespielt, die eine Eskalation der politischen Realität durchdeklinierte. Was, wenn Flüchtlinge mit Tigern in einer Arena um ihr Leben kämpfen müssten? Was, wenn die Toten aus dem Mittelmeer vor den Reichstag gebracht würden? Was, wenn Olaf Scholz den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Chefsache erklären und persönlich ein AfD-Verbot beantragen würde?

Rechtfertigt Kunst die Taktik der "Fake News"?

Diesmal ist die Ausgestaltung dieser Provokationen jedoch nicht mehr der Vorstellung eines Publikums überlassen, sondern der künstlichen Intelligenz. Wer das Scholz-Video genau anschaut, sieht, dass die Bewegungen der Mundpartie nicht immer genau zum Rest des Gesichts passen. Auch die Stimme hat ab und zu ein paar mechanisch-leiernde Stellen. Es ist also davon auszugehen, dass es sich um einen sogenannten "Deepfake" handelt, bei dem einer Person dank Künstlicher Intelligenz Worte in den Mund gelegt werden, die sie nie gesagt hat. 

Auf Anfrage von Monopol zur Machart des Videos antwortete eine Sprecherin des ZPS: "Es handelt sich natürlich um den echten Olaf Scholz. Falls im Regierungsviertel eine Zweitversion rumläuft, die wenig tut und von der sich viele Bürger:innen fragen, wo sie eigentlich steckt – dann dürfte das eher die falsche Fassung sein." Und weiter: "Wenn es so wäre, dass es nicht Olaf Scholz war – wir sind natürlich fest davon überzeugt, dass das seine Initiative ist –, dann dürfte das schon in etwa neuesten Stand der künstlichen Intelligenz repräsentieren." Inzwischen bestätigte Scholz' Sprecher Steffen Hebestreit auf dem Nachrichtendienst X, dass das Video ein "Deepfake" ist.  Auch bei den Bildern von AfD-Politikern hinter Gittern handelt es sich offenbar um KI-generierte Porträts. Auf der Website des ZPS gibt es außerdem eine Funktion, bei der man sich mit der Stimme von Björn Höcke, Alexander Gauland und Alice Weidel die Definitionen von "Demokratiefeindlichkeit" oder "Holocaust" vorlesen lassen kann. 

Neben dem Thema des AfD-Verbots drängt sich hier also auch eine Reflexion über den Einsatz von KI auf. Man kann sich natürlich davor gruseln, wie gut solche Video-Kreationen inzwischen sind. Aber interessanter ist die Frage, ob man im Kontext von Kunst-Aktivismus die Taktik der "Fake News" anwenden sollte, die auch von vielen Rechten genutzt wird. So hetzten kürzlich Mitglieder der AfD mit KI-generierten Fotos gegen Flüchtlinge, im Netz kursierten außerdem gefälschte Audiofiles der "Tagesschau", in denen sich die Sprecher für systematische Lügen beim Thema Corona und Ukraine-Krieg entschuldigen. Die Fotofiktionen der AfD-Politiker hinter Gittern ähneln außerdem Motiven der "Lock her up"-Kampagne von Donald Trump und seinen Anhängern gegen seine einstige Kontrahentin Hillary Clinton. 

Hoffnung auf einen doppelten Boden

Immer wieder wird KI-generierte Propaganda, wie sie auch im Ukraine- und im Nahost-Krieg verstärkt eingesetzt wird, als Gefahr für Demokratien bezeichnet. Wird diese Taktik legitim, wenn sie vermeintlich der Kunst und der "guten Sache" dient? 

Einerseits kann die ZPS-Aktion dazu anregen, über diese Frage zu diskutieren, die uns mit der Weiterentwicklung der generativen Algorithmen immer stärker beschäftigen dürfte. Außerdem kann das Video ein Anlass sein, die Aussagen darin mit der Realität abzugleichen, wo es beim Kampf gegen Rechtsextremismus oft an deutlichen Worten fehlt. Andererseits ist der KI-Einsatz gerade im AfD-Kontext verwirrend, weil das ZPS einerseits "alternative Fakten" präsentiert, geichzeitig aber reale "Beweise" für die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei auflisten will. Das Spiel mit Fakt und Fiktion kann dazu führen, dass man nur noch das für glaubwürdig hält, was zur eigenen Absicht passt. 

Man wünscht sich, dass es zu dieser Aktion noch einen Twist, einen doppelten Boden gibt, wie es beim Zentrum für politische Schönheit schon öfter der Fall war. Denn in der jetzigen Form bleibt ein mulmiges Gefühl. Als Nebeneffekt etabliert sich die Botschaft, dass sich jeder für seine Zwecke seine eigenen "Fake News" bauen kann und diese dann parallel zirkulieren. Im Zweifel ist es Kunst oder Satire. Das wirkt nicht nur ziemlich stumpf, sondern ist auch gefährlich. Denn wenn man vermeintlich moralische gegen unmoralische Fälschungen aufeinander loslässt, muss jeder selbst beurteilen, was was ist.