Kürzlich berichtete der "Guardian", dass gegen das British Museum in London ermittelt wird. Der Grund: Das Museum soll elf äthiopische Altartafeln seit über 150 Jahren versteckt halten. Obwohl klar zu sein scheint, dass die Artefakte während der Schlacht um Magdala 1868 von britischen Soldaten geraubt wurden, machte das Museum bisher keine Anstalten, die sakralen Gegenstände zurückzugeben. Das Absurde dabei: Die Tafeln waren noch nie ausgestellt und dürfen wegen ihrer religiösen Bedeutung nicht einmal von den Kuratoren des Museums begutachtet werden.
Widersinnig und doch kein Einzelfall. Das Phänomen der Raubkunst zieht sich durch die gesamte Weltgeschichte. Denn nicht selten gehen Kriege mit Plünderungen einher - vor Kunst und Kulturgütern wird da kein Halt gemacht. Und so kämpfen bis heute viele Staaten, Institutionen und Einzelpersonen dafür, ihre unrechtmäßig entwendeten Kunstwerke zurückzubekommen. In seiner aktuellen Ausstellung versucht das Humboldt Forum Fragen zur Verantwortung der Museen zu stellen und auszuloten, ob die Möglichkeiten der Digitalisierung eine Rolle in dem Diskurs spielen können.
"Kunst als Beute. 10 Geschichten" lautet der Ausstellungstitel und fasst damit schon prägnant zusammen, worum es geht: Anhand von zehn Objekten wird das komplexe und vielschichtige Thema der Raubkunst in drei verschiedenen Epochen – während der napoleonischen Eroberungen, in der Kolonialzeit und im Nationalsozialismus – beleuchtet. Den Anfang macht ein verzierter Holzstab, dessen Spitze eine Frauenfigur formt. Der Besucher erfährt: Der Stab gehört zur Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin, das ihn 1901 mit weiteren Objekten von dem deutschen Reisenden Paul Körner erwarb. Inzwischen ist klar, dass der Stab aus einem Raub stammt, der durch einen Ladenangestellten in der südamerikanischen Missionsstation Wanhatti an einem Dorfbewohner verübt wurde.
Wieso wurde der Stab nicht wieder der Bevölkerung Wanhattis zurückgegeben, wenn man doch um seine Hintergründe weiß? Das fragt sich auch Onias Landveld, der Verwandte in dieser Region hat. Eine dokumentarische Filmsequenz zeigt, wie er nach Berlin reist, um den Stab sehen zu können. "Was haben sie mit dir gemacht?", liebevoll hält er das Stück zum ersten Mal in seinen gummibehandschuhten Händen. Kuratorin Andrea Scholz konfrontiert er in dem Film mit der drängendsten aller Fragen: Warum ist das Artefakt noch in Berlin? Eine Antwort darauf hat sie nicht. Und so verlässt er das Museum mit leeren Händen. Das Gefühl der "Ungerechtigkeit" - ein Wort, das in großen Lettern über dem Exponat prangt - stellt sich auch schnell beim Besucher ein.
Eine gelungene Mischung
Dass es auch anders geht, zeigt die Geschichte des nächsten Ausstellungsstücks, das nur als 3D-Modell betrachtet werden kann. Die Kanone von Kandy wurde 1765 aus dem Kandy-Palast im zentralen Hochland von Sri Lanka geraubt. Lange Zeit war die Kanone im Besitz der Niederlande. 2023 wurde sie nach 60 Jahren wiederholter Anfragen vonseiten Sri Lankas an ihr Ursprungsland zurückgegeben. Über das 3D-Modell ist es möglich, das Exponat auszustellen, ohne es wahrhaftig vor Ort zu haben. Eine schlaue und unproblematische Idee, möchte man meinen – mit verschiedenen Fragen nach Urheberrecht und dem inneren Eigenwert virtueller Objekte führt das Humboldt Forum den Besuchern allerdings vor Augen, dass diese Methode doch auch differenziert betrachtet werden muss.
Die Ausstellung, die vom Mauritshuis in Den Haag initiiert und in Zusammenarbeit mit den beiden Gastkuratoren Eline Jongsma und Kel O’Neill realisiert wurde, arbeitet in ihrer Vermittlung mit ganz unterschiedlichen technischen und digitalen Formaten. Das Ergebnis ist abwechslungsreich und für Menschen allen Alters ansprechend. So werden bei einer Kommode französischen Ursprungs aus dem 18. Jahrhundert in einem animierten, leicht verständlichen Video die Schritte der Provenienzforschung rekonstruiert. Zu drei ausgestellten Objekten gibt es auch die Möglichkeit, per VR-Brille an ihre früheren Habitate zurücktransportiert zu werden. Einmal befindet man sich in Indonesien, ein anderes Mal in einem Salzbergwerk. Besonders beeindruckend ist es, neben der verschneiten Quadriga auf dem Brandenburger Tor zu stehen, während unten feierlich die napoleonischen Truppen in Berlin einziehen. Höhenangst programmiert. Dabei sind diese VR-Erlebnisse nicht nur nette Spielereien, sie helfen tatsächlich, Kontexte nachzufühlen, die in der Gegenwart so nicht mehr erlebbar sind.
Dass es auch Stationen gibt, an denen die Informationen über klassische Ausstellungstexte generiert werden, sorgt für eine gelungene Mischung. Würde das Konzept ausschließlich auf technisch raffinierten Vermittlungsformen basieren, wäre die Gefahr doch groß, von den Ausstellungsobjekten und Fragestellungen abzulenken. Aber so gelingt dem Museum eine gute Balance.
Gut verdaubare Häppchen-Form
Schön auch die Auswahl der verschiedenen Artefakte, bei der ein jedes neue Fragen zum Thema Raubkunst aufwirft. Der Fall zweier holländischer Gemälde aus dem 17. Jahrhundert beleuchtet einen überraschenden Aspekt: Was passiert, wenn ein Land seine Beutekunst nicht zurückverlangt? Sollte nicht sämtliche Beutekunst prinzipiell zurückgegeben werden? Die Niederlande gingen einen eigenen Weg: 1818 wurden jegliche Bemühungen eingestellt, Werke, die während der napoleonischen Kriege entwendet worden waren, zurückzuholen. Und so hat es das eine ausgestellte Gemälde von Paulus Potter vor 1818 wieder auf heimisches, niederländisches Terrain geschafft, während das andere von Jan Mijtens auch heute noch Eigentum Frankreichs ist.
Die Ausstellung "Kunst als Beute. 10 Geschichten" macht vieles richtig: Erstmal beschränkt sie sich auf wenige Objekte. Das hat zum einen zur Folge, dass diese Ausstellung, im Vergleich zu vielen anderen, nicht überladen ist. Zum anderen wird dadurch auch nicht der Eindruck erweckt, man wolle die ganze lange Geschichte der Raubkunst rekapitulieren - es handelt sich um einzelne Schlaglichter, die in ihrer Häppchen-Form trotz der Schwere des Themas gut verdaubar sind. Dazu trägt auch der Ton bei, der in Texten und Videos getroffen wird: Nicht übermäßig moralisch wird hier geurteilt, stattdessen durch die anregenden und differenzierten Fragen Impulse mitgegeben, die als Angebote verstanden werden dürfen.
Gerade weil dieses Ausstellungskonzept so gut durchdacht zu sein scheint, irritiert die Wahl der Wandfarbe: Lila-Pink. Dass diese Farbwahl möglicherweise den modernen Twist der Ausstellung widerspiegeln und sich von den teils archaischen Gegenständen absetzen soll, funktioniert zwar, hat aber einen Haken. Auch die Exponate werden dabei von einem pinken Filter überzogen, was sie verfremdet, aber auch von ihnen ablenkt. Tritt man aus dem Ausstellungsraum, müssen sich die Augen erstmal wieder an natürliches Licht gewöhnen. Und dann blicken sie auf die andere Flurseite, wo die Asiatische Sammlung beginnt und sich die Frage aufdrängt: Was davon ist Raubkunst?