Yasmil Raymond, Sie begannen Ihre Stelle als Direktorin der Städelschule im Jahr 2020, ganz kurz vor Ausbruch der Pandemie. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Es gab sehr viel Druck. Wenn ich mir meine Tagebucheinträge aus dem Sommer 2020 anschaue, habe ich das Gefühl, dass ich auf einem brennenden Stuhl saß und alle möglichen Bälle in der Luft gleichzeitig jongliert habe. Ich bin sicher, dass viele Menschen, die Institutionen leiten, das gleiche Gefühl hatten, insbesondere wegen der Unsicherheit der Lage.
Wie waren die Anforderungen?
Hoch. Das Semester hatte gerade begonnen, als bekannt wurde, dass Deutschland seine Grenzen schließt und wir aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben. Ich musste alle online "treffen", von den Professoren über die Dozenten bis hin zu den Verwaltungsangestellten, per Telefon und bald auch per Zoom. Die meisten Studierenden konnten nicht nach Hause reisen, hatten nichts zu tun und keine Einkommensquellen mehr. Diejenigen, die keine EU-Bürger waren, waren von der finanziellen Unterstützung und den Stipendien ausgeschlossen.
Wie gelang es Ihnen unter diesen Bedingungen, trotzdem das Semester zu beginnen und zu beenden?
Die erste Aufgabe bestand darin, zu kommunizieren. Ich nahm Kontakt zu den Studierenden auf, die es nicht gewohnt waren, regelmäßig E-Mails vom Rektorat zu erhalten. Ich hatte zuvor zwei Jahrzehnte lang in Museen gearbeitet, mit einer ganz anderen Kommunikationskultur, wo institutionelles Sprechen als eine Form der kollektiven Fürsorge verstanden wird, die ein Gefühl der Gemeinschaft schafft. Ich war überrascht zu erfahren, dass dies anders ankam und "amerikanisch" genannt wurde, was ich kulturell zwar auch bin, aber ich bin in Puerto Rico aufgewachsen und meine Muttersprache ist Spanisch.
In einem abwertenden Sinne "zu amerikanisch"?
Ich war überrascht über diese Sichtweise. Vielleicht wurden Vorurteile und ein schlechter Ruf von Amerika durch die Pandemie verstärkt, es dauerte jedenfalls einige Zeit, bis die Studierenden mich jenseits ihrer eigenen Voreingenommenheit sahen. Die Pandemie hat bei uns allen Überlebensinstinkte ausgelöst. Wir waren verletzlich und befanden uns gleichzeitig im Krisenmanagementmodus, ohne das je vorher zu üben.
Die Städelschule war die einzige Schule, die 2020 überhaupt offen war, was eine bewundernswerte Kraftanstrengung war.
Danke, dass Sie das bemerkt haben. Ich hatte das Gefühl, dass es keinen anderen Weg gab. Ich habe versucht, mich einfach normal zu verhalten. Mein Mantra war: "Wir kommen aus dem Schlamassel raus", einfach präsent bleiben. Das war der Ansatz, und ich bin zutiefst dankbar, dass die Verwaltungsangestellten mit an Bord waren, das Risiko eingingen und sich engagierten, die Lehrer in den Werkstätten, die Köche in der Mensa – ihr aller Engagement für die Studierenden war bemerkenswert.
Die Pandemie hat auch die Zeit danach geprägt. Eine der Folgen war Ihre Entscheidung, das Architekturprogramm zu beenden.
Das war buchstäblich der Kollateralschaden der Pandemie. Es handelte sich um einen prestigeträchtigen MA-Studiengang, der sich international einen Namen gemacht hatte, aber als Geschäftsmodell auf Gebühren basierte – eine Ausnahme in einer Gesellschaft, in der öffentliche Bildung nicht nur eine Option, sondern ein Recht ist. Als Daniel Birnbaum, der damalige Rektor der Städelschule, Anfang der 2000er-Jahre die Studiengebührenstruktur für diesen Studiengang einführte, konnte er nicht ahnen, dass eine weltweite Pandemie die Studierenden daran hindern würde, anzureisen und ihre Studiengebühren zu zahlen, und dass die Schule deswegen nicht in der Lage sein würde, die Gehälter der betroffenen Professoren und Tutoren zu bezahlen. Nach monatelangen quälenden Diskussionen und Auswertungen wurde uns klar, dass das Modell der Gebühren ausgedient hatte.
Dabei bezeichnen Sie sich selbst als Anhängerin von Architekten.
Das Programm konnte nicht gerettet werden, aber ich wollte eine Städelschule ohne Architektur nicht akzeptieren und kanalisierte meine Frustration, indem ich mir eine neue Richtung ausdachte. Wir nennen es Cohabitation, eine neue Klasse, die nicht-extraktive Architektur und Nachhaltigkeitsideen miteinander verbindet. Wir überzeugten den Architekten Benjamin Foerster-Baldenius vom Raumlabor in Berlin, sich der Fakultät anzuschließen. Das war meine zweite große Herausforderung inmitten der Pandemie und der Wiedereröffnung der Schule und des Portikus.
Unter Ihrer Leitung wurden die Städelschule und der Portikus nach 90 Jahren Trägerschaft von der Stadt Frankfurt auf das Land Hessen übertragen – wie lief diese komplexe Transformation, die hinter den Kulissen stattfand?
Es war wie eine nagelneue Maschine ohne Bedienungsanleitung. Niemand wusste, wie sie funktioniert, es war learning by doing. Aber ich war sofort ein Fan, kann ich Ihnen sagen. Ich glaube von ganzem Herzen, dass der öffentliche Bildungssektor eine unglaubliche Sache ist. Er ist kein perfektes Modell, aber er entspringt einem tief verwurzelten Glauben an die Geisteswissenschaften, einer egalitären Position, die Bildung als Menschenrecht begreift. Ich sage Ihnen: Leute, die sich nur über den öffentlichen Sektor beschweren, haben noch nie in einem Land gelebt, in dem es keinen öffentlichen Sektor gibt. Die Menschen sollten nicht nur stolz sein, sondern darauf bestehen, dass diese Strukturen gut gepflegt und großzügig unterstützt werden. Wir müssen von unseren Politikern verlangen, dass sie Kunst und Kultur in den Mittelpunkt ihrer Regierungsversprechen stellen. Wir müssen Institutionen aufbauen, die uns überdauern können.
Auch hier haben Sie eine andere Perspektive, da Sie aus den USA kommen. Was sehen Sie, das wir hier in Europa möglicherweise leichtfertig als selbstverständlich betrachten?
Zunächst einmal bin ich ein Museumsmensch, ob groß oder klein, staubig oder blitzsauber, ich liebe alle Museen! Mein gesamtes Erwachsenenleben ist von der Arbeit in Museen geprägt, von meinem ersten Praktikum im Peggy Guggenheim 1998 bis zum MoMA, meiner letzten Stelle im Jahr 2019. Während meiner gesamten Entwicklung als Kuratorin habe ich gelernt und erfahren, welche wichtige Rolle deutsche Institutionen in den 1960er- und 1970er-Jahren für die zeitgenössische Kunst gespielt haben. Es ist dieses Erbe, das mir die Entscheidung, New York zu verlassen und nach Frankfurt zu ziehen, so leicht gemacht hat. In meinen ersten Wochen hier, vor der Pandemie, machte ich einen Wochenendausflug nach Köln, Bonn, Essen und Mönchengladbach. Diese Art von Überfluss ist beglückend. So sehe ich Deutschland, ein Ausstellungsparadies.
Interessant, Deutschland als großes Netzwerk von Kunst- und Kultureinrichtungen zu begreifen. Hat sich Ihr erster Eindruck geändert, nachdem Sie nun schon ein paar Jahre hier sind?
Trotz all der schlechten Presse, die Museen, Institutionen und Biennalen in den Zeitungen bekommen, produzieren deutsche Museumsdirektoren weiterhin unglaubliche Ausstellungen. Unter anderem Susanne Pfeffer im MMK, Susanne Titz im Museum Abteiberg, Susanne Gaensheimer im K21, Yilmaz Dziewior im Museum Ludwig, Andrea Lissoni im Haus der Kunst. An seriösen Programmen herrscht kein Mangel.
Die Ankündigung Ihres vorzeitigen Abschieds fiel wieder in eine schwierige Zeit mit vielen Protesten und Konflikten. Haben diese Ihre Entscheidung beeinflusst?
Institutionen sind unfertige Gebilde. Jetzt hat jemand anderes die Chance, neue Impulse, neue Richtungen einzubringen. Wissen Sie, wenn man eine Führungsrolle innehat, kann man ziemlich stur werden, wenn es darum geht, den Zeitpunkt zu erkennen, wann man aufhören sollte. Das Ego will sich immer wieder einschalten und einem einreden, dass man nicht ersetzbar ist. Ich hatte das Glück, in eine Situation zu kommen, in der ich dachte: "Okay, meine Rolle hier ist vorbei, ich habe genug gegeben". Ich kann Ihnen sagen, dass ein Faktor, der zu dieser Entscheidung geführt hat, auch die Erkenntnis war, wie sehr ich die Arbeit an großen Ausstellungen vermisst habe. Das geschah während der Konzeption der Rirkrit-Tiravanija-Ausstellung. Es war eine Ausstellung, von der ich seit fast zehn Jahren geträumt hatte. Ich muss Ruba Katrib dafür danken, dass sie mich eingeladen hat, sie mit ihr und ihrem fantastischen Team im New Yorker PS1 zu machen. Ich glaube an das Ausstellungsmachen und daran, wie wichtig es ist, Kunst in natura zu sehen. Ich denke über Kunst nur in dem Sinne nach, dass sie ein Modell für das Denken ist, um in einer Welt voller Irrationalität und Widersprüchen vernünftig zu bleiben.
Ich denke an die vielen Universitätspräsidentinnen, die in den letzten Monaten vor dem Hintergrund des Kriegs in Gaza zurückgetreten sind, gibt es da einen roten Faden?
Es gab viele Faktoren, die in dieser schwierigen Zeit zusammenkamen. Ich fühle mich nicht qualifiziert, über das Ausmaß des Leids und des Schmerzes zu sprechen, ich kann nur über den Zustand der Depression und Hilflosigkeit sprechen, den ich bei vielen meiner engsten Freunde sehe. Wir brauchen eine neue Führung, Politiker, die bereit sind, uns zu sagen, was wir nicht hören wollen.
Wo werden Sie Ihre Zeit verbringen?
Ich werde einige Zeit in Berlin verbringen, wo ich mit Jenny Schlenzka und Christopher Wierling an einer neuen Übersicht über das Werk von Rirkrit Tiravanija im Gropius Bau arbeiten werde.
Und in Kassel als Mitglied der Documenta-Findungskommission.
Ja, ich möchte der Documenta helfen, eine großartige künstlerische Leitung zu finden. Die Documenta hat mich gelehrt, wie Kunst funktioniert, wie man mit Kunst denkt. Die Documenta gehört nicht nur zu Deutschland, sie ist eine globale Institution. Institutionen können reformiert werden, und Vertrauen kann wiedergewonnen werden. Wir müssen an den Wandel glauben und aus der Kritik und dem Feedback der letzten Jahre lernen.
Was kann Ihre Nachfolge erwarten?
Die neue Rektorin oder der neue Rektor der Städelschule wird einen fantastischen und sehr engagierten Mitarbeiterstab vorfinden. Wir haben hart daran gearbeitet, mit alten Gewohnheiten zu brechen, Stellenbeschreibungen zu aktualisieren und auch Familien, alleinerziehenden Müttern und Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden. Wir haben den ersten Masterplan für die Städelschule und den Portikus geschrieben und großartige Initiativen auf den Weg gebracht. Zum Beispiel, wie Ökologie und Nachhaltigkeit in die künstlerische Praxis integriert werden können und wie wir Ausstellungen im Portikus umweltfreundlicher konzipieren können. Schließlich haben wir auch einen neuen Workshop für digitale Werkzeuge gestartet, die andere Seite der Medaille der Nachhaltigkeit, nämlich die Digitalisierung.
Welcher Traum von Ihnen blieb unerfüllt?
Ich bin enttäuscht, dass wir das Städel Museum, unseren Vermieter des Hauptgebäudes in der Dürestraße 10, nicht davon überzeugen konnten, einen Aufzug und eine Rollstuhlrampe für Menschen mit eingeschränkter Mobilität einbauen zu können. Das war mein erster Wunsch in meiner ersten Woche im Amt: diese Barriere aus dem Weg zu räumen, die uns daran hindert, allen Studierenden, Lehrenden und Gästen gerecht zu werden. Wir haben architektonische Pläne, wir haben die Finanzierung gesichert, aber unser Antrag wurde abgelehnt. Wenn es endlich so weit ist, wird dies ein Zeichen für eine neue Zukunft für die Einrichtung sein, und ich werde zur Einweihungsfeier kommen!