Hype um Luxus-Imitate

Sind Marken-Fakes die Rache der Verbraucher?

Screenshot aus einem Video der Style- und Mode-Influencerin Anna Bey über den Hype um die "Wirkin Bag" von Walmart, die die über zehnmal so teure Birkin Bag von Hermes imitiert
Foto: Screenshot via Youtube

Screenshot aus einem Video der Style- und Mode-Influencerin Anna Bey über den Hype um die "Wirkin Bag" von Walmart. Diese imitiert die über zehnmal so teure Birkin Bag von Hermès

Lange war es für Modefreaks undenkbar, sich mit Fakes von Luxusgütern zufriedenzugeben. Doch das ändert sich. Während Marken-Taschen immer teurer werden, gewinnen Imitate an Akzeptanz. Weisen die Kunden die Industrie in die Schranken? 

In einer Episode der legendären Serie "Sex and the City" kauft Samantha eine gefälschte "Baguette"-Handtasche von Fendi. Die Übergabe geht mit einem unangenehmen Typen in einem Hinterhof in Los Angeles vonstatten. Statt 3000 Dollar zahlt sie für den Fake nur 150. Carrie will es ihr nachmachen, doch ändert im letzten Moment ihre Meinung. Selbst, wenn es niemandem auffallen würde, wüsste sie doch immer, dass die Tasche keine echte ist, sondern ein trauriger, aus einem Kofferraum gezogener Ersatz.

Diese Mentalität hielt sich lange auch in der Realität: Wenn du dir das Original nicht leisten kannst, dann verzichte ganz auf die Tasche. Imitate wirken billig, und letztlich sieht man doch die feinen Unterschiede. Es schien ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, eine Ehrung der raren Luxus-Exemplare, die nur ein winziger Teil der Modeverrückten bezahlen konnte. Teure Taschen galten als Status-Symbol, waren für einige sogar eine Anlage. Sie und die Marken dahinter galten als unantastbar, im wahrsten Sinne des Wortes. Das war zumindest einmal. Denn heute würde Carrie sicherlich beim Fendi-Doppelgänger zuschlagen. 

Laut der HSBC-Finanzgruppe sind die Preise für Luxusgüter seit Ausbruch der Corona-Pandemie vor fünf Jahren um durchschnittlich 54 Prozent gestiegen. Chanel etwa ist ganz vorn dabei. Die "Classic Flap"-Tasche kostet mittlerweile um die 10.000 Euro, während sie 2012 noch bei unter 5000 Euro lag. Auch die Taschen von Hermès haben eine deutliche Preissteigerung hinter sich. Eine "Birkin Bag 25" in Togo-Leder kostete 2016 noch um die 6000 Euro, heute sind es für ein neues Exemplar um die 10.000.

Die Qualität steigt eben nicht mit dem Preis 

Das Problem hierbei ist nicht nur, dass sich nur noch Wenige die begehrten Accessoires leisten können, sondern auch, dass die Qualität nicht etwa mit dem Preis steigt - vielmehr sinkt sie. Immer wieder werden Vorwürfe laut und Skandale offenbar, in denen hochpreisige Modehäuser Subunternehmen anheuern, die ihre Luxustaschen unter unwürdigen Bedingungen und zu minimalen Preisen herstellen. Im letzten Frühjahr waren es Armani und Dior, deren Herstellungsprozesse durch Razzien aufgedeckt wurden. Knapp 60 Euro kostete die Produktion einer Tasche in den geheimen Sweatshops, das Endergebnis wurde jedoch für mehrere tausend Euro verkauft. 

Wofür zahlt man diesen Preis? Für höchste Qualität, auf die die Luxusmarken zur Rechtfertigung verweisen, wohl eher nicht. Mit diesen Hintergrundinformationen klingt eine sogenannte Luxustasche schon an sich wie eine schlechte Kopie. Wieso also nicht auch den passenden Tiefpreis zahlen? 

Etwas Ähnliches müssen sich auch die Designer der US-Handelskette Walmart gedacht haben, als sie zwischen den Jahren ein "Birkin-Bag"-Double auf den Markt brachten. Die rechteckige Handtasche mit dem typischen Schloss- Schlüssel-Verschluss und runden Griffen war nur kurz auf der Walmart-Website online. Mit 78 Dollar zahlten die schnellen Käufer weniger als ein Hundertstel des Originalpreises, und so waren zwei Größen in 12 unterschiedlichen Farben rasch vergriffen. "Luxusmarken sind nicht die ethischen Qualitätspfeiler, die sie sein sollten, also sind die Fälschungen aggressiver und akzeptabler", sagte dazu Milton Pedraza, Gründer und CEO des Beratungsunternehmens Luxury Institute der Plattform Business of Fashion. "Die Verbraucher denken 'Na ja, du hast es verdient'. Das ist keine gute Sache."

Eine "Wirkin" für die Arbeiterklasse

Von TikTokern auseinandergenommen, scheint die Tasche bis auf die erste Ähnlichkeit nicht viel mit dem teuren Original gemein zu haben. Echtes Leder? Eher nicht. Und in Frankreich hergestellt wie das Hermés-Stück wurde die sogenannte "Wirkin" auch nicht. Als "Birkin für die Arbeiterklasse" wird die Tasche beschrieben. Ein kleines Stück vom Kuchen für die, die an die Torte nie herankommen werden. Ein Jutebeutel würde den Zweck sicher auch erfüllen, doch darum geht es nicht. Luxustaschen, und vor allen die "Birkin Bags", verkörpern ein hedonistisches Lebensgefühl, sind kein Gebrauchsgegenstand, sondern symbolisieren Reichtum und das Dazugehören zu einer bestimmten Gruppe. 

Der bedeutungsschwere Behälter wird für das Erlebnis gekauft, das er verspricht und ist zu einem solchen Kult-Objekt geworden, dass unzählige ähnliche Versionen den Markt bevölkern. Doch vielleicht möchte ein "Wirkin-Käufer" gar nicht dazugehören, sondern sich dem Druck von oben entgegenstellen. Der Modenachrichten- und Meme-Account @dietprada zitiert auf Instagram die Soziologin Tressie McMilan Cottom. Diese argumentiert, dass der Kauf einer solchen Kopie ein "politischer Akt" sei, bei dem es nicht darum gehe, einen Status in der Oberschicht zu erreichen, sondern vielmehr darum, "die Klassenidentität symbolisch auszulöschen ... aus einer Klassenposition heraus, die von den politisch Wissenden festgelegt wurde." Oder einfacher gesagt: Wenn jeder eine "Birkin Bag" hat, hat keiner eine. 

Auch ein weiterer Post beschäftigte sich mit diesem Punkt. Hier antwortet TikTok-Userin @jesicaelise auf den folgenden Kommentar: "Unterm Strich: Die 'Birkin Bag' existiert (für mich) nicht als ein realer Artikel. Sie ist ein Albatros, ein Talisman des Kapitalismus / veralteter Klassenstrukturen. Ein Höllenhund weißer Gleichheit." Die Userin erklärt in ihrem Video, dass ökonomische Ungleichheit Status-Angst hervorriefe und wir diese mit auffälligem Konsum einzudämmen versuchten. Das eigentliche soziale Ziel bestehe darin, die Kluft zwischen dem Durchschnitt der Bevölkerung und der Elite zu überwinden.

Das schreit nach Umverteilung

Eine Handtasche ist also auch ein Politikum: Sie steht für Exklusivität, grenzt Gruppen aus, löst politische Diskurse aus und zeigt Unverhältnismäßigkeiten auf, weil sie eben viel mehr ist als nur ein Accessoire. Im Jahr 2016 wurde eine Hermès "Birkin 30 Niloticus Himalaya Blanc" aus weißem Krokodilleder mit 18-karätigem Weißgold und Diamantbeschlägen bei einer Auktion für umgerechnet 242.000 Euro verkauft. Im darauffolgenden Jahr wechselte ein ähnliches Modell aus dem Jahr 2014 für umgerechnet ca. 341.000 Euro die Besitzerin. Raumschiff, Bunker oder Tasche – solche Extravaganzen der Superreichen schreien für viele nach Vermögensumverteilung.

Dass die Assoziationen mit der Luxustasche nicht unproblematisch sind, ist schon länger klar. Vor etwa drei Jahren wurden die Rapperin Cardi B und andere Frauen in der Hip-Hop-Branche online dafür kritisiert, "Birkin Bags" zu besitzen. Es wurde einerseits die Echtheit ihrer Versionen angezweifelt, andererseits hieß es, sie würden den Wert der Marke mindern. "Warum fragt ihr alle weiblichen Rapper, ob sie eine Tasche aus dem Hermès-Laden bekommen können? Ihr macht das nicht mit diesen weißen Berühmtheiten... Warum müsst ihr also uns fragen?", schlug Cardi B zurück.  

Auch der Schwarze Rapper Offset meldete sich zu Wort: "Dass Schwarze Zugang zu Luxus haben, sollte keine Debatte sein ... Hip-Hop setzt übrigens die Trends!" Die Tasche ist in den Köpfen einiger offenbar einer bestimmten demografischen Gruppe vorbehalten. Reich muss sie sein. Und damit auch weiß, so die Logik. Trägt eine Person, auf die diese Kriterien zutreffen, eine "Birkin", bestätigt sie das Accessoire als Status-Booster. Trägt eine vielleicht ebenso vermögende Schwarze Person dasselbe, passt das nicht mehr ins Raster der Elite.


Wer eine "Birkin Bag" besitzen will, muss meist eine fast demütigende Prozedur über sich ergehen lassen, bis er oder sie mehrere tausend Euro ausgeben darf. Interessenten reichten vor Kurzem eine Klage ein, in der sie behaupteten, dass sie für den Kauf einer Tasche zunächst andere Hermès-Accessoires und -Gegenstände erwerben mussten, was die Gesamtkosten für das eigentliche Wunschprodukt extrem in die Höhe trieb. "Hermès lacht euch ins Gesicht und lässt euch durch Reifen springen, um ihnen zehntausende von Dollar zu geben?? Nein!!", schrieb ein Nutzer auf X. Die Rache ist nun eine einfach zu entlarvende nachgemachte Tasche, die das Original zitiert, aber ignoriert. Die ganz dreist allen Menschen zugänglich ist. Und das bestätigt einen Trend.

Duplikate bekannter Markentaschen sind in den letzten Jahren immer gängiger geworden. Verbraucher betrachten Luxusgüter zunehmend weniger als Nachweis von sorgfältiger Handwerkskunst und ausgeklügeltem Design, sondern als Konsumfalle eines gierigen Unternehmens. Dank guter Fakes, sinkender Qualität und einem Überfluss an Markentaschen auf Social-Media-Plattformen verwässert ihre Bedeutung. Günstigere Versionen sind willkommener und werden immer besser. Oft werden sie aus dem gleichen Material und sogar im selben Werk hergestellt wie die teuren Originale. Das Einzige, was fehlt, ist das Logo. 

Laut "Morning Consult" hat etwa ein Drittel aller Erwachsenen in den USA absichtlich eine Kopie gekauft, wobei diese Zahl bei der Generation Z auf fast die Hälfte und bei den Millennials auf 44 Prozent steigt. Ob die "Walmart-Birkin" einen langfristigen Effekt auf den Ruf der echten "Birkins" hat, ist fraglich. Jedoch wurde durch sie eine Diskussion angestoßen, die seit Langem nötig war. Wie weit können Luxusmarken gehen, bis es den Verbrauchern reicht? Und was ist die Konsequenz? Der sinkende Umsatz der Branche könnte die Antwort sein. Die Scham, sich das Original nicht leisten zu können, schwindet jedenfalls. Viel eher sollten sich diejenigen schämen, die den Preis eines Kleinwagens für eine qualitativ schwächelnde Handtasche fordern.