TOPS
Litauischer Pavillon
Pavillons in Kirchenräumen haben in Venedig immer ihren eigenen Reiz. Und die Ausstellung mit dem Titel "Inflammation", die Installationen des Künstlerduos Pakui Hardware und Gemälde von Marija Teresė Rožanskaitė kombiniert, bespielt den Raum der Chiesa di Sant’Antonin auf sehr kraftvolle Weise. Pakui Hardware zeigen spinnenartige, pulsierend leuchtende Skulpturen aus Aluminium und Glas, halb organisch, halb technologisch, ähnlich wie die Motive auf den Gemälden der 2007 verstorbenen Rožanskaitė. Es geht um Medizin, den Körper, die Entzündung, die den Planeten erfasst – und all das in einem Raum der Erleuchtung.
Deutscher Pavillon
Die Schlangen am deutschen Pavillon in den Giardini waren während der Vorbesichtigungstage lang – warum sich der Besuch dort unbedingt lohnt, lesen Sie hier. Doch nicht vergessen, sollte man dabei den Ausflug zur Insel La Certosa. Weit weg von Venedigs Trubel und doch jederzeit von den Geräuschen der geschäftigen Lagune umgeben, tapst man durchs Gras. Die Basslautsprecher von Robert Lippok wummern in der Erde, Jan St. Werners alienhaftes Lautsprechersystem dreht sich in der malerischen Ruinen des ehemaligen Klosters, und beim Spaziergang durch Schilf und Wald mischt sich der Klang der Soundinstallationen von Nicole L'Huillier und Michael Akstaller immer wieder mit dem Klangspektrum der Insel zwischen Vogelzwitschern und weit entfernten Schiffssirenen. Wirkt wie ein Kurzurlaub für die Sinne.
Äthiopischer Pavillon
Äthiopien nimmt 2024 zum ersten Mal an der Biennale von Venedig mit einem eigenen Pavillon teil, und suchte den 1984 geborenen Künstler Tesfaye Urgessa aus, um das Land künstlerisch zu repräsentieren. Was für eine gute Wahl: Seinen Stil entwickelte Urgessa zuerst an der Kunst- und Designakademie in Addis Abeba und dann an der Staatlichen Akademie Stuttgart.
Der deutsche Neo-Expressionismus und der Stil der London School of Painters habe ihn beeinflusst, sagt Urgessa. Seine großformatigen Gemälde zeigen, in einer besonderen Malweise leicht abstrahiert, menschliche Figuren in Interaktion. Nie kann man genau sagen, was sie tun. "Menschen denken oft, dass ich auf meinen Bildern Opfer male, aber es ist ganz anders. Die Figuren haben alle möglichen Emotionen, Fragilität aber auch Zufriedenheit. Ich präsentiere die Figuren, ohne sie zu bewerten. Ich sage damit, wer ich bin und was ich bin." Tesfaye Urgessa sagt, er glaube, diese Teilnahme sei ein Neustart für die Kunst in Äthiopien, und er sei glücklich, Teil davon zu sein. Sehr gut möglich, dass er Recht hat.
Isländischer Pavillon
Der Preis für die beste Give-Away-Tasche geht schon mal an Island. Hildigunnur Birgisdottir hat welche von den venezianischen Souvenirs-Kiosken ausgesucht, die buntesten und kitschigsten. Das passt in gewisser Weise zu ihrer konzeptuellen, zugleich kapitalismuskritischen und doch gut gelaunten Arbeit: große Wandpaneele zeigen alle möglichen vertrauten Firmenlogos und Wasserzeichen, von Zoom über Twix bis zu Barbie.
Es sind die Logos der Produkte und Dienstleister, die Birgisdottir während der Vorbereitungszeit in Anspruch genommen hat – und die wir alle andauernd benutzen, nur bleibt dies für unser Bewusstsein meist unsichtbar. Aus den Wänden ragen witzige Plastik-Skulpturen, es handelt sich um vergrößertes Barbie-Zubehör: eine Pizza, ein Kopfsalat, eine Parfumflasche. Worum geht es? Vielleicht darum, wie man schon als Kind für den Kapitalismus zugerichtet wird.
Österreichischer Pavillon
Migrationserfahrungen sind ein großes, wichtiges Thema in der Kunst der diesjährigen Biennale. Anna Jermolaewa schafft es im österreichischen Pavillon, dem belastenden Erlebnis – sie musste 1989 aus politischen Gründen als 19-Jährige aus der Sowjetunion fliehen – viele persönliche Perspektiven abzugewinnen, die formale Stringenz haben. In einem Video gibt es ein Re-enactment des Versuchs, auf einer Wartebank im Wiener Westbahnhof eine Schlafposition einzunehmen. Immer wieder muss sie ihre Position verändern, eingehüllt in Kapuzenpulli und Mantel.
Ihre ersten Wochen als politische Geflüchtete in Österreich verbrachte sie auf dieser Bank, bis sie in ein Flüchtlingslager aufgenommen wurde. Eindrucksvoll auch die Arbeit "Ribs": In der Sowjetunion waren Schallplatten mit Pop und Jazz verboten. Doch man konnte die Musik auf gebrauchten Röntgenaufnahmen kopieren. Einmal täglich werden welche auf einem Plattenspieler im Pavillon abgespielt.
Französischer Pavillon
Es gibt in dieser Biennale auffällig viele Soundarbeiten, was manchmal so wirken kann, als ob die Künstlerinnen oder Künstler ihrem Material allein nicht ganz vertrauen und dem Visuellen noch Unterstützung zur Seite stellen. Beim französischen Künstler Julien Creuzet (hier im Monopol-Porträt) ist das anders: Hier gibt es eine überbordende Fülle an visuellen Elementen. Seine charakteristischen, scheinbar im Raum schwebenden Skulpturen, die ein wenig an Treibgut erinnern, füllen den hohen, hellen Raum aus.
Und doch gibt der Sound, gemeinsam mit seinen Videos und einem Duft, der von einigen seiner Skulpturen ausgeht, eine unverzichtbare Rahmung. Creuzets treibende, ausgezeichnet produzierte Klangstücke zählen, wie seine Skulpturen, Videos und Gedichte, fest zu seinem Gesamtwerk. Schon der Titel seiner Arbeit ist ein Poem: "Attila cataract your source at the feet of the green peaks will end up in the great sea blue abyss we drowned in the tidal tears of the moon" -(Attila Katarakt deine Quelle zu Füßen der grünen Gipfel wird im großen meeresblauen Abgrund enden, den wir in den Gezeitentränen des Mondes ertränkt haben).
Dabei ist seine dezidiert politische Haltung klar, auch wenn seine Ästhetik freundlich und sanft wirkt. Als Repräsentant der ehemaligen Kolonialgebiete Frankreichs, aus Martinique stammend, setzt er sich mit der Geschichte der Sklaverei, der transatlantischen afrikanischen Diaspora und den Grausamkeiten der Kolonialmächte auseinander. "Was ich den Besuchern dieses Pavillons bieten möchte, ist ein komplexer, sensorischer Begegnungsraum für tiefgreifende Erlebnisse. Für mich ist das genau das, worum es im Raum geht. Es ist ein Schnittpunkt, ein Ort, an dem man allem begegnen kann, vor allem sich selbst."
Nigerianischer Pavillon
Ach Gottchen, die European fatigue greift um sich, alles geht den Bach runter – das hört man in Venedig gerne auch von Leuten, denen es eigentlich an Privilegien nach wie vor nicht mangelt. Ein gutes Gegenmittel gegen das Lamentieren ist ein Besuch des nigerianischen Pavillons, der überfließt vor Optimismus und Energie. Die von Aindrea Emelife kuratierte Gruppenschau "Nigeria Imaginary" zeichnet das Porträt eines Landes of potential, so die Ankündigung. Es geht einerseits zurück in die Geschichte, um Kolonialismus, korrupte Staatmänner, Ressourcenausbeutung, Polizeigewalt, wobei man vor allem auf "Momente des Optimismus" in jener Vergangenheit fokussiert: die Euphorie nach Ende der Kolonialherrschaft etwa, Kulturclubs wie den 1961 gegründeten Mbari Club oder das avantgardistische Drum-Magazine.
Und andererseits geht es um die Frage, was und wie das Land in der Zukunft sein könnte, um neue Ideen und Utopien. Precious Okoyomon hat eine Radiostation in einem kleinen Garten installiert, die Musik und Gedichte abspielt. Yinka Shonibare zeigt Repliken der Benin Bronzen und in ihrer Mitte ihren Dieb, den britischen Expeditionsleiter Sir Harry Rawson, der hier zu einem in einen Glaskasten eingesperrten Fundstück in typisch "afrikanischer" Aufmachung degradiert ist. Toyin Ojih Odutola Malerei ist ein zauberhaftes Portal in eine spirituelle Welt – während die Utopien in einem weiteren Saal schon greifbar werden: Sie zeigen ein Modell des ehrgeizigen Museum of West African Art, das im November in Benin City eröffnen soll.
US-amerikanischer Pavillon
Als die afroamerikanische Bildhauerin Simone Leigh den US-Pavillon auf der vergangenen Venedig Biennale mit viel Bast in eine traditionelle Hütte verwandelte, navigierte sie doch recht nah an Ethnokitsch. Jeffrey Gibson legt in diesem Jahr noch einen drauf und überzieht das Gebäude mit handgemalten Wandbildern in schrillen Farben und Mustern – und erreicht so exakt den Punkt, an dem Kitsch in Camp übergeht und sich Ernst und Ironie durchkreuzen.
Gibson ist der erste indigene Künstler, der die USA "vertritt", und er ist queer. Es gelingt ihm, gleichzeitig eine Geschichte der Unterdrückung und des Freiheitskampfes zu erzählen, ohne sich in identitären Kurzschlüssen zu verheddern, was schon der Titel seines Projektes - "The space in which to place me" - klarmacht. Eine große Außenskulptur macht den Vorhof des Pavillons zur Chillout-Zone, drinnen vermischen sich traditionelle Töpfer- und Textilarbeiten mit politischen Slogans, Sprichwörtern des Dakota-Volkes oder Songzeilen von Nina Simone. Das alles ist hoch politisch und null nostalgisch, und spätestens, wenn eine Tänzerin zu den House Beats einer First Nation Electronic Dance Group performt, werden auch die steifesten Hüften weich.
Vatikan-Pavillon
Der Vatikan hat seinen Pavillon im Frauengefängnis auf der Insel Giudecca platziert. Nach Abgabe des Handys und Sicherheitschecks wird man in kleinen Gruppen, begleitet von Insassinnen und Aufsehern, durch die Gebäude geführt. Die Räume zu sehen oder den Spielplatz, auf dem inhaftierte Mütter zu Besuchszeiten mit ihren Kindern spielen können, die Geschichten der Insassinnen zu hören und dabei die (sadistischen?) Gesten und Mimiken des Aufsichtspersonal zu beobachten, einen kurzen Einblick in die ganze architektonische und soziale Logik des Überwachens und Strafens zu bekommen – all das ist an sich schon erschütternd.
Die Ausstellungswerke von Künstlern wie Maurizio Cattelan, Claire Fontaine oder Sister Corita verteilen sich auf verschiedene Stationen des Gebäudes, die Küche etwa, den Gefängnishof oder die Gänge, wo Simone Fattal gemeinsam mit Inhaftierten deren Gedichte auf Leinwände übertragen hat. Der Freiheitsbegriff, über den ja auch in der Kunst immer wieder gesprochen wird, er bekommt hier eine ganz andere Dimension.
FLOPS
"Las Meninas a San Marco"
"Absoluter Mist!" – Der New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz fand kürzlich in den sozialen Medien markige Worte, um seine Abneigung gegen die Skulptur "Las Meninas a San Marco" des spanischen Künstlers Manolo Valdés auszudrücken. Die 13 von Diego Velázquez' Gemälde "Las Meninas" (1656) inspirierten Bronzestatuen wurden von der privaten Galleria D’Arte Contini gemeinsam mit der Stadt Venedig auf dem Markusplatz aufgestellt – und finden nicht nur Freunde. Die örtliche Denkmalschutzorganisation Italia Nostra etwa kritisierte die "Biennalisierung" der Lagunenstadt, die sich im prominenten Installationsort der Arbeit ausdrückt. Auch, wenn die Biennalisierung und Banalisierung Venedigs ohnehin wohl kaum noch aufzuhalten sind, die Buddy-Bear-Vibes von "Las Meninas a San Marco" gehen echt zu weit.
Rauchen im koreanischen Pavillon
Der koreanische Pavillon ist diesmal nur sehr minimalistisch bespielt – Künstlerin Koo Jeong A hat eine subtile Geruchslandschaft erstellt, für die Koreanerinnen und Koreaner ihre aromatischen Erinnerungen beigesteuert haben. Man betritt also mit schnupperbereiter Nase den hellen, offenen Raum – und riecht Zigarrenrauch. Seltsam, ist das typisch koreanisch? Nein, ein Biennalebesucher hat es nicht für nötig befunden, seine fette Zigarre auszumachen. Mit Rauchwaren in eine Geruchinstallation? Keine gute Idee.
Boardmembers von US-Museen
Wenn man irgendwo in den Ausstellungsräumen eine mit kehligen Schnatterlauten umherziehende Herde antrifft, handelt es sich höchstwahrscheinlich um die Boardmembers oder Trustees eines US-Museums. Es sind Menschen, die ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet haben, vom Schmutz der Alltagswelt unberührt zu bleiben, nach Venedig nun aber leider ohne jene Heerschaaren an Lakaien reisen müssen, die sie genau dafür engagiert haben.
Um nicht allein und schutzlos dazustehen, bewegen sie sich prinzipiell in Gruppenformation, versperren Gänge und Sichtachsen, sind viel zu laut und rücksichtlos, und mittendrin steht meist ein bedauernswerter Museumsdirektor, der die Werke erklären und vor allem viel lächeln muss. Die reichtumsbedingte Unfähigkeit, sich wie ein normaler Mensch zu verhalten, hat aber auch eine komische Seite: Vor den wenigen Toiletten auf dem Biennale-Gelände bilden sich meterlange Warteschlangen, bei deren Anblick die Boardmembers in Schweiß ausbrechen: Mit panischem Blick schreiten sie die Schlange auf und ab, der Gedanke, sich hier wie jeder und jede anstellen zu müssen, ist unerhört und unerträglich. Aber es hilft alles nichts. You may call it communism, wir nennen es öffentlicher Raum.
Kleinkünstler, die Großevents kommentieren
Kleinkunstkünstler, die ihr vor den Biennale-Austragungsorten eure melodramatischen oder vermeintlich ironisch-verschmitzen Kleinkunst-Stunts aufführt, um in den vorbeistolpernden Kunstbetriebsarbeitern ein ausgeliefertes Publikum zu finden, es ist so lästig, was ihr da tut, und man kriegt gleich noch mehr Lust auf eine elitäre aber eben kuratierte Veranstaltung wie die Biennale! Kleinkünstler, werdet frei, werdet autonom und verachtet Kunstbetriebsnudeln wie uns, statt euch mühsam am Mainstream abzuarbeiten und ihn dadurch erst anzuerkennen.