Die Nachhaltigkeitsdebatte stürzt die wesensmäßig verschwenderische Modewelt in eine Identitätskrise. Vermehrt stellen sich Designer, Kreativdirektoren und Redakteure Fragen nach der Rechtfertigung immer schneller rotierender Trend- und Produktionszyklen. Vetements-Gründer Demna Gvasalia machte bereits 2017 mit Kleiderberg-Installationen auf das Problem der Überproduktion aufmerksam, auf der Design Miami 2019 zeigte Harry Nuriev ein mit ausrangierter Balenciaga-Kleidung gepolstertes PVC-Sofa, und unter den Entwürfen der zuletzt für den renommierten LVMH Prize nominierten Jungdesignern dominierten Kollektionen aus umgeschneiderter Second Hand-Kleidung, viktorianischen Steppdecken und Supermarktabfällen.
Nun hat sich auch die italienische "Vogue" zu Wort gemeldet. Im Editorial für die Januarausgabe rechnet Chefredakteur Emanuele Farneti nach, wie viele Ressourcen ein typisches "Vogue" -Shooting verbraucht: "150 involvierte Personen. Ungefähr 20 Flüge und ein Dutzend Zugfahrten. 40 Autos auf Standby. 60 internationale Lieferungen. Mindestens zehn Stunden lang angeschaltete Lichter, teilweise angetrieben von Benzin-Generatoren. Essensabfälle durchs Catering. Plastik, um die Kleidung zu verpacken. Elektrizität, um Handys und Kameras zu laden…" Für die aktuelle Ausgabe wurde all das nun eingespart, denn statt Fotos ist das Heft ausschließlich mit Illustrationen gefüllt.
Aktivismus und Oberflächenkosmetik
"No photoshoot production was required for the making of this issue" steht auf den von sieben Künstlerinnen und Künstlern gestalteten Covern. Kreativschaffende wie die Mode-Performance-Legende Vanessa Beecroft und die junge mosambikanische Künstlerin Cassi Namoda haben eng mit Stylistinnen und Stylisten zusammengearbeitet, um alternative Editorials zu schaffen, die ihren fotografischen Pendants um nichts nachstehen. Die durch einen Honorarverzicht gesparten Produktionskosten kommen der venezianischen Fondazione Querini Stampalia zugute, einer durch Hochwasser schwer beschädigten Kultureinrichtung für Studenten.
1,2 Milliarden Tonnen CO2 erzeugt die Modeindustrie jährlich und ist damit für fünf Prozent aller weltweiten Emissionen verantwortlich. Angesichts dieser Zahlen bleibt jeglicher Industrie-Aktivismus Oberflächenkosmetik. Trotzdem stellt Farneti mit seiner Sonderausgabe eine unangenehme und gleichsam wichtige Frage: "Kann die Mode mit ihrem obsessiven Verlangen nach Neuheit und Besitz genuine Nachhaltigkeit anstreben?" Die Antwort gibt er selbst: Nur, wenn die Kreativität der Branche dafür eingesetzt wird, nach neuen Wegen zu suchen – Wegen, die über simple PR-Stunts hinausgehen.