"Wenn ich mit einem Künstler zusammen bin, fühle ich mich wie ein Schüler," sagt der Verleger Gerhard Steidl. Wenn man Künstler umgekehrt über ihn sprechen hört, dann klingt das so: "Er ist ein Rätsel," sagt der große britische Fotograf David Baily. "Er könnte gestern oder vor 1000 Jahren geboren worden sein, ich weiß es nicht." Oder Mitch Epstein: "Steidl ist ein eigener Planet in seiner eigenen Umlaufbahn." Da gebe es diese "düstere Straße" in Göttingen, die ganz gewöhnlich aussehe. "Aber hinter den Mauern des Steidl Verlags ist die größte kreative Brillianz der ganzen Welt zuhause."
Gerhard Steidl, der am Sonntag 70 Jahre alt wird, machte mit 17 Jahren in seiner Heimatstadt Göttingen Abitur, mit 18 Jahren gründete er seinen Verlag. Er trägt Turnschuhe, Hornbrille und einen weißen Kittel, in der Brusttasche stecken in gleichen Abständen mehrere Stifte. Er ist gewiss kein Small-Talk-Typ, denn er hat keine Zeit, er hat zu tun. Er muss die besten Fotobücher der Welt machen.
Steidl arbeitet fokussiert, obsessiv, und er kommt zu fantastischen Ergebnissen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Henri Cartier-Bressons "The Decisive Moment" in unverminderter Qualität nachzudrucken. Zehn Jahre brauchte er, um die Formel zu knacken, die den nicht mehr praktizierten Fototiefdruck-Prozess zufriedenstellend, also perfekt, simulieren konnte. Die Erlaubnis zum Nachdruck erteilte ihm dann Bressons Witwe, denn der Fotograf war inzwischen gestorben.
"Ich kann mein Gehirn nicht aufteilen"
Tatsächlich kommt jeder Künstler, jede Künstlerin, die das Glück haben, mit Steidl ein Buch zu machen, drei bis vier Mal in den Verlag nach Göttingen. Der gesamte intensive Prozess, die Konzeption, das Material, die Maschinen, alles läuft ausschließlich nach dem Prinzip 1:1. "Ich bin immer total fokussiert auf den einen Künstler, mit dem ich im Moment arbeite," sagt Steidl. "Seine Ästhetik ist in meinem Gehirn. Ich kann mein Gehirn nicht aufteilen."
Am Anfang eines jeden Projekts steht Steidls Frage, was die Vision für das Buch sei. Dann hört er zu. Und stellt sich anschließend mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten, die von vielen als "magisch" bezeichet werden, komplett in den Dienst dieser Vision. Sein langjähriger Auftraggeber Günter Grass soll mal gesagt haben, es sei ja sehr gut mit ihm zusammen zu arbeiten, aber man verhungere. Seitdem beschäftigt Steidl einen eigenen Koch, der jeden Vormittag Essen zubereitet. Er habe es ohnehin gehasst, sagt der Verleger trocken, wenn die Leute immer zum Mittagessen verschwanden und ihm dann bei der Arbeit fehlten. Das an den Verlag angeschlossene Gästehaus für die aus aller Welt eincheckenden Kreativen hat den Namen Halftone Hotel.
Schicken sie mir das eine, das Beste!
Bücher von Steidl werden weltweit gesammelt. Gegen Ende der Amtszeit von Obama schickte er auch ein Paket ans Weiße Haus. "Der hatte rausgefunden, oder es hatte ihm jemand gesagt, dass wir der Verlag mit den meisten amerikanischen Fotografen sind", erzählt Steidl lakonisch der Nachrichtenagentur dpa.
Wie aber erweckt man sein Interesse, wie überzeugt man Steidl? Bitte keine fertigen Blurb-Books schicken, sondern lieber selbst Material zusammenstellen, verrät er in einem Video, in dem er Fragen zum Büchermachen mit Steidl beantwortet. Kleiner Tipp: In gutes Papier einschlagen hilft. "Ich muss phyisch überzeugt werden." Ob es besser sei, sich mit drei oder vier guten Ideen bei ihm vorzustellen, damit er Interesse entwickele? "Du liebe Zeit, schicken Sie niemals mehr als einen Vorschlag! Ein Buch! Denken Sie gut nach, nehmen Sie sich Zeit, und schicken sie mir das eine, das Beste." Er nimmt seine Brille ab, sie muss geputzt werden. "Die anderen heben Sie auf für andere Verleger."