In das warme Licht einer Edward-Hopper-Abendstimmung hat Pedro Almodóvar sein neues Meisterwerk getaucht. "The Room Next Door", nun mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, war der einzig makellose Wettbewerbsfilm in Venedig. Und wer in dem reduzierten Kammerspiel nicht genug typische Almodóvar-Opulenz ausmachen konnte, hatte etwas übersehen.
Julianne Moore und Tilda Swinton spielen darin ungleiche Freundinnen. Die erste, Ingrid, fürchtet als Schriftstellerin nichts mehr als den Tod, die andere, Tilda Swintons Martha, hat sie dennoch als traurige Reisebegleiterin ins selbstbestimmte Sterben auserkoren. Schauplatz ist ein erlesener moderner Wohntempel in einer Waldlandschaft, das Thema ist die Tragik, in der Krankheit für die geliebte Schönheit und die Feinheiten der Kunst nicht mehr empfänglich sein zu können. Die US-Philosophin Susan Sontag gilt als Inspiration der Figur in der Romanvorlage "Was fehlt dir" von Sigrid Nunez.
Kunst und Kino sind in der Organisation der Venedig-Biennalen streng getrennte Sparten, und doch schwappt meist etwas über den Tellerrand. 2022 zum Beispiel gewann hier Laura Poitras‘ Nan-Goldin-Dokumentarfilm "All the Beauty and the Bloodshed" den Goldenen Löwen des Kinofestivals, während die Protagonistin Goldin selbst auf der Kunstbiennale mit ihrem Found-Footage-Werk "Sirens" vertreten war.
Diven waren ein großes Thema
Diesmal schien das Kino mit der bildenden Kunst allerdings nicht allzu viel zu tun haben zu wollen. Wenn in einem aufwändigen Biopic über den Erotik-Star Cicciolina, den Pornoregisseur Riccardo Schicchi und ihre titelgebende gemeinsame Agentur "Diva Futura" (Regie: Guilia Louise Steirgerwalt) nicht einmal Jeff Koons vorkommt, kann man zumindest diesen Eindruck bekommen.
Diven allerdings waren ein großes Thema. Der Chilene Pablo Larráin lieferte sie im Doppelpack, wenn er in "Maria" die Opernlegende Maria Callas mit Angelina Jolie besetzt. In Todd Phillipps' "Joker: Folie à Deux" liefern sich Lady Gaga und Joaquin Phoenix einen Wettstreit in Sachen Divenhaftigkeit. Und selbst in Wang Bings chinesischem Dokumentarfilm "Youth: Homecoming" fällt bei einer Hochzeitsfeier der schöne Satz: "Ich sollte nicht so viel lächeln, sonst verschmiere ich mein Make-up." In der wiederentdeckten Fassung von Werner Schroeters Frühwerk "Goldflocken" schließlich baut ein verboten schöner Udo Kier zu einer Opernarie ein Kartenhaus.
Der einzige Film mit direktem Kunstbezug gilt einer Diva der Avantgarde, wenn wir sie so nennen dürfen: Yoko Ono. Tatsächlich erwies sich Kevin Macdonalds "One to One: John & Yoko" schon in seiner konsequenten Found-Footage-Form als versteckter Avantgardefilm. Ausgehend von John Lennons Bemerkung, er habe das erste Jahr seiner Zeit in New York nach dem Ende der Beatles Anfang der 70er-Jahre fast nur vor dem Fernseher verbracht, spielt er in einem solchen Flimmerkasten.
Hass von unterschiedlichen Seiten
In diesem Gerät, drapiert inmitten einer Rekonstruktion des ersten, bescheidenen Apartments, welches das Ehepaar in Greenwich Village bewohnte, zappt eine unsichtbare Hand zwischen seltenen Aufnahmen aus dem Familienarchiv umher; darunter mitgeschnittene Telefonate, Nachrichtenschnipsel und restaurierten Filmaufnahmen des "One-to-One"-Wohltätigkeitskonzerts von 1972.
Roter Faden ist der Hass, der dem Künstlerpaar von unterschiedlichen Seiten entgegenschlägt. Während die Nixon-Regierung lange, wenn auch schließlich vergeblich an der Ausweisung Lennons aus den USA arbeitet, trotzt Ono einer Welle rassistischer und ignoranter Veröffentlichungen, wie sie vermeintliche Beatles-Fans bis heute im Internet absondern.
In diese Zeit fallen auch die Dreharbeiten des bedeutendsten gemeinsamen Kunstfilms des Paares, "Fly". Die Schwierigkeiten, dafür genug lebende Fliegen zu beschaffen, um sie über einen nackten Frauenkörper krabbeln zu lassen, bezeugen weitere archivierte Bänder des Anrufbeantworters.
Ein später Fluxusfilm
Die unkommentierte Materialsammlung wirkt in seinem sprudelnden Fluss aus Haupt- und Nebenströmen von nicht hierarchisiertem Informationsgehalt selbst wie ein später Fluxus-Film. Es ist auch ein medienarchäologischer Blick in die Zukunft: Künftige Archivfilme werden das Leben von Persönlichkeiten unserer Chat- und Social-Media-Ära sekundengenau rekonstruieren können. Aber könnte man einen ähnlichen Film über Taylor Swift überhaupt ertragen?
Für ein Jahr vor dem Fernseher erweisen sich Yoko und John jedenfalls als ausgesprochen aktiv, lassen keine Gelegenheit aus, sich gegen die konservative Regierung zu stellen oder mit einer Eselsgeduld auf ignorante Journalisten einzureden, als lägen sie immer noch zur Dauerfriedenskonferenz im King-Size-Bett der Amsterdamer Hilton-Suite.
Lange sollten sie das aber nicht mehr aushalten, und schließlich zogen sie sich in eine ganze Sammlung von Wohnungen im vornehmen Dakota-Building zurück. Das wäre dann vielleicht wieder ein Thema für die elektrisierende Nachdenklichkeit eines Almodóvar-Films wie "The Room Next Door".