Venedig-Biennale

Es gibt kein Zurück

Wegen der Corona-Pandemie wurden die Architektur- und Kunstbiennale von Venedig jeweils um ein Jahr verschoben. Das ist ein richtiges Zeichen. Wir brauchen Zeit, uns zu fragen, was solch ein Event in Zukunft sein soll. Ein Kommentar

Wenn die zugerankten Pavillons in den Giardini Jahr für Jahr wachgeküsst wurden durch neue Ausgaben der Architektur- oder der Kunstbiennale von Venedig, dann hatte sich die Vegetation dort ausgebreitet, der Putz war hier und da abgeblättert und musste erneuert werden, die Pforten wurden geölt und die Wege geharkt für die neue Saison.

In diesem Jahr endet der Frühling einfach nicht. Bis vor Kurzem stand auf der Webseite der Dachorganisation noch, dass die Architekturbiennale Ende August stattfinden werde, nun ist sie wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben worden auf Mai 2021. Damit gerät die gesamte Biennale-Tektonik in Bewegung, und auch die Kunstausstellung wird sich um ein Jahr nach hinten verschieben.

Zunächst klingt das vielleicht wie das Aufkündigen eines Naturgesetzes. Aber was würde das für ein Branchentreffen an der Lagune, wenn man es in diesem Sommer stattfinden lassen würde? Kein anderes kulturelles Ereignis lebt ja so sehr von dem kollektiven Erleben des Ortes, von der Gleichzeitigkeit an Erfahrungen und Austausch. Andererseits: Soll hier alles um ein Jahr verschoben werden, nur damit es im nächsten Jahr wieder weitergehen kann wie bisher?

Nach vorne schauen zwischen den Relikten einer vergangenen Welt 

Das wird ohnehin nicht passieren. Sicher ist es nicht schlecht, genau jetzt umso deutlicher zu fragen, welche Biennale man in Zukunft will. Dass das Konzept der Nationen-Pavillons einer anderen Zeit, einer anderen Welt angehört, diese Tatsache bearbeiten die Kuratoren Jahr für Jahr wieder mit neuen Ideen. Pavillons werden getauscht, es werden Künstler anderer Nationalitäten eingeladen, es werden nationenübergreifende Gruppenausstellungen gemacht, es werden überhaupt keine Ausstellungen gemacht, sondern nur noch Plattformen errichtet, auf denen neue Konzepte erdacht werden sollen. Die Pandemie verleiht all diesen Fragen eine neue Dringlichkeit. Und auch das Bewusstsein für den Standort selbst, für dieses äußerst fragile, gefährdete Venedig, das unter der Last einer kollektiven Sehnsucht irgendwann zusammenzubrechen droht, wird nur größer.

Wir werden die Giardini und die Lagune vermissen, sie uns nicht. Jetzt ist Geduld gefragt, bis die Pforten sich wieder öffnen und der geharkte Kies wieder unter den Sohlen knirscht. Als Zeichen ist es aber richtig: Es gibt ohnehin kein Zurück, und für die Frage, was jetzt kommen soll, braucht es mehr Zeit. Auch, um die Kunst- und Architekturbiennalen neu zu begreifen als Labor für die Zukunft, das privilegierterweise in den wunderschönen Relikten einer nicht mehr existenten Welt zu Hause ist.