Einen Tag bevor er in die Schweiz zieht, um für ein internationales Modehaus zu arbeiten, schickt Valentin Lessner einen Look seiner Abschlusskollektion "Resurrectio" nach Hyeres - und denkt nicht weiter darüber nach. Bis die Jury des renommierten französischen Mode-und Fotografie-Festvials den Designer zu einem der neun Finalisten für seinen begehrten Preis kürt. "Sonst wäre mit der Kollektion nicht mehr viel passiert, ich hätte sie eingelagert und irgendwann das visuelle Material veröffentlicht. Ich habe den Look ohne große Erwartungen eingesendet", erzählt er. Nun überarbeitet der Lessner seine Kollektion, bis sie im Oktober ins Rennen geht, in seiner Heimat. An dem Ort, an dem alles angefangen hat.
In Bayern, im Voralpenland wächst er in der Nähe des Ammersees zwischen ungefähr 4000 weiteren Einwohnern auf. Seine Großeltern leben in der Nähe, sie führen ein Schneideratelier für Herrenbekleidung. Ein erster Berührungspunkt mit der Mode, jedoch nicht der Ausschlaggebende für Valentin Lessner. Schon früh beginnt seine Suche nach der besten Art und Weise, sich auszudrücken.
Als einen konstanten Drang beschreibt er den Wunsch, aus dem vor sich hin plätschernden Alltag, einem fast "tristen Dasein" auszubrechen, das das dörfliche Leben mit sich bringt. Lessner widmet sich der Musik, legt auf, entdeckt die Fotografie - und findet schließlich die Mode als sein Medium, da sie viele verschiedene Strömungen vereine, wie er sagt. Sie war wegen ihrer vielen Möglichkeiten für ihn immer von Interesse.
Kann ich etwas Altem eine neue Bedeutung schenken?
Bereits mit zwölf Jahren schlendert Valentin Lessner über Flohmärkte und fokussiert sich auf sehr alte Kleidungsstücke, die für niemanden auf der Welt mehr von Interesse scheinen - und ihn gerade deshalb faszinieren. "Dieses Gefühl: Damit kann keiner mehr etwas anfangen, aber ich schon – das passt zu mir und meiner Arbeitsweise. Selbst heute, wenn es um Textilien oder Gegenstände geht, ist es Teil meiner DNA: Kann ich etwas Altem, das nicht mehr gebraucht wird, eine neue Beachtung schenken?"
So ging der Modedesigner auch bei seiner Kollektion "Resurrectio" vor. In dem Schneideratelier seiner Großeltern findet er Werkzeuge und vergessene Materialien, er streift durch verlassene Werkstätten, auf der Suche nach eingelagerten Unikaten, die den Archetyp für seine Looks bilden könnten. "Das hat mehr eine Seele", erklärt er.
Der Spagat zwischen Alt und Neu, Vergangenheit und Zukunft, Brauchtum und Aufbrechen prägt Valentin Lessners Arbeit. In seiner Kollektion widmet er sich dem ihm bekannten Dilemma, das er auch an den jungen Leuten seines Heimatdorfes beobachtet: Der Ambivalenz zwischen Heimatgefühl, Naturverbundenheit, Traditionen und dem Streben, mit der Zeit zu gehen und sich den unendlichen Möglichkeiten des "Digital Age" hinzugeben.
Ankommen und Entkommen gleichzeitig
"Viele gehen verloren, in dem digitalen Wandel unserer Zeit. Deswegen suchen wir gleichzeitig nach Halt", erklärt er. In einem Zuhause ankommen zu können sei wichtig, und trotzdem ginge es darum, genau dem zu entkommen. Er erkennt die Undergroundszene, in die sich junge Menschen in diesem Zwiespalt flüchten, als eine Art Auffangbecken an. In einem solchen fand er sich vor einigen Jahren selbst wieder und nennt es heute noch als eine seiner Inspirationsquellen.
Auch bei den konkreten Entwürfen der Kleidungsstücke wird Konventionelles mit Progressivem verknüpft. "Die Grundlage sind dabei alltägliche oder bekannte Kleidungsstücke, aus verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichem Hintergrund. Es geht um ein klassisches Produkt, das es schon gibt. In der Konstruktion, der Materialauswahl und der Schnittführung wird es dann eher in einen kontemporären und avantgardistischeren Kontext gesetzt."
In seinem Werk möchte der Designer eine Stimmung oder Emotion transportieren, die aus unterschiedlichen Anfangspunkten wachsen muss. "Wenn ich beispielsweise in meiner Kollektion ein Gefühl der Heimatverbundenheit ausarbeiten und einbinden möchte, recherchiere ich nicht nur nach traditioneller Trachtenbekleidung aus dem Alpenraum, sondern auch viel zu zeitgenössischen Künstlern und Musikern aus meiner Region. Das sind dann Menschen wie DJ Hell, Alf Lechner oder Mechatok, mit denen ich mich verbunden fühle."
Entwürfe aus dem, was da ist
Die so entstehenden Designs vereinen konservative Herrenmode mit futuristischen, zeitgenössischen Einflüssen. Wie ein Spiel beschreibt Lessner die Arbeit mit seinen sorgfältig zusammengesuchten Materialien, da er viel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mengen kalkulieren muss. Mantelärmel entstehen aus einer alten Decke der Bundeswehr, Sakkos sind Überreste aus dem Atelier seines Großvaters. Am 25. Juni zeigt der Designer seine Entwürfe auch auf dem Kunst- und Modefestival Strike A Pose in Düsseldorf.
Was Lessner an der Beziehung zu Kleidung in vergangenen Generationen schätzt, ist die hohe Wertigkeit, die ihr damals zugeschrieben wurde. Die sei es wichtig, wiederherzustellen.
So möchte er einen Überkonsum von Dingen vermeiden, die man eigentlich gar nicht braucht. "Ich habe die Vision, dass ich Kleidung mit gutem Gewissen erschaffen kann, die von hoher Qualität ist und Sinn ergibt. Ich möchte ein fundiertes Produkt entwerfen, das man über eine Generation hinweg tragen kann, und das nicht zur Kurzlebigkeit verurteilt ist."
Balance Zwischen Altem und Neuen
Und diese Produkte müssen nicht unbedingt unter seiner eigenen Marke entstehen. "Ich finde es interessant, für ein Modehaus zu arbeiten und sich an den Gründer oder die aktuelle kreative Leitung anzupassen. Wie definiert sich die Ästhetik? Was ist die DNA des Hauses? Man nimmt in gewisser Weise eine Rolle an, da man Dinge aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet."
Valentin Lessner ist ein Beobachter, der den Mittelpunkt des Geschehens scheut und ihn viel lieber für seine anspruchsvolle, detailverliebte und durchdacht angefertigte Mode frei hält. "Woher kommt die Rechtfertigung, für das, was wir machen?" hinterfragt er seine eigene Branche und demonstriert damit die zeitgemäße Denkweise einer jungen Generation Modedesigner, die mit Kreativität und effizientem Nutzen von Ressourcen der Mode eine innovative Stellung zurück geben kann - immer durch die richtige Balance zwischen Altem und Neuem.