Es war einmal sehr aufregend, über Original und Kopie, Aneignung und Kontextverschiebung nachzudenken. Aber das ist schon lange her. Vor über 100 Jahren hatte Marcel Duchamp sein Urinal ins Museum gestellt, vor über 50 Jahren zeigte Andy Warhol seine ersten Bilder von Konsumartikeln als Kunstwerke. Die zitatfreudige Postmoderne ist vorübergegangen, Appropriation-Art wurde erfunden, das Fake kunstgeschichtlich nobilitiert. Heute sollten alle Argumente zum Thema ausgetauscht sein.
Sicher, das Copyright und alles, was damit zu tun hat, ist gerade in Zeiten der Digitalisierung eine der größten Herausforderungen. Doch im Zusammenhang mit Kunst ist es bitter, mit anzusehen, wie aus der schelmischen und kulturstiftenden Geste des Aneignens immer wieder kleinlicher Rechtsstreit erwächst. Und das ist nicht selten Schuld der Künstler selbst.
In den vergangenen Wochen häuften sich wieder die Fälle. Der US-Künstler Richard Prince wird – zum wievielten Mal? – wegen Urheberrechtsverletzung verklagt, diesmal von zwei Fotografen. Ein US-Bundesrichter hat gerade entschieden, dass ihre Klagen vor Gericht verhandelt werden können, da Prince zunächst nicht genügend Beweise dafür vorgelegt hat, dass seine umstrittene "New Portraits"-Serie zwei der von ihm angeeigneten Fotografien ausreichend verändert hat.
Und vor einigen Tagen urteilten Richter des Obersten US-Gerichts, dass der 1987 verstorbene Künstler Andy Warhol mit einem Bild des Musikers Prince die Urheberrechte einer Fotografin verletzt hatte. Warhols Porträt basierte auf ihrem einige Jahre zuvor aufgenommenen Foto.
Einige Akte der Aneignung haben sich verbraucht
Die Zeiten, als man sich unbedingt auf die Seite der Kunst schlug, sind offenbar vorbei. Selbst in den USA, wo das "Fair Use"-Prinzip gilt, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine künstlerische Verwertung des Ausgangsmaterials ohne Genehmigung erlaubt. Und tatsächlich: Vorbehaltlos ist die uneingeschränkte "Freiheit der Kunst" nicht mehr zu verteidigen.
Das wird am deutlichsten an Richard Prince. Er hatte einst vorgeführt, dass Kunst eben manchmal erst dort beginnt, wo Legalität aufhört. 1983 fotografierte er ein Bild von der nackten, stark geschminkten Kinderschauspielerin Brooke Shields ab, nachdem deren Mutter den Originalfotografen Gary Gross wegen Copyright-Verletzungen verklagt hatte. Das Bild, das bei Prince "Spiritual America" hieß, thematisierte als Kunstwerk nun seinen eigenen Abbildcharakter und den konkreten Konflikt zwischen Shields und Gross. Eine weitere Drehung in diesem Spiel: Prince selbst blieb von einer Klage durch Gross verschont, weil dieser sich im Kampf mit Shields finanziell verausgabt hatte
Richard Prince war damals ein mittelloser Künstler. Mit diesem Meisterstück der Appropriation-Art wurde er bekannt. Jetzt, da seine Arbeiten zu Höchstpreisen versteigert werden, haben sich allerdings solche Akte der Aneignung verbraucht. In den 1990er-Jahren zahlte Prince Gary Gross eine Abfindung für den Brooke-Shields-Raub. Es wäre fair gewesen, hätte der Künstler sich auch mit den Fotografinnen und Fotografen geeinigt, auf dessen Leistungen seine "New Portraits"-Serie beruht. Zumal es sich bei den Bildern – anders als beim Shields-Porträt – nicht um vieldiskutiertes Material handelt. Es sind auch keine allgegenwärtigen Medienbilder wie die Marlboro-Anzeigen, die Prince für seine "Cowboy"-Arbeiten benutzte.
Für immer Punk
Bei den Prince-Werken, um die jetzt gestritten wird, handelt es sich um großformatige Tintenstrahldrucke auf Leinwand. Die ganze Serie, die er zum ersten Mal 2014 gezeigt hat, basiert auf Screenshots, die der Künstler von Instagram-Posts der Fotografen gemacht hat und die auch die Kommentare zeigen, die Prince unter den Bildern hinterlassen hat. Sie bei Gagosian zu verkaufen, ist eine einzige Trotzgeste. Prince ist jetzt selbst der Marlboro-Man, ein Schimmelreiter auf den Deichen des Kunstbetriebs, der die vielzitierten "Bilderfluten" nach verwertbaren Material abfischt und abkassiert. Und dabei wahrscheinlich denkt, er wäre immer noch Punk.
Um die Gewinnabsicht ging es auch bei der Begründung des Urteils im Warhol-Fall: Der Pop-Art-Künstler habe mit seinem Bild die kommerzielle Nutzung zum vorrangigen Ziel gehabt, hieß es vom Supreme Court. Das hebe den "Fair-Use"-Schutz auf. Außerdem, so könnte man ergänzen, haben sich weder Andy Warhol noch Richard Prince bei einer Quelle bedient, die wiederum ein Zitat eines Zitats ist, so wie es im Rechtstreit um ein Bild Martin Eders der Fall war, der im vergangenen Jahr zugunsten des Berliner Malers entschieden wurde.
Collagen, Readymades und Appropriation-Art gelingen erst durch die Verschiebung von Zusammenhängen. Deshalb zählt auch – als ein weiterer Zusammenhang – der Status, den der aneignende Künstler selbst besitzt. Ab einem bestimmten Punkt ist Aneignung keine rebellische Tat mehr, sondern nur noch Ausbeutung fremder Leistungen. Deshalb hat der Streit um Copyrights doch immer wieder neue Auflagen und kann nicht ein für allemal gelöst werden: Der Kontext macht den Unterschied zwischen Recht und Unrecht, zwischen Kunst und Ausbeutung.