Jan Fischer, in der Kunsthalle Mannheim läuft noch wenige Woche eine Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum der Neuen Sachlichkeit, einem Ihrer Sammelgebiete. Was fasziniert Sie an dieser Strömung?
Mich beeindruckt vor allem die Geschwindigkeit, in der sich die Gesellschaft und damit auch die Kunst zu diesem Zeitpunkt veränderte: Die Städte und Medien veränderten sich, auch die Art und Weise, miteinander zu kommunizieren. Die Neue Sachlichkeit markiert eine wirkliche Zeit der Umbrüche.
Umbrüche, die Künstler wie Chronisten dokumentierten. Carl Grossberg zum Beispiel, der Teil Ihrer Sammlung ist.
Seine modernistische, fast veristische Herangehensweise interessiert mich. Genauso wie Albert Birkle, der sehr großformatige und kraftvolle Ölgemälde produzierte: seinen "Bahnwärter" etwa mit den riesigen Händen, einer übergroßen Uniform und einem rasenden Zug im Hintergrund. Er zeigt eine Welt im Umbruch, Kinder ohne Orientierung. Diese hier wortwörtlich ins Bild rasende Geschwindigkeit fasziniert mich.
Es gibt auch viele düstere Seiten in dieser Zeit: Selbstmorde, Trunksucht, Prostitution in ihrer brutalsten Form.
Ja, das sind die Abgründe, die kunsthistorisch sehr relevant sind, weil die Kunst plötzlich den Mut hatte, solche Realitäten zu zeigen.
Diese Zeit ist, bei allen Krisen, geprägt von einem großen Fortschrittsglauben. Ist dieser Blick auf Innovation ein roter Faden Ihrer Sammlung, die ja auch Werke der Secession sowie Gegenwartskunst enthält?
Mich interessieren Umbrüche und die Kunst, die aus ihr hervorging. Ein Schwerpunkt meiner Sammlung sind die Wiener Werkstätten und die Secession der Übergang vom Jugendstil zu einem expressiveren, eleganteren Stil. Besonders in Österreich herrschte eine starke Aufbruchsdynamik. Aber es gibt auch in der Gegenwartskunst Werke, die innovativ sind und mit den Technologien unserer Zeit arbeiten: Licht, Film, Kinetik, Quantenphysik. Technologische Innovationen schaffen Wendepunkte und Transformationen. Und erlauben dadurch neue Wahrnehmungsebenen.
Dazu passt auch die Ausstellung "Voices" von Philippe Parreno im Münchner Haus der Kunst, die unter anderem mit KI arbeitet. Auch seine Projekte unterstützen Sie als Sammler.
Die Ausstellung ist großartig! Allein die vertraglichen Herausforderungen waren sehr spannend. Es ging ja nicht nur um die Präsentation bestehender Werke, sondern um vorlaufende Forschungsaufträge. Sein Studio bekam die Möglichkeit, etwas völlig Neues zu entwickeln. Das Werk entsteht erst im Museum, es wird zum Atelier und zur Forschungsstätte. Aber die dahinter liegende Technologie ist teuer und sie muss funktionieren. Deswegen versuchen wir, ähnlich innovative Projekte auch mit unserer LAS Foundation in Berlin zu lancieren und zu unterstützen.
Jetzt eröffnet in Berlin ein Projekt von Laure Prouvost, das sich mit Quantenphysik beschäftigt.
Ein faszinierendes Projekt, weil es technologisch höchst innovativ ist und gleichzeitig einen sehr sinnlichen, immersiven Raum im Industriedenkmal Kraftwerk Berlin schaffen wird. Es reiht sich gut ein in die Projekte, denen wir mit LAS zur Sichtbarkeit verhelfen wollen. Es geht uns dabei immer wieder um Licht – als etwas, das durch Zeiten wandert, Informationen trägt und eine ambivalente Substanz hat.
Ist Ihr großes Interesse für Innovation auch der Grund, sich mit dem neu ins Leben gerufenen Förderprojekt Weststern auf die Förderung von Kunstvereinen in Nordrhein-Westfalen zu konzentrieren?
Ja, Kunstvereine sind wie Labore, die neue Experimente wagen. Manchmal haftet ihnen deswegen auch das Klischee studentischer Projekte an, aber das stimmt nicht. Viele Vereine sind seit Jahrzehnten aktiv und gleichzeitig oftmals innovativer als die sie umgebende Museumslandschaft. Museen sind einem breiteren Publikum verpflichtet und müssen selektieren: Was darf gezeigt werden? Was erreicht ein breites Publikum? Kunstvereine sind da freier, sie können experimentieren. Das finde ich besonders spannend. Übrigens auch und gerade in der Retrospektive: In München gibt es ein großartiges Archiv des Kunstvereins, das nun zugänglich gemacht wurde – dort ist über Jahrzehnte viel entstanden.
Der Fokus des Projekts Weststern liegt auf die Kulturlandschaft in Nordrhein-Westfalen. Warum?
Unser Firmensitz befindet sich im rheinländischen Ratingen, umgeben von einer der wichtigsten Kunstregionen Europas, in der moderne Kunst vor und nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich verhandelt wurde. Die Region prägte mit großen Sammlern und Institutionen wie der Kölner Kunstmesse die Kunstszene. Doch mit der zunehmenden Kommerzialisierung geriet dieser unabhängige Kosmos in den Hintergrund. Große Galerien übernahmen und die Künstlerinnen und Künstler orientierten sich zunehmend nach Berlin oder ins Ausland.
Das heißt, dass der Weststern auch ein politisches Anliegen verfolgt, die Kunstvereine zu stärken?
Ja, in Zeiten zunehmender Korporatisierung wollen wir den Austausch fördern und die Szene stabilisieren. Aber unser Förderpreis allein reicht nicht – wir analysieren den Bedarf nach weiterer finanzieller Unterstützung und wollen eine Anlaufstelle für die Community der Kunstvereine werden. Viele Führungspersönlichkeiten in Museen haben in Kunstvereinen angefangen – auch diese Karrierewege wollen wir sichtbar machen und die Vereine als zentrale Orte der Kunstförderung stärken.
Viele Sammlerinnen und Sammler unterstützen Museen mit großen Schenkungen oder finanziellen Zuwendungen. Interessiert Sie diese Form des Mäzenatentums nicht?
Diese Eitelkeit finde ich banal. Es geht nicht um mich, es geht um die Sache. Und ich habe als Unternehmer einfach auch eine große Freude daran, Impulse zu setzen und Dinge entstehen zu sehen.
Die erste Shortlist für den Weststern-Preis steht bereits, 13 Kunstvereine sind nominiert. In den nächsten Monaten wird die Jury herumreisen und im September die Gewinner in verschiedenen Kategorien küren. Wie ist die Jury zusammengesetzt?
Wir haben bewusst Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen eingeladen: die Künstlerin Maximiliane Baumgartner, den Kritiker Georg Imdahl, den Sammler Georg Jacobi, die Autorin Barbara Hess und die Kuratorin Stefanie Kreuzer. Alle haben NRW-bezogene Erfahrung. Diese Jury bringt eine Professionalität mit sich – die Auswahl liegt allein bei ihnen.
Planen Sie, den Weststern für weitere Zustiftungen zu öffnen?
Der Preis soll langfristig bestehen, aber nicht zwingend finanziell wachsen. Wichtiger ist uns, die Vereine kommunikativ zu unterstützen, etwa durch eine eigene Webseite, um auch untereinander eine bessere Vernetzung zu schaffen und Zugang zu lokalen Spendern zu ermöglichen.
Was ist Ihr langfristiger Wunsch für den Weststern?
Die Kunstvereine in Nordrhein-Westfalen nachhaltig zu stärken: mehr Mitglieder, mehr Besucher, mehr Vernetzung, mehr Engagement. Viele Vereine stehen vor Umbrüchen und Nachfolgefragen – Weststern kann als Plattform dienen, um diesen Wandel aktiv zu begleiten.