Kann man im Schnellsprechmodus ein Plädoyer für das Verstreichenlassen der Zeit halten? Thomas Girst, Kulturmanager bei BMW, beherrscht die effiziente Aussage auch als Autor und Herausgeber. Zuletzt lieferte "100 Secrets of the Art World" (Walther König) Pointen aus dem seltsamen System Kunst. In seinem neuesten Buch "Alle Zeit der Welt" sind es nicht nur, aber auch Künstler, die sich besessen zeigen vom Organisieren, Teilen, Markieren und dem schieren Aushalten von Zeit.
Das Schöne am Erzählstil des Kunsthistorikers sind nicht nur seine umfassenden Kenntnisse, sondern die persönliche Perspektive, etwa wenn er, im mittleren Alter, vor das im Jahr 1500 gemalte Selbstbildnis von Dürer tritt, der damals 28 war. Im Ton eines so gelehrten wie unterhaltsamen Tischnachbarn stellt Girst klar: Wenn wir uns ständig als Getriebene gerieren, verpassen wir das Beste.
Wie viel dauerhafter als Daten sind zum Beispiel Zeitkapseln! Nicht nur Andy Warhol machte welche. Jedes Kunstwerk ist eine. Roman Opalka wollte mit seinen seit 1965 notierten Ziffern die 7 777 777 erreichen, er starb mit 79 Jahren bei 5 607 249. Marina Abramović starrte im MoMA täglich regungslos ihre Gegenüber nieder, Tarek Atoui spielte auf mehr als 100 Jahre unbenutzten Instrumenten und lieferte damit einen schönen Gedanken: dass man durch die Dinge und ihre Funktionen in Verbindung treten kann mit ihren vorangegangenen Benutzern. Das kann durch einen Ton sein oder durch das alte Holz.
Ähnlich materialorientiert äußerte sich auch Warhol: Der Wert seiner Kunstwerke lasse sich in Museen daran ablesen, sagte er einer japanischen Interviewerin, wie sehr sich der Boden unmittelbar davor bereits abgenutzt habe. Was für eine bedenkenswerte Methode der Evaluierung.