Wäre es nicht aus hellgoldener Bronze, könnte man dieses Mädchen beim Spaziergang durch Berlin-Moabit fast übersehen. Die "Friedensstatue" des Künstlerehepaares Kim Seo-kyung und Kim Eun-sungim wirkt bescheiden: Zwei Stühle auf einer Steinplatte, auf einem sitzt besagtes Mädchen mit schulterlangem Bob, traditioneller koreanischer Kleidung und einem Vögelchen auf der Schulter. Um sie herum haben Menschen Blumen niedergelegt. Auch bei nassen zehn Grad eine friedliche Szene. Doch der Schein trügt. Unter dem Blumenstrauß in ihrem Schoß hat das bronzene Mädchen die Hände zu Fäusten geballt.
An der Lehne des leeren Stuhles steckt ein DIN-A4-Blatt in einer Klarsichtfolie. Der Regen weicht das Papier an einer Seite auf, doch noch ist die Schrift zu lesen. "Schämen Sie sich!", steht da. Gerichtet ist die Botschaft an den Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel. Der hatte der erst Ende September aufgestellten "Friedensstatue" wenige Wochen später schon wieder die Genehmigung entzogen. Denn anders als bei belgischen Königen, Südstaatengenerälen und britischen Sklavenhändlern hat eine Bürgerinitiative eine Statue aufgestellt, die ein Staat nun stürzen möchte. Nicht der deutsche wohlgemerkt, sondern der japanische. Und damit gesellt sich die Berliner "Friedensstatue" zu einer ganzen Reihe von Denkmälern, die von der japanischen Regierung entweder verhindert oder mit diplomatischen Spannungen quittiert wurden.
Anerkennung nach einem halben Jahrhundert
Die "Friedensstatue" soll an die 200.000 Mädchen und Frauen erinnern, die als sogenannte "Trostfrauen" im Asien-Pazifik-Krieg von 1937 bis 1945 vom japanischen Militär zur Prostitution gezwungen wurden. Dabei handelte es sich vor allem um Koreanerinnen und Chinesinnen, aber auch um Frauen aus anderen von Japan besetzten Staaten. Systematisch wurden sie verschleppt oder unter falschen Versprechungen gelockt, um dann in eigens dafür eingerichteten Häusern dutzende Male am Tag von Soldaten und Offizieren vergewaltigt zu werden.
Obschon Anklagepunkt in den Kriegsverbrecherprozessen in Tokio, wurden diese Verbrechen von offizieller Seite lange totgeschwiegen. Erst als sich 1992 einige Überlebende an die Öffentlichkeit trauten und der japanische Historiker Yoshiaki Yoshimi historische Belege dafür lieferte, erkannte Japans Regierung sie an. Nationalistische Kreise versuchen seitdem, die Taten herunterzuspielen. Auch den konservativen Regierungen seit den 2000er-Jahren wird in diesem Kontext geschichtsrevisionistische Politik vorgeworfen.
Die Berliner "Friedensstatue" ist nicht die einzige ihrer Art, im Gegenteil. Die erste wurde 2011 enthüllt zur eintausendsten Mittwochsdemonstration, die zum Gedenken an die "Trostfrauen" seit 1992 wöchentlich abgehalten wird – direkt vor der japanischen Botschaft in Seoul. Weitere folgten in Korea und weltweit. Das machte sie zum Politikum und für Japan zum roten Tuch. In Deutschland wurde eine "Friedensstatue" in Freiburg im Breisgau durch Druck auf den dortigen Bürgermeister verhindert. Die beiden hierzulande – jeweils auf Privatgrundstücken – realisierten Denkmäler, führten zu Protesten aus Tokio und japanischen Partnerstädten. Das Denkmal in Moabit ist nun das erste auf öffentlichem Grund und noch dazu in einer Hauptstadt. Grund genug für den japanischen Außenminister, bei seinem deutschen Kollegen anzurufen.
Partei ergreifen – mit den Opfern!
Die japanische Seite sieht das Aufstellen der Statue als Parteiergreifen in einem Konflikt, den man allein mit Südkorea auszutragen gedenkt. Warum eine Statue in einem Land aufstellen, das mit dem konkreten Verbrechen nichts zu tun hat? Darauf kann man damit antworten, dass auch die koreanische Gemeinde in Deutschland ein Recht hat, zu erinnern. Man kann auch erwidern, dass das Denkmal nach Willen der Künstler ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen in Kriegen generell sein soll und somit auch im deutschen Kontext Gültigkeit hat. Am ehesten sollte man jedoch mit der Frage antworten: Warum sollten wir es wieder entfernen?
Denn – und das sollte im "Jahr der Denkmal-Diskussionen" 2020 umso wichtiger sein – wie eine stehengelassene Sklavenhändlerstatue diesen weiter auf Kosten seiner Opfer verherrlicht, so verhindert ein verhindertes Denkmal für die Opfer das Gedenken an das Verbrechen. Und von da aus ist es nicht weit zur Umdeutung von Geschichte. Das ist der Punkt, wo es für eine deutsche Hauptstadt mehr als heikel wird, wenn sie sich den geschichtsrevisionistischen Bestrebungen einer japanischen Regierung allzu eilfertig beugen will.
Ursprünglich sollte die Statue am Mittwochmittag abgebaut werden. Das Bezirksamt teilte Dienstagabend mit, man wolle abwarten und vorerst keine weiteren Entscheidungen treffen. Was das auf lange Sicht bedeutet, ist noch unklar. Die "Friedensstatue" steht derweil weiter an der Bremer Straße Ecke Birkenstraße. Im Regen zwar, aber sie steht noch.