Städelschule-Direktorin Barbara Clausen

"Kultur ist der Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält"

Wie verteidigt man künstlerischen Freiraum in stürmischen Zeiten? Die Direktorin der Städelschule Barbara Clausen erklärt, wie sie Lokales und Internationales vereinen und den Raum für kreative Debatten erhalten will


Barbara Clausen, Sie kamen letztes Jahr als Direktorin an die Städelschule in Frankfurt am Main. Damals war die Stimmung unter anderem wegen der Debatte über den Nahostkrieg angespannt – nicht nur hier, sondern an Hochschulen allgemein. Haben Sie das zu spüren bekommen?

Ja und nein. Meine Aufgabe ist es, sich mit aktuellen Fragen und Situationen auseinanderzusetzen und mich um die Studierenden, das Kollegium und das Team zu kümmern. Da blickt man nach vorn und denkt ebenso darüber nach, was in der Vergangenheit passiert ist. Mit der Corona-Pandemie haben wir ja weiterhin kulturell und gesellschaftlich viel zu verarbeiten, auf ganz vielen menschlichen und gesellschaftlichen Ebenen, und in Kunsthochschulen ist das ebenso. Priorität ist, den Studierenden den Raum zu geben, über fünf Jahre ihre künstlerische Arbeit frei zu entwickeln und darauf zu achten, dass es ihnen, aber ebenso dem Team und unserer einzigartigen Fakultät gut geht. 

Was braucht es dafür?

Es steht außer Frage: Künstlerische Freiheit und gegenseitiger Respekt sind bedeutender denn je. Kultur ist der Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält und weiterbringt. Wenn wir uns die politischen Entwicklungen in Europa und weltweit ansehen, sehen wir gefährliche Tendenzen und eine sich schnell verändernde Realität, die unsere Demokratie ins Schwanken bringt. Das sagt sich leicht, aber es ist ernst gemeint. Wir sind eine Hochschule, die unterschiedlichste Perspektiven und Standpunkte zusammenbringt und auf einer hohen Diversität ihrer verschiedenen Communitys aufbaut. Wir sind global und gleichzeitig auch fest lokal verwurzelt. Da ist es sehr wichtig, dass man zusammenhält, diskutiert, eine Vielfalt an Meinungen pflegt. Aber ebenso wichtig ist es, einzelne Kulturschaffende oder Meinungen nicht ausgrenzen, auszuladen, oder zu boykottieren. Keine Form von Diskriminierung hat hier Platz. Anders gesagt: Wenn wir hier Debatten haben, ist das gut, es bleibt aber auch ein geschützter Raum.

Was ist gerade Ihr wichtigstes Anliegen?

Für mich ist wichtig, die Spannung zwischen "lokal" und "international" zu halten. Das sagen zwar viele und möchten es gerne machen – aber ich glaube, dazu gehört sehr viel Fokus, guter Wille und kommunale Einbindung, auch die Pflege des internationalen Netzwerks und der Partnerschaften, die so zentral für die Bekanntheit der Städelschule sind. Auf ganz unmittelbarer Ebene bedeutet das zum Beispiel auch, das Verhältnis zu Partnerinstitutionen in Frankfurt und insbesondere zum Städel Museum zu stärken. Ich wünsche mir, dass diese Zusammenarbeit noch intensiver wird und bin dazu auch mit den Kolleginnen und Kollegen im Städel Museum in gutem Kontakt, die dies ähnlich sehen. Aber natürlich gibt es auch andere Kulturinstitutionen, Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir eng verbunden sind. Franziska Nori vom Kunstverein Frankfurt und Sebastian Baden von der Schirn Kunsthalle zum Beispiel, oder Mahret Ifeoma Kupka vom Museum Angewandter Kunst, die gerade Gastprofessorin bei uns war. Die Künstlerhilfe Frankfurt, und natürlich die Goethe-Universität, mit der wir unseren "Curatorial Studies"-MA-Kurs seit vielen Jahren gestalten. Die Liste ist lang, und das freut mich natürlich sehr.

Das Städel Museum ist Ihr Vermieter, Frankfurt ein notorisch teures Pflaster – wie ist das Verhältnis?

Das Städel Museum und die Städelschule sind in einer über 200 Jahre alten Beziehung. Das Verhältnis ist gut, und wir sind schließlich die Zukunft von dem, was sie zeigen. So wie zum Beispiel unser von Begüm Inal geleitetes Projekt "Das digitale Archiv der Städelschule von 1920 bis 1950". Es wurde auch bei unserem Rundgang vorgestellt und wird eng mit dem Städel Museum und anderen Archiven der Stadt und Universitäten zusammen entwickelt. 

Wie sehen die Verbindungen zwischen dem Städel Museum und der Hochschule aktuell in der Praxis aus, abgesehen davon, dass sie auf denselben grünen Rasen des Städel Garten schauen?

Viele unserer Studierenden sind drüben und besuchen die wunderbare Sammlung. Sie lassen sich Werke herausholen, die sie studieren, machen Recherchen im Archiv und in der Bibliothek. Wir sitzen dank der berühmten Mensa auch oft gemeinsam am Tisch zusammen – das sind Momente des Alltags, die wichtig sind. Unsere Freundesvereine und Förderer teilen diese berühmte Frankfurter Leidenschaft für die Städelschule und das Museum. Man kann über viele Formate nachdenken, die in Zukunft stattfinden könnten: Vorlesungen, Events oder andere gemeinsame Aktivitäten wie die Absolventenausstellung.

Welche Erfahrungen mit der Öffentlichkeit haben Sie beim Rundgang gesammelt?

Der diesjährige Rundgang, und das freut uns, war sehr gut besucht. Wir hatten eine Menge Preise dieses Jahr, ein Kasper-König-Memorial-Event und einen König-Preis, sowie viele andere Veranstaltungen, Konzerte, Talks und Performances. Da geht eine große Menge an Menschen durch unsere Klassen, und das ist natürlich besonders, wenn sowohl internationale Gäste als auch die Nachbarinnen und Nachbarn vorbeikommen. Die Studierenden zeigen mit einer Großzügigkeit ihre in Entwicklung stehenden neuesten Arbeiten. Gleichzeitig ist es ein Moment im Jahr, der genauso wichtig ist wie alle anderen Tage und Wochen. Es gab viele gute Begegnungen, die jetzt nachwirken.

Beim Rundgang trugen Sie einen grünen Button am Revers. Was steckte dahinter? 

Der grüne Button kennzeichnete die Mitglieder unseres freiwilligen Awareness-Teams. Damit wollen wir eine Kultur an der Schule stärken, in der irritierende Situationen unmittelbar aufgenommen und gelöst werden können. Wir wissen ja alle, dass auch die Kunstwelt nicht nur immer angenehm ist. Manchmal, auch wenn es nicht oft vorkommt, gibt es Situationen, ob Rundgang oder Alltag, wo man gerne Unterstützung hätte oder Hilfe braucht. Das spiegelt sich im unglaublichen Commitment zur Städelschule all jener wider, die hier arbeiten und studieren. Das klingt vielleicht banal, aber es hilft dabei, Spannungen zu vermeiden und sich auf die Arbeit zu konzentrieren. 

Was sind Ihre Ideen für die nächste Zeit? 

Da gibt es verschiedene Perspektiven. Es gibt ganz pragmatische Themen wie die Umsetzung von Barrierefreiheit und die Renovierung unserer Gebäude, die gut vorangeht, und die Fortsetzung der guten Zusammenarbeit mit dem Ministerium, um unsere Zukunft als kleinste Hochschule mit großem Renommee zu sichern. Das ist aber kein Mirakel und hat auch nichts mit großen Visionen zu tun. Wir möchten, dass die Städelschule weiter ein international orientierter und progressiver Ort ist, an dem die hohe Perspektivenvielfalt erhalten bleibt. Die Kunst und die Kultur sind immer die am leichtesten angreifbaren Heterotopien in einer Gesellschaft, weil sie kulturelle und demokratische Prozesse ausprobieren, diskutieren, gestalten und schützen. Priorität ist, mit anderen Akademien wie Düsseldorf, München, oder auch Wien, Paris und Berlin, sowie internationalen Partnerinnen und Partnern, gemeinsam für progressives Denken und Handeln einzustehen und weiter stärker auf Kooperationen zu setzen. 

Welche Änderungen führen Sie ein?

Ich arbeite zum Beispiel mit der Frage, wie und wann die verschiedenen Communitys, die in einer Kunstakademie zusammenkommen, miteinander kommunizieren und so wachsen. Wie wird bei großen Meetings über Themen gesprochen? Und wie werden diese Diskussionen in der Lehre, den kuratorische Programmen oder in der Administration aufgegriffen? Das ist wichtig für die Schule. Ich will, dass wir uns langsam an verschiedene Themen heranarbeiten und arbeite hier eng mit den Studierenden, Kuratorinnen und Professoren zusammen. Teil des Prozesses ist, zu überlegen, wie man Kommunikations- und Handlungsabläufe sowie vor allem zeitliche Rahmenbedingungen und Fragen, etwa zur digitalen Entwicklung, neu betrachten und diskutieren kann. Aber auch, was die Institution für ihre Fakultät und Mitarbeiter tut, ist Teil davon. Wir müssen bedacht, und manchmal vielleicht auch schnell agieren.

Was müssen Sie schnell ändern?

Das Umsetzen einer offenen Betriebskultur ist nicht unmittelbar Kunst, aber man denkt natürlich darüber nach, wie mit Zeit als Medium selbst in Institutionen umgegangen wird. Da muss man manchmal unmittelbar agieren und kleine Veränderungen gemeinsam mit den Studierenden und dem Lehrkörper umsetzen und ausprobieren, die wiederum neue Situationen entstehen lassen. Zum Beispiel, wie gestalten wir das Vortragsprogramm, unsere Meetings, die Nähe zum Portikus, wie bleiben wir mit unseren Alumni in Kontakt, das alles spielt eine Rolle. Das kommt sicher von meiner Arbeit mit Performance: als Kuratorin und Forscherin, aber auch als Lehrende.

Sie waren zuvor an einer sehr demokratischen Institution in Montreal, Kanada, tätig. Was haben Sie von dort nach Frankfurt mitgebracht?

Ich war Professorin im Kunstgeschichte-Institut und Vizedekanin für Forschung und Entwicklung an der Fakultät für Kunst der Université du Québec à Montréal, die eine populäre linke Gewerkschaftsuniversität ist. Wir hatten keinen so selektiven Aufnahmeprozess wie hier, aber gleich ist, dass jeder und jedem ohne Vorbedingungen die Chance gegeben wird, aufgenommen zu werden. Da sind ähnliche und gegenteilige Ansätze, die auf kollektiven Entscheidungen und auf einer hohen gesellschaftlichen Durchlässigkeit basieren. Zusammenhalt und kollektive Solidarität erlaubt, Dinge umzusetzen. Das ist Teil eines kuratorischen Handelns, das sich stärker auch in Institutionen umsetzt. Man zeigt nicht nur kollektive Praxen, man arbeitet auch so. Das sagt man so leicht. Aber diese Power muss man mal gespürt haben. Wenn man auf solidarisches Verhalten baut, merkt man, wie viel Gestaltungsraum man hat – auch institutionell.

Ich wurde neulich von einer Künstlerin gefragt, ob Frankfurt mit seinen Hochhäusern und Banken nicht eine sehr phallische Stadt sei. Wie wirkt es auf Sie?

Dem kann ich so gar nicht zustimmen. Es gibt doch hier viele Frauen in entscheidenden Positionen. Nehmen wir die MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, die Leiterin des Kunstvereins Franziska Nori, Brigitte Franzen als neue Direktorin der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, die beiden Portikus-Kuratorinnen, Anna Wagner von Mousonturm und Mirjam Wenzel vom Jüdischen Museum. Und nicht zuletzt ist da Ina Hartwig, die Kulturdezernentin, die das kulturelle Profil der Stadt prägt!

Was kennzeichnete Ihrer Meinung nach den vergangenen Rundgang Anfang Februar?

Ich war in letzter Zeit auf einigen Biennalen und Ausstellungen. Was mir beim Rundgang als Kunsthistorikerin, die kuratorisch in der Gegenwart arbeitet, auffiel: Unglaublich viele Arbeiten griffen soziale Medien auf, digital flow, AI, Memes, bis zu diesem Übermaß an Bildern. Aber bearbeitet wurde es eben nicht in digitalen Bildern, sondern in Skulptur, im Raum, im Material, durch Performance, als Malerei. Eine wirklich spannende Auseinandersetzung mit der Frage: Wie gehen wir mit Medien um? Hier werden neue Ansätze verhandelt, die ihre eigene Sprache entwickeln, das ist einzigartig an der Städelschule.