Weiser alter Mann

Sind Künstler die besseren Weihnachtsmänner?

Inszenieren sich Künstler wie James Turrell, Paul McCarthy oder AA Bronson absichtlich als Weihnachtsmänner? Was wirklich hinter den berühmtesten Rauschebärten der Kunstwelt steckt

Weihnachtsmann, Santa Claus, Väterchen Frost, Shou Xing: Durch die Winterbräuche in Asien, Europa und Nordamerika spukt ein weiser alter Mann mit langem weißen Bart. Er ist zwar betagt, aber fit und mobil, er ist ein Greis, aber sein Gesicht mit der hohen Stirn nah am Kindchenschema. Er straft und belohnt, er scheint allwissend, aber kommuniziert sehr sparsam ("Ho-ho-ho!"). Er wohnt als Eremit jenseits der Zivilisation, anderseits ist kaum jemand so sozial wie er, der Gabenbringer. 

"Er ist immer beides", schreibt der Ethnologe Thomas Hauschild in seinem Buch "Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte", "das Grobe und das Zarte, die Liebe und der Dämon, reich und arm, das Buch und die Rute, Barbar und Zivilisierter, Kommerz und die Erinnerung an die Toten, die uns, als sie noch lebten, mit ihren Gaben zu dem gemacht haben, was wir sind."

In dieser Ambivalenz gleicht Santa zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die bekanntermaßen nichts mehr verabscheuen als Eindeutigkeit. Sie wollen – so hören wir es immer wieder in Interviews – "lieber Fragen aufwerfen, als sie zu beantworten". Künstlerinnen und besonders Künstler verorten sich selbst oft außerhalb der Gesellschaft und sehen sich gerade dadurch entweder als ultra-moralische Instanz oder jenseits moralischer Bewertungen. Wie der Weihnachtsmann!

Einige Künstler haben sich einen weißen Rauschebart wachsen lassen, als würden sie etwas verkörpern wollen, wofür auch der Weihnachtsmann steht: das Außenseitertum, das Glücksbringende, den Ewigkeitsanspruch? Denn der Weihnachtsmann hat "bei seiner Wanderung durch die Geschichte so viel Tiefe, so viel Aspekte angesammelt", so Hausschild, er überstehe den steten Wandel der Zeit.

Und so sehen wir père Noël in Claude Monet, den eifrigsten Winterbildmaler unter den Impressionisten, der beim Plein-air-Malen – so will es die Legende – auch schon mal Eiszapfen im Bart trug. 

Bei John Baldessari und Lawrence Weiner - beide kürzlich verstorben - konnte man eher die augenzwinkernde Lässigkeit von Santa erkennen, zwei Künstler, die wie er mit dem Überschuss an Bedeutungen arbeiteten, so das jedes Zeichen immer auch etwas anderes oder gar das Gegenteil meinen kann. Was natürlich zu einer entspannten Grundhaltung führen muss.

Bei James Turrell, dessen Arbeiten stets eine spirituelle Komponente behaupten, spielt die Inszenierung als eine Art weiser Gottvater auch eine Rolle in der Wirkung seiner Arbeiten. So schreibt der Journalist Rory Carroll in einem "Guardian"-Porträt über eine Begegnung, nachdem er einer der immersiven Installationen des kalifornischen Künstlers ausgesetzt war: "Selbst wenn in meinem Gehirn jetzt kein Pudding schwabbeln würde, würde mich die Figur, die in dem kahlen, weißen Konferenzraum der Galerie sitzt, wahrscheinlich immer noch an den Weihnachtsmann erinnern. Das silberne Haar, der schneeweiße Bart, der Bauch. Turrell ist 72 und ihm steht es. Eine große, kräftige Präsenz, die Menschen auf der ganzen Welt mit der gleichen Gabe verzaubert hat: Licht."

Der Roden-Krater in den abgeschiedenen Vulkanfeldern von Arizona, der von Turrell in ein Kunstwerk verwandelt wird, kann man sich jedenfalls gut als Wohnort von Santa vorstellen.

Während bei Turrell das Reine, Lichte und Heilende im Mittelpunkt steht, durchzieht Paul McCarthys Kunst der Schmutz, die Dunkelheit und das Kaputte. McCarthy hat einen essbaren Schokoweihnachtsmann hergestellt, der einen Anusstöpsel in der Hand hält wie eine Kerze oder einen Weihnachtsbaum. So ein "Buttplug Gnome" stand auch als meterhohe Skulptur in Rotterdam und Oslo und löste dort Proteste aus. Der Witz, den McCarthy hier macht, geht auf Kosten von Harmoniebolzen, die ein komplett bereinigtes, konsumorientiertes Weihnachtsfest bevorzugen, das alle raueren Aspekte der Winterfeiern ausblendet.

Noch deutlicher wird Paul McCarthy mit seinem fotografischen "Santa Portrait", das ihn mutmaßlich selbst zeigt: Das Gesicht, der Bart, der Mantel von Weihnachtsmann ist hier mit einer braun-rötlichen Substanz beschmiert, wie mit Kot oder Blut. Die verdrängte Seite von Weihnachtsmann: die Rute, der strenge Knecht Ruprecht, der noch unheimlichere Krampus. In solchen Figuren und in den alten winterlichen Heischebräuchen lebt die Erfahrungen von Gewalterfahrungen weiter, die die Winterzeit mit ihren früher knappen Ressourcen und bitterer Kälte mit sich brachte. Auch wenn diese Erinnerungen in der heutigen Waren-Weihnacht von Konsum und milderen Temperaturen überdeckt sind. 

Wenn man den Berliner Künstler Peter Welz – auch er mit einem prächtigen weißen Bart – auf den Weihnachtsmann anspricht, winkt er ab. Das höre er öfter. Aber das führe auf die falsche Fährte, man solle lieber mal "Pogonophilie" googeln. "Länge Bärte sind ein Turn-on", sagt der 49-Jährige. 

Doch der Weihnachtsmann wird selten als erotische Figur inszeniert, wahrscheinlich weil man ihn zu sehr mit dem Alter und der Kindheit verbindet (während es auf Hetero-Pornoseiten nur so von Frauen mit Weihnachtsmützen wimmelt). Im schwulen Kontext hingegen ist der weiße Bart mit dem Daddy-Schema besetzt und wird lustvoll inszeniert.

Doch wenn man sich Bartträger AA Bronson und sein Werk anschaut, ist da noch eine Verbindung: der Schamanismus. Der Weihnachtsmann sei ein "Urschamane", schreibt Ethnologe Hauschild, seine Farben Rot und Weiß erinnern nicht zufällig an den Fliegenpilz, die Elche an die sibirischen Schamanen, er gehe wie diese auf lange (spirituelle) Reisen und bringe von unerreichbaren Orten seine Geschenke mit.

Der queere Schamanismus des Künstlers AA Bronson erinnert an die toten Geister der Marginalisierten und versteckten Gemeinschaften. Die Übersehenen werden einst zu ihrem Recht kommen – auch diese Hoffnung verkörpert der Weihnachtsmann.