Der Weg in die Betonhalle des Silent Green verläuft abwärts. Eine breite Fahrzeugrampe führt in den Untergrund, und das ist durchaus metaphorisch zu verstehen. Während sich oben, dem Namen des Berliner Produktions- und Veranstaltungsortes angemessen, eine grüne Oase inmitten des urban verdichteten Bezirks Wedding erstreckt, tut sich unten ein Unort auf.
Man staunt, dass die mit ihren 1600 Quadratmetern Grundfläche durchaus riesig wirkende Halle erst Mitte der 1990er-Jahre als Ergänzung des damaligen Krematoriums in den Berliner Boden gegraben, doch nach nur sechs Jahren bereits wieder aufgegeben wurde. Für Silent Green heute ein Volltreffer.
Ein ebensolcher auch für die am heutigen Abend eröffnende Ausstellung "UnNatural Encounters", die im Titel bewusst mit dem Gegensatz von Natürlichem und Unnatürlichem spielt. Denn die Grenze zwischen beidem wird in den elf Arbeiten dieser Schau immer wieder überschritten oder einfach negiert. Auf der einen Seite höchste Künstlichkeit, Technik, Labor; auf der anderen die nach ihren eigenen Gesetzen strukturierte Natur.
Transformationsprozesse in Kunstsprache
Die Ausstellung bildet den Abschluss von sieben Jahren Arbeit der Europan Media Art Platform (EMAP), die hier im Silent Green begonnen hatte und mit 150 internationalen Partnerorganisationen vernetzt ist. "Das Interesse des EMAP-Konsortiums", heißt es dazu in der Broschüre, "gilt dabei vor allem der Unterstützung und Produktion von künstlerischen Projekten, die sich mit den Transformationsprozessen unserer Gesellschaft, Umwelt und Technologien beschäftigen, weil alle Mitglieder davon überzeugt sind, dass es vor allem auch der künstlerische Impuls ist, der die notwendige kritische Reflexion und den daraus folgenden Diskurs über neue Technologien anregt oder Open Source Alternativen entwickelt." Zehn Arbeiten wurden von Silent Green aus der Fülle der Projekte der EMAP-Plattform ausgewählt, die elfte steuert der Partner Transmediale bei.
Silent Green, das nebenbei bemerkt, ist von den Kürzungen des Berliner Kulturhaushalts nicht in dem Maße betroffen wie ausschließliche Zuwendungsempfänger. Als unternehmerisch strukturierte Institution erwirtschaftet sie ihre Mittel zu großen Teilen selbst oder in Kooperation, beispielsweise durch Vermietung ihrer Räumlichkeiten.
Schönheit der Natur oder menschliche Umformung?
Das Dunkel der Betonhalle lässt die gezeigten Arbeiten umso prägnanter hervortreten. Ein von Marc Vilanova ersonnener Vorhang aus lichtführenden, Schnüren, von für das menschliche Ohr unhörbaren Frequenzen bewegt, muss durchschritten werden wie der Übergang in eine andere Welt. Dahinter lenkt das Kollektiv Transformative Narratives die Aufmerksamkeit auf Flechten, die auf Bäumen und Gestein lebenden Symbiosen von Pilzen und Grünalgen. Diese erstaunlichen Lebensgemeinschaften bilden unregelmäßige Formen aus, die hier in Klänge übersetzt werden; "auf diese Weise nehmen Flechten aktiv am Kompositionsprozess teil."
Eine riesige Monitorwand folgt als nächstes, aufgeteilt in Dutzende Einzelbildschirme, die in raschem Wechsel Bewegtbilder aus einem Archiv von 40.000 Einträgen zu "Gewalt, Konflikt und Trauma" aufleuchten lassen. "Purgartory Edit" heißt die Installation von Ali Akbar Mehta. Dann geht es weiter in die volle Ausdehnung der Halle. An ihrem Ende leuchtet in den buntesten Farben eine Leinwand, die am unteren Ende schlaff wird und die auf sie projizierten Blumenbilder buchstäblich auslaufen lässt. Tatsuru Arai lässt verführerisch schöne Fotografien von Blüten durch KI quasi zersprengen, sodass die Bildpixel als Rinnsale die Fläche hinunterfließen.
Ist es die Schönheit der Natur, die hier zum Ausdruck kommt, oder das menschliche Ingenium, sie zu etwas Neuem und Eigenem umzuformen? Diese Frage begleitet den Besuch der Ausstellung – bis zur Installation "Compost as Superfood" der Künstlerin Masharu. Ob man von dem "essbaren Kompost" probieren mag, bleibt jedem Besucher selbst überlassen; auf eigene Gefahr, versteht sich. Jedenfalls führt Masharu in ihrem work in progress vor, wie sich aus unterschiedlichen Zusammensetzungen dessen, was gemeinhin als Abfall gilt, fruchtbare Kompostböden bilden können.
Eine melancholische Erinnerung an die unvermeidbare Entfremdung
Noch stärker in die Beobachterrolle zurückgezogen hat sich Davor Sanvincenti, der in einem portugiesischen Naturschutzgebiet die Geräusche von Pflanzen und Tieren eingefangen hat, wie sie ohne jede noch so geringe Störung durch den Menschen entstehen. Zusammen mit den Bildern einer Nachtkamera, die das durchs Unterholz streifende Wild erkennen lässt, gibt die Installation "Nature makes no noise" einen Einblick in eine tatsächlich fremde und verschlossene Welt.
Am Ende des Rundgangs, der noch weitere Werke bereithält, hält Carl Emil Carlsen ein VR-Headset bereit: Weiter könnte der Abstand des Künstlichen vom Natürlichen nicht sein. "'Intangible' erforscht das seltsam befriedigende Gefühl, simulierte Naturphänomene zu berühren“, erläutert dazu die Katalogbroschüre. Es ist ein Satz, der im Grunde für alle Ausstellungsstationen Gültigkeit besitzt. Denn immer ist Natur, wie nah ihr einzelne Ansätze auch kommen mögen, technisch vermittelt.
Es gibt überhaupt keinen anderen Zugang zur Natur, schon gar nicht im Medium der Kunst. So ist die Ausstellung "UnNatural Encounters" nicht nur eine Augen- und Ohrenweide, sondern auch eine zutiefst melancholische Erinnerung an die unvermeidbare Entfremdung des Menschen von der Natur.