Jeder Blick, den man in dieser Werkschau auf Atompilze, überfüllte Schlauchboote oder im Schlamm feststeckende russische und ukrainische Panzer wirft, führt etwas Unausweichliches vor Augen: die Suche nach einer Positionierung in einer Welt, der sich die meisten Menschen durch das Prisma der Medienbilder annähern. Dass der Künstler Robert Longo die taktile Beschaffenheit der Kohle dafür nutzt, seinen Werken aus der Ferne eine fotorealistische Dimension zu verleihen, während sie aus der Nähe eher impressionistisch schimmern, ist bemerkenswert.
Die Vorlagen müssen erst überarbeitet werden, bevor sie den Übersetzungsprozess in theatralische Ikonen durchlaufen. Dazu gehören Auslassungen ebenso wie die Überblendung unterschiedlicher Motive oder die dramatische Hervorhebung von Licht und Schatten. Die 48 Werke aus allen Schaffensperioden Longos, die nun in der Albertina in Wien zu sehen sind, scheinen darauf gewartet zu haben, sich gegenseitig zum Klingen zu bringen; in einer geisterhaften Symphonie des Schreckens, die mit jedem Schritt lauter dröhnt.
Die dichte Präsentation wirkt, als hätte sie gerade erst das Atelier verlassen, was an einer um Autorität, Widerstand, Macht und Freiheit kreisenden Kunst liegen mag, deren Ausdehnung den ganzen Globus einschließt: Vom Fotoporträt der ermordeten Iranerin Jina Mahsa Amini in den Händen von Demonstrierenden bis zu schneebedeckten Tannen im Schwarzwald, über denen das Unheil des Klimawandels zu spüren ist.
Die Essenz der Situation
Ausgebildet zum Bildhauer, "meißelt" der 1953 in Brooklyn geborene US-Amerikaner virtuos die prägenden Szenen der jüngeren Geschichte von der fotografischen Aufnahme aufs Papier und nutzt dabei nicht nur den Vergrößerungseffekt, um unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Bis auf eine rot blühende Rose vor schwarzem Hintergrund sind alle anderen Großformate im kontrastreichen Schwarz-Weiß gehalten, das für genug Distanz sorgt, um die Essenz der Situation ins Auge springen zu lassen.
Die thematischen Gruppierungen sortieren sich mal um Schusswaffen der Serie "Bodyhammers", deren Mündung die Betrachtenden bedrohlich ins Visier nimmt, mal um die berühmten Graustufenzeichnungen "Men in the Cities" aus der Reagan-Ära: eine Serie, die New Yorker Anzugträger beiderlei Geschlechts einen grotesken Tanz aufführen lässt.
Longos frühe Arbeiten zeichneten sich bereits durch eine Faszination für Momente der Gewalt und die Übertragung von Bildern von einem Medium in ein anderes aus. In dieser Zeit repräsentierte er neben Cindy Sherman und David Salle die "Pictures Generation", die sich der Weiterentwicklung der Pop Art mit den Mitteln der Verfremdung und Aneignung verschrieben hatte.
Sattsam viel Stoff auf überschaubarem Raum
In den späten 1980er- und 1990er-Jahren erweiterte er seinen Ansatz in neue Bereiche, spielte in Punk-Bands, drehte mehrere Musikvideos, unter anderem für New Order und R.E.M., sowie Werbespots. Und er schuf sogar den Cyberpunk-Thriller "Johnny Mnemonic", den er in der Hauptrolle mit Keanu Reeves besetzte. Von diesen Ausflügen fehlt im Parcours jede Spur. Dafür nimmt Longos legendärer Sigmund-Freud-Zyklus nach den Fotografien von Edmund Engelman einen ganzen Raum ein. Er fokussiert auf Details seiner Wohnung in Wien, die Freud 1938 unter dem Druck der Nazis verlassen musste - insbesondere interessiert Longo das Sprechzimmer.
Aber auch kunsthistorische Verweise spielen eine Rolle, wenn sich der Künstler kanonische Werke amerikanischer und europäischer Maler der Nachkriegszeit aneignet: indem er den Actionpainting-Stil von Jackson Pollock in seine Ästhetik des düsteren Anthrazits überträgt, die US-Flaggen von Jasper Johns ihrer Farbigkeit beraubt oder Katsushika Hokusais Monsterwelle zitiert. Sattsam viel Stoff auf überschaubarem Raum - und genug für eine vertiefende Reflexion zum Stand der Menschheit.