"Phantom Monument" heißt das Projekt von Renata Kaminska, das parallel in Berlin, Zürich und im polnischen Zamość, der Geburtsstadt Rosa Luxemburgs, zu sehen ist: Mit Betonskulpturen erschafft die Künstlerin temporäre Denkmäler für die Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands, die vor 100 Jahren ermordet wurde. In Polen stößt sie dabei auf Widerstände: Seit 2016 gibt es dort das von der regierenden PiS-Partei forcierte Dekommunisierungsgesetz, das Straßennamen und andere Gedenken an kommunistische Politikerinnen, Politiker und Kulturschaffende sukzessive aus dem öffentlichen Raum verbannt. Neben Rosa Luxemburg betrifft das etwa auch den Schriftsteller Maxim Gorki. Im Monopol-Interview spricht Renata Kaminska über das Verschwinden öffentlicher Erinnerungorte.
Renata Kaminska, vor hundert Jahren wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. Was bedeutet die Theoretikerin und Politikerin heute für Sie?
Rosa Luxemburg ist für mich sowohl beruflich als auch persönlich stets eine essentielle Bezugsperson gewesen. Zufälligerweise hatte ich einen ähnlichen geografischen Lebensweg wie sie.
Sie sind wie Luxemburg in Zamość geboren und sind wie Luxemburg nach Berlin gezogen. Was für ein Ort ist Ihre Geburtsstadt?
Die Altstadt von Zamość hat eigentlich den Status einer utopischen Stadt und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Sie ist die einzige Renaissance-Stadt außerhalb Italiens, der gesamte Innenstadtkomplex ist pure Renaissance und wurde auf einmal gebaut. Eigentlich ein sehr moderner Gedanke. Seit Kurzem sind die Oberhäupter der Stadt jedoch extrem konservativ, sehnen sich mehr oder weniger nach der Vergangenheit und wollen sich diese Vergangenheit passend machen, wie es für sie heute bequem ist.
Was meinen Sie?
Die Ankündigungen für meine Ausstellung, zu der mich die Foundation for the Preservation of Jewish Heritage eingeladen hat, wurden durch die Stadtverwaltung zurückgezogen. Es gibt eine komplette Untersagung des Namens Rosa Luxemburg im öffentlichen Raum. Zum Beispiel die absolute Verweigerung der Kooperation zwischen dem Kulturamt der Stadt und der Foundation, was vorher eigentlich immer gut funktioniert hat. In diesem Fall funktioniert gar nichts, alles wird abgelehnt. Aber was darf oder soll Kunst? Heute wird von Künstlern verlangt, dass man etwas Eigenes macht, aber gleichzeitig wird man damit konfrontiert, dass man Rücksicht nehmen muss auf die Gegebenheiten, die die jeweilige Institution gewährleisten kann, was gefällt, was nicht gefällt, was korrekt ist und was nicht.
Soll Rosa Luxemburg in der Geschichtsschreibung der Stadt Zamość nicht mehr vorkommen?
Obwohl sie die bekannteste Person aus der Gegend ist, wird ihre Existenz verschwiegen. Die Einwohner wissen teilweise gar nicht, dass Luxemburg aus Zamość stammt. Meine Ausstellung findet innerhalb des Stiftung-Gebäudes und auf dem Platz davor statt. In der Synagoge war auch der Großvater von Rosa Luxemburg tätig. Sie selbst war ja Atheistin. Ich wollte an der Fassade der Synagoge eine Neon-Skulptur – ein Kürzel von der Handschrift von Rosa Luxemburg – als permanente Installation anbringen. Die Erlaubnis dazu wurde mir aber erst jetzt erteilt. Also werde ich den Auftrag erst in etwa drei bis vier Wochen umsetzen können. Dafür muss ich nochmal aus Berlin anreisen, damit wir die Installation noch im Rahmen der Ausstellung anbringen können. Aber das machen wir.
Rosa Luxemburg verschwindet also immer weiter aus dem öffentlichen Raum in Polen?
Die öffentliche Raumnutzung ist ein Lackmus-Test für die gesellschaftliche Freiheit der jeweiligen Gesellschaft. Wie viel Freiheit wird einer Gesellschaft zugetraut? Das habe ich in Amerika schon gespürt, und jetzt merke ich das in Polen extrem. Das ist ein Hebel, wodurch man den öffentlichen Raum und die jeweiligen Nutzer reglementiert und damit auch die öffentliche Meinung steuert. Öffentlicher Raum, damit sind auch Zeitungen gemeint und Medien allgemein, die Öffentlichkeit darstellen. Genehmigungen für Demonstrationen werden zum Beispiel jetzt in dieser Gegend ausschließlich an religiöse und regierungskonforme Parteien vergeben. Alles, was öffentliche Aufmerksamkeit bekommen kann, wird extrem reglementiert.
Wodurch ist die Erinnerung an Rosa Luxemburg in Deutschland geprägt?
In Deutschland habe ich erfahren, dass Rosa Luxemburg deutsch ist, und dass es deutsches Gedankengut ist. Dass sie polnisch ist, wussten die Personen, die mit mir sprachen, darunter Personen die der Partei Die Linke angehören, zum Beispiel nicht. Rosa Luxemburg hat in vier Sprachen geschrieben, und in keiner einzigen Sprache ist alles, was sie geschrieben hat, übersetzt. Die ganze Ablehnung des Kommunismus und ihre Briefstreits, die sie mit Stalin und Lenin geführt hat, das war alles auf Russisch und ist auf Deutsch nicht vorhanden. Es gibt zum Bespiel ein Interview mit dem Mörder von Rosa Luxemburg, das auf Deutsch geführt wurde. Und das kennt kaum jemand in Deutschland. Auch die von Rosa Luxemburgs Anwalt an ihrem Grab gehaltene Rede, ein riesiger Vorwurf an die deutsche Gesellschaft, ist bis 2009 unter Verschluss gewesen.
Nennen Sie deshalb Ihre Arbeit vor dem Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz "Phantom Monument"?
Der Begriff Phantom begleitet mich schon lange. Immer wieder habe ich bemerkt, dass es Dinge gibt, die nachträglich anders definiert wurden. Oder, dass es irgendetwas nicht mehr gibt, was es aber gab, und ich mich mühselig erinnern musste, worum es ging. Gebäude, Namen … nicht nur in der Politik, und nicht nur bei Rosa Luxemburg. Die Objekte, die ich auf dem Rosa-Luxemburg-Platz zeige, lehnen sich an die Fahnenhalterungen aus dem Fin de Siècle an, in dem Luxemburg zu pazifistischen Demos aufgerufen hatte, in Berlin und darüber hinaus. Das sind Halterungen, die ich von den Sockeln herunterhole, und direkt auf der Straße, im öffentlichen Raum platziere.
Aber in den Halterungen stecken keine Fahnen – warum nicht?
Damit ist gemeint, dass eigentlich jede Aussage, jede Fahne, die wir heute noch zum Beispiel auf Demos in Berlin verwenden, sei es für bezahlbaren Wohnraum oder gerechte Bezahlung, mehr oder weniger die Slogans von Rosa Luxemburg sind. Mit den gleichen Slogans hat sie die Demos angeführt und dafür wurde sie auch verhaftet, immer wieder. Vor allem wegen des Pazifismus. Wegen ihres pazifistisches Handelns gegen den kriegerischen Geist in Deutschland.
Was macht den Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin zu einem Erinnerungsort? Der Name?
Ja. Der Berliner Rosa-Luxemburg-Platz ist der einzige Ort in Europa, der ihren Namen trägt. Ich habe in Polen und Tschechien in Rosa-Luxemburg-Straßen gewohnt, aber der Name wurde einfach getilgt. In Berlin haben wir den Platz und die Straße in einem. Zudem ist dort eine Institution angesiedelt, die Volksbühne. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist zwar nicht ganz so nah. Sie ist aber an die Partei Die Linke angedockt, die ja wiederum vis-a-vis des Platzes sitzt. Dieses einzigartige Phänomen war auch der Grund, weshalb der ehemalige Intendant der Volksbühne, Chris Dercon, bei mir eine Skulptur in Auftrag gegeben hat. Für ein großes Monument für Rosa Luxemburg, direkt am Rosa-Luxemburg-Platz. Das ist nun schon drei Jahre her und wegen seiner Kündigung wurde das Projekt nicht umgesetzt. Die Volksbühne hat die Verträge gebrochen.
Weshalb?
Die Begründung war: kein Geld. Aber es gab trotzdem den Vertrag. Und die Volksbühne ist kein privates Unternehmen, sie gehört der Stadt Berlin. Und die Stadt Berlin ist nicht pleite, die hatte sogar einen Überschuss. Doch die waren überhaupt nicht bereit zum Gespräch. Die haben einfach gesagt: Nein. Und ich vermute, dass das daran liegt, dass das ein Auftrag von Chris Dercon war. Die haben nur noch zwei Aufträge von ihm durchgesetzt, die allerdings schon in Gange waren. Und meiner war eigentlich explizit für 2019 geplant, deshalb hatte ich noch nicht angefangen.
Erinnerungsräume sind – wie jedes Archiv – durch Auswahl bestimmt. Was wir erinnern, ist somit sehr politisch. Empfinden Sie Ihre Arbeit als Möglichkeit, das zu erinnern, was manche versuchen aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen?
Ja, ich wehre mich dagegen. Ich bin mit dieser Löschung meiner und unserer Vergangenheit nicht einverstanden. Tilgt man eine Vergangenheit, die nicht gefällt, schafft man die Möglichkeit dafür, dass sich diese Vergangenheit wiederholt.