Das Zentrum für politische Schönheit hat dann doch keinen Panzer in Dresden aufgestellt, um der AfD den Krieg zu erklären. Doch auch ohne das ausrangierte Militärfahrzeug war die Reaktion des kontroversen Künstlerkollektivs für das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen verbal gerüstet. "27,5 Prozent haben in Sachsen eine rechtsextreme Partei gewählt. Einfach nur: erschreckend", schrieb das ZPS auf seinem Instagram-Account. Vorher hatte die Gruppe ein Foto des zerstörten Dresdens von 1945 gepostet. Ein exklusiver Blick auf die Zukunft der Stadt, so das Statement dazu, wenn die AfD gewinne.
Die Aussicht auf erstarkte Rechtspopulisten in Sachsen und Brandenburg hatte die Kunst- und Kulturszene vor den gestrigen Landtagswahlen aufgerüttelt. Die AfD übt zunehmend Druck auf Institutionen aus, die sie als zu links empfindet, und fordert in ihrem Programm eine deutsche Leitkultur statt, wie sie es ausdrückt, "Willkommensproaganda". Die Kultur ist ein Kampffeld der Rechten geworden, und die traditionell eher nach links geneigten Protagonisten der Kunstszene ringen um ihren Umgang damit.
Das Allerschlimmste war wahrscheinlich - ist aber nicht eingetreten
So fallen die Reaktionen am Tag danach differenziert aus. Die Schriftstellerin Michaela Maria Müller aus Potsdam spricht von "einer gewissen Erleichterung", dass die AfD mit 23,5 Prozent nicht stärkste Partei geworden ist, doch die Erleichterung hat ein ungutes Nachgefühl. "Die rechtsextremen Meinungsmacher werden bleiben und weiter versuchen, die Gesellschaft zu spalten", sagt sie. Auch für Mathies Rau, Dramaturg am Piccolo Theater in Cottbus, ist es erst einmal eine gute Nachricht, dass in beiden Bundesländern Regierungsbündnisse ohne die AfD möglich sind. "Das Allerschlimmste, das ja durchaus eine realistische Option war, ist nicht eingetreten", sagt er.
Katja Dietrich-Kröck, stellvertretende Vorsitzende des Kunstvereins Kunsthaus Potsdam, hält das Erstarken der AfD dagegen für "katastrophal". Sie rechnet damit, dass in Zukunft bei jedem Ausstellungsprojekt, das der Partei missfalle, die Arbeit des Vereins und die Förderung aus öffentlichen Mitteln in Frage gestellt wird. Schon jetzt komme es immer wieder zu verbalen Angriffen auf kulturelle Einrichtungen - eine Situation, die sich mit der gestiegenen Wählerunterstützung weiter zuspitzen werde.
Die Leipziger Autorin Heike Geißler, die 2015 mit einer Rede als alternative Ministerpräsidentin von Sachsen auf die Anti-Flüchtlings-Proteste reagiert hat, spricht von einer "Katastrophe, die sichtbar geworden ist." Sie fühle sich von dem "schrecklichen Ergebnis" bestärkt, weil es etwas deutlich mache, was schon lange da war, aber nicht in dem Maße greifbar. "Man weiß jetzt genau, wo die Gegner sitzen", sagt sie. Sie selbst fühle sich, als sei sie aus einer Schockstarre erwacht. "Ich war jahrelang müde, aber das darf ich jetzt nicht mehr sein", sagt sie. Auch die Fotografin Heidi Specker aus Leipzig freut sich über die gestiegene Wahlbeteiligung und ist trotzdem besorgt über das Ergebnis. Eine Art von politischem Weckruf scheint bei vielen Menschen angekommen zu sein - aber die meisten ehemaligen Nichtwähler hat es in Richtung AfD gezogen.
Alle Befragten sind sich einig, dass die Wahlergebnisse die Kulturszene betreffen, weil in der Kunst grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens verhandelt und gesellschaftliche Reibungsflächen geschaffen werden. "Wir haben hier ein letztes Ultimatum bekommen", sagt Heike Geißler. "Jetzt muss gearbeitet werden." Wie diese Arbeit aussieht, interpretiert jeder ein wenig anders, aber es lässt sich ein Konsens heraushören, dass es vor allem um eine Verteidigung von Menschlichkeit geht. "Es wird immer wichtiger, Bündnisse mit Menschen und anderen Kunstschaffenden einzugehen, die für Dinge eintreten, die wir noch vor vier, fünf Jahren für unwidersprochen Grundlegendes und Selbstverständliches hielten", sagt Autorin Michalea Maria Müller. "Eine Aufgabe der Kultur ist es, Visionen zu entwickeln", ergänzt Katja Dietrich-Kröck vom Kunsthaus Potsdam. "Wir werden nicht zulassen, dass die AfD das untergräbt."
Ein Aspekt, der der Kulturwelt besonders nahe geht, ist das Wissen der AfD um die Macht von Sprache. "Die Rhetorik der absoluten Ausnahmesituation in der Flüchtlingsfrage hat die Gesellschaft verändert", sagt Heike Geißler. "Die Begriffe klingen nach, obwohl die Situation sich längst verändert hat." Hier sieht die Autorin auch eine Antwortmöglichkeit der Kunst, weil die an ihren eigenen Erzählungen arbeiten kann. Gerade arbeite sie an einem Projekt, bei dem es darum geht, alles Alltägliche zu beschriften und in Sprache zu verwandeln. Der Text muss auf die Straße, sagt sie.
Ausgrenzen oder einhegen?
Was die Kunstszene in sich selbst spaltet, ist die Frage nach dem Umgang mit AfD-Wählern. Ausgrenzen oder einhegen, indem man die ganz unterschiedlichen Protestimpulse ernst nimmt und auf sie eingeht? Das Zentrum für politische Schönheit hat sich für Eskalation entschieden. "Das Ende der Geduld" heißt das neue Buch von ZPS-Leiter Philipp Ruch. "Im Moment setze ich nicht auf Dialog", sagt auch Heike Geißler. "Ich habe das so lange gemacht. Aber das ist ist die Aufgabe der Politik. Die Kunst darf provozieren und angreifen."
Mathies Rau vom Piccolo Theater Cottbus widerspricht. "Es geht hier um keine Minderheit mehr, sondern um ein Drittel der Wählerschaft", sagt er. "Natürlich müssen wir mit den Menschen reden. Es gibt keine Plattform für Hetze, aber es gibt die Möglichkeit zum Dialog."
"Kunst ist erstmal Kunst"
Der Balanceakt der Kunst, so hört man im Gespräch immer wieder, ist es, die Grundwerte einer pluralen Gesellschaft zu verteidigen, ohne zu viel Energie und Aufmerksamkeit an die AfD zu verlieren. Nach der Wahl folgt für alle Befragten ein "An-die-Arbeit-gehen", das in der nächsten Zeit mit konkreten Inhalten gefüllt werden muss.
Die Fotografin Heidi Specker, die seit 2006 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig unterrichtet, wünscht sich dafür von der neuen Regierung vor allem eine "Großzügigkeit für Bildung". Nur in einem gut ausgestatteten Umfeld könne die Arbeit von Künstlern ihre ganze Kraft entfalten. "Teil der Lösung sein", wie Heidi Specker sagt. "Für mich ist Kunst nicht vorrangig eine Frage der Gesinnung, sondern erst einmal Kunst", sagt sie. Aber die Räume zu schaffen und zu verteidigen, in denen diese Kunst angstfrei entstehen kann, ist durchaus ein politischer Auftrag.