Mobile Office 1969: Ein Wählscheiben-Telefon, ein Winkel, eine Schreibmaschine. Der Architekt Hans Hollein fasste diese Utensilien in eine transparente Plastiksäule, in der man aufrecht stehen könnte. Die Idee der Auflösung des festen Arbeitsplatzes zugunsten eines tragbaren Büros dachte er schon vor, bevor die Technik mit Laptop, Mobiltelefon und drahtlosen Netzwerken Jahrzehnte später so weit war. In einer neben der Original-Installation gezeigten Filmprojektion aus dem Jahr 1969 hört man ihn in seiner mobilen Zelle sitzend auf einer Wiese in den Hörer rufen: „Ihr Haus ist fertig gezeichnet! Es wird Ihnen sofort zugestellt, sie können es sich gleich ansehen.“ Das war 1969 so wild gedacht wie charmant, ein wenig selbstironisch aber zugleich absolut überzeugend. Der Witz, so viel ist klar: Das transparente, per Staubsauger aufblasbare Gehäuse, ein Platzhalter im wahrsten Sinne.
1969 war ein großartiges Jahr für solche Experimente. Das zeigt auch die aus demselben Jahr stammende Wandarbeit von Craig Kauffman, die sich nach vorn wölbt wie eine felxible Matte. Ultraglatt und glänzend, in der Transparenz leicht und unverswüstlich zugleich ist "Untitled", gemacht aus Acryllack auf vorgeformtem Plastik.
Seit den 1960er-Jahren umgibt uns dieser Stoff – und es ist sehr interessant, zu sehen, welch rasante Karriere er allein in der Sparte Kunst gemacht hat. Mit der Ausstellung "Plastic World" in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main beschreibt die Kuratorin Martina Weinhart unsere Ära als das Plastikzeitalter. Omnipräsent und nicht wegzudenken. Zunächst war das Beiprodukt der Ölindustrie ein billiger, leichter und verfügbarer Möglichmacher: Bei den aufblasbaren "Nanas" als Multiples von Niki de Saint Phalle oder der Tassen-Tasse von Thomas Bayrle, bei der viele einzelene Plastiktassen und Untertassen so zusammengesetzt sind, dass sie die Form einer großen Tasse ergeben.
Lust am Material
Auch die Lust am Material selbst, an seinen verschiedenen Aggregatzuständen und gestauchten und gefalteten Plexiglas-Studien von César, aber vor allem in seinen "Expansionen" aus Polyurethanschaum: Inszeniert als spektakuläre Events, ließ er die Materie wuchern und sich ausbreiten, gelegentlich von ihm als Dirigent begleitet.
Die Kunst von jeder vorgegebenen Form zu befreien und sie somit sich selbst formen zu lassen, hatte er im Ansatz gemeinsam mit den sich auf dem Boden ausbreitenden Objekten von Lynda Benglis. Beide nutzen das Fließen und Schäumen für prozessuale Skulpturen, die an einem bestimmten Punkt jedoch Erhärten und die unkontrollierte Wucherung gewissermaßen einfrieren.
"Plastic World" macht Spaß, selbst wenn das Material natürlich längst seine Unschuld verloren hat. Mit seinen unendlich langen Verfallszeiten ist Plastik ein Entsorgungsproblem, Mikroplastik in den Meeren zersetzt die Ökosysteme, Strudel aus Plastikmüll auf den Meeren sind größer als manche Inselstaaten. Als Partner in diesen wichtigen Fragen springt hier das Senckenbergmuseum, ein renommiertes Naturkundemuseum mit weltweit wichtigen Sammlungen, der Schirn an die Seite und präsentiert "An Ecosystem of Excess" von Pınar Yoldaş, das während der Laufzeit der Ausstellung als eigenständige Präsentation zu sehen ist.
Plastik durchdringt alles
So kann die Schirn ganz bei der Kunst bleiben, und auch die beschäftigt sich natürlich mit den ökologischen Fragen. Tue Greenforts Pilze, die auf Plastik wachsen, sind in der Abteilung "Ökokritik" zu finden. Die in Kuwait aufgewachsene Monira Al Qadiri ist von Kindheit an mit der Ölindustrie vertraut. Die Petrokultur und ihre Auswirkungen durchdringen ihr gesamtes Werk. Hier hat sie die Formen von Bohrköpfen, die je nach der jeweiligen Bodenbeschaffenheit in ganz verschiedenen Ausführungen zum Einsatz kommen, für eine Reihe von Skulpturen herangezogen. Sie drehen sich auf Sockeln wie Preziosen in der Auslage eines Juweliers.
Die inhaltlichen Unterkapitel der Ausstellung sind lose, den Zusammenhalt stiftet vor allem dieser eine titelgebende Stoff Plastik, der selbst so vielfältige Gestalt annehmen kann. Und so muss man eben leben mit der großen Widersprüchlichkeit aus einerseits Faszination von Möglichkeiten und Machbarkeiten, von leicht zu habendem Glanz und Perfektion. Und andererseits mit den Nachteilen, mit der Scham über die frühere Bedenkenlosigkeit und dem Gefühl, nicht mehr die Wahl zu haben. Plastik durchdringt alles. Wir haben es ihm erlaubt.