Jeden Januar startet das Modejahr mit den Fashion Weeks der Herren für den kommenden Winter. Sie beginnen nicht wie für die Damen in New York, sondern mit der Pitti Uomo in Florenz. Die Messe für Herrenmode fand in ihrer 107. Ausgabe statt, mit um die 20.000 Besuchenden.
Was trägt man also im Winter 2025/2026, der sich gerade noch ziemlich weit weg anfühlt? Beerentöne, sagen die Aussteller. Cowboy-Details sieht man oft, und auch typische Elemente der britischen Garderobe: Tweed und Tartan. Viele Marken ähneln einander, zeigen bekannte Silhouetten in vorsichtigen Schattierungen. Sie alle scheinen einem Vorbild zu folgen, dem Italiener aus Solomeo, der die vielleicht größte Fläche auf dem Gelände bespielt.
Brunello Cucinelli, 60 Jahre alt, startete sein weltbekanntes Label mit bunten Kaschmir-Pullovern für Frauen. Heute umfasst sein Sortiment Herren- und Damenmode, er ist der Gründer, Geschäftsführer und Designer einer globalen Luxus-Lifestyle-Marke mit einem Umsatz von mehr als 1,5 Milliarden Dollar. Seine Mode steht wie kaum eine andere für Qualität und den traditionell-klassischen italienischen Stil. "Anamnesis" heißt Cucinellis Kollektion für die kommende Saison. Sie zollt der griechischen Philosophie Tribut, bei der jede Erkenntnis auf Erinnerungen beruht. Hochwertige Materialien werden maßgeschneidert, Strickwaren und Denim in klassische Anzüge integriert.
Die Mode im Pavillon der skandinavischen Aussteller unterscheidet sich dagegen sehr von der des mediterranen Anzugträgers. In einer Zusammenarbeit mit der dänischen Modemesse CIFF (Copenhagen International Fashion Fair) findet sich hier der allseits beliebte Skandi-Style, der in der Modewelt immer wegweisender wird. Die Marke Isnurh taufte ihre Kollektion für den kommenden Winter "Don't let your Baby down". Es geht um die Resilienz, die Menschen an den Tag legen, wenn sie versuchen, die beste Version ihrer selbst zu sein, sich in einer Welt, die immer feindseliger und härter wird, um ihre Liebsten kümmern, wie Co-Gründer Kasper Todbjerg sagt.
Ein flauschig-rosa Angora-Pullover steht für eine liebevolle Umarmung. Ein weißes Denim-Hemd mit Stoff-Manipulationen, die an Narben erinnern, symbolisiert den Menschen, bevor er anderen begegnet ist. Das Hemd gibt es auch in einer rosa Version, die für Gefühle nach einer gescheiterten Beziehung steht. "Es geht darum, die Erfahrung anderer Menschen mit der eigenen Welt kollidieren zu lassen", so Todbjerg. Zwischen weiten Silhouetten und süßen Prints wie Blumen auf Cordjacken, öffnet gerade das "Scandinavian Manifesto" die Grenzen zu weiblich gelesener Mode. Fluidität lautet das Stichwort.
Diese Saison präsentierten MM6 Maison Margiela und Satoshi Kuwata, der die erste Modenschau seines Labels Setchu überhaupt zeigte, als Gastdesigner ihre Kollektionen in Florenz. MM6 ist eine Zweitlinie von Margiela und hat im Gegensatz zu der avantgardistischen Hauptlinie eher zeitgenössische, tragbare Mode im Programm. Das Kreativkollektiv, das die Design-Leitung innehat, erklärte vor der Show, dass sie dem Credo "Ready when worn" statt "Ready to wear" folgen. Der Träger macht den Look, nicht andersherum.
Als Inspiration diente der US-amerikanische Jazz-Trompeter Miles Davis. Eine Stilikone, die MM6 in maßgeschneiderten Anzügen, glitzernden Rollkragen-Pullovern und durch Bleichung hergestellte Scheinwerfer-Strahlen zitierte. Lederne Hemden und Trenchcoats, eine Bomberjacke aus falschem Nerz, schlanke Schals und eine Tasche, die an einen Trompeten-Koffer erinnerte: MM6 bot Klassiker der Herrengarderobe in der Disco-Version. Und das alles in einem historischen, gewaltigen Gewächshaus im Giardino dell’Orticoltura in Florenz.
Setchu hingegen zeigte in der alten Nationalbibliothek der Stadt. "Ich will weniger, und weniger als das", beginnen die Notizen zu Designer Satoshi Kuwatas gezeigter Mode. Reduktion liegt im Herzen jeder seiner Kollektionen, die alle mit einem Stück Origami-Papier starten. Skulpturale, dreidimensionale Schneiderei und dekonstruierte Klassiker bestimmten die Looks. Hemden und Jacken wurden bis zur Unkenntlichkeit drapiert, auseinandergenommen, wieder neu angeordnet. Brauner Strick war durch viele Knopfreihen zu verfremdeten Cardigans gestaltet. Safari-Jacken und Peacoats kamen mit Origami-Falten daher, "Haori"-Jacken und "Hakama"-Hosen wurden von drei klassischen Herren-Looks der ältesten Londoner Schneiderei Davis & Son unterbrochen. Setchu verbindet seine Heimat Japan mit der westlichen Ästhetik, in der er heute lebt. Jedes Kleidungsstück ist multifunktional, schlicht, aber experimentell und geschlechtslos.
Dieser Aspekt ist einer der definierenden unserer Mode-Epoche. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre es in den meisten Kontexten undenkbar gewesen, Frauen und Männer in die gleichen Kleidungsstücke zu stecken. Der Anzug ist zwar noch immer ein Kernstück der Herrengarderobe und dient als Orientierung für fast alle seine Bestandteile, weicht aber immer mehr fluiden Alternativen, die genauso in weiblich gelesenen Kleiderschränken gefunden werden können. Und selbstverständlich tragen auch Frauen andersherum den klassischen Herrenanzug.
Gerade die Generation Z hat keine Angst mehr davor, Kleidungsstücke und Accessoires, die landläufig einem bestimmten Geschlecht zugeordnete sind, losgelöst einzusetzen. Männer tragen Perlenketten, Ohrringen und Röcke, Frauen weite Baggy-Jeans, breite Jacken und funktionale Kleidung.
Dass es trotzdem noch Unterschiede zwischen Herren- und Damenbekleidung und damit auch getrennt stattfindende Modenschauen und Messen gibt, beruht auf vor langer Zeit festgelegten Normen. Diese finden viele Fashion-Fans unzeitgemäß, und einige Creative Directors widersetzen sich dem Standard schon länger. Während er für Gucci arbeitete, ließ beispielsweise Designer Alessandro Michele zweimal im Jahr alle Models gleichzeitig laufen. Seine Entwürfe schienen für alle gefertigt zu sein. Kleider an Männern, Hosenanzüge an Frauen, viele Models glichen eher "Wesen", wie es Michele nannte, also queeren, mystischen Kreaturen. Genderfluid bedeutet in der Mode: Jeder und jede kann sich aussuchen, was am besten gefällt. Doch das ist nicht so üblich, wie es nach Meinung von Kritikerinnen sein sollte.
Wenn der Alltag durch Kleidung erschwert wird
Gesellschaftliche Strukturen haben die stereotypen Ansprüche hervorgebracht, dass Frauen "weiblich" aussehen sollen, indem sie Kleider und Röcke tragen. Und Männer eben "männlich", indem sie sich in Hosen und Anzüge kleiden. Letztere galten als "ernsthaft und praktisch", Frauen in Hosen dagegen empfand man im frühen 20. Jahrhundert noch als skandalös. Korsett, hochhackige Schuhe, weit ausgestellte Röcke – für Frauen galt als Priorität, zu gefallen, nicht, sich schnell und effizient fortzubewegen.
Während Männer elegant, aber funktional und auch ihrem Beruf entsprechend gekleidet waren, glich der alltägliche Look der Frauen eher dem des hübschen Beiwerks. Auch in der aktuellen Mode sind weiterhin Kleidungsstücke vertreten, wie hohe Pumps oder sehr kurze Kleider, die im normalen Leben eher hinderlich sind, verlangsamen. Einfacher wird der Alltag etwa durch tiefe, geräumige Hosentaschen, die jedoch fast ausschließlich in Männerhosen zu finden sind. An Damen-Jeans sind die Taschen manchmal sogar nur angedeutet, eine Handtasche wird daher essenziell. Ein zusätzlicher Ballast, der Männern meist erspart bleibt.
Fast wie in der Damenmode, in der es ein unendlich großes Angebot gibt, können heute auch Männer zwischen unterschiedlichsten Einflüssen und Ansätzen entscheiden – vom japanischen Rock bis zum skandinavischen Blümchenprint. Auch das ein Phänomen, dass erst seit kurzer Zeit prominent ist. Von den späten 1800er-Jahren bis weit ins 20. Jahrhundert war eine mehr oder weniger formale Version des klassischen Herrenanzugs das gängige Outfit für Männer in der westlich geprägten Welt. Die 1960er-Jahre galten dann als der Punkt, an dem Uniform und Konformität abgelegt wurde. "Anything goes", war das Motto, und Väter schauten das erste Mal auf das, was ihre Söhne trugen, nicht andersherum.
Es gibt kaum noch Grenzen
Nach der Hippie-Phase in den 1970er-Jahren, dem "Power-Dressing" in den 1990ern und den Hiphop-Einflüssen in den frühen 2000ern waren es vor allem die 2010er-Jahre, die die absolute Modefreiheit versprachen. Das Internet gebar Fashion-Blogs und bald Social Media, so konnten Looks global verbreitet und Mode bei Online-Händlern eingekauft werden. Elemente aus den unterschiedlichsten Kulturen sind so verfügbar wie nie, Menschen in Italien tragen schwedische Designs, Berliner lassen sich von Seouls Ästhetik inspirieren, es gibt kaum noch Grenzen.
Die Trends in der Damenmode scheinen jedoch bedeutend schneller zu wechseln als die der Herren. Gleichzeitig ist Herrenkleidung oft qualitativ hochwertiger und somit etwa auch wärmender als die für Frauen. Weibliche Konsumenten machen in der Mode noch immer die größte Zielgruppe aus. Schnell soll sich hier die Garderobe ändern, wenn die neue Saison beginnt. Qualität wird daher als sekundär betrachtet.
Die Herrenmode arbeitet dagegen meist mit gleichbleibenden Basics, die durch neue Trendstücke ergänzt werden können. Ein nachhaltigeres Konzept, das etwa auch das Label Lemaire verfolgt. Alles bleibt hier "in Mode", neue Kollektionen dienen nur dazu, Bestehendes zu erweitern. Kleidung kaufen Männer oft noch mit dem Gedanken, dass sie für etwas nützlich sein muss. Rein aus ästhetischem Gefallen einzukaufen, wird dagegen als weibliches Verhalten beschrieben.
Der männliche Blick bestimmt noch immer
Gleichzeitig ist Mode für die Verbraucherin überwiegend unbequemer als für den Verbraucher. Eine Studie hat herausgefunden, dass Frauen unangenehme Kleidung aushalten, um attraktiv zu wirken, oder aber, weil sie keine Kleidung finden können, die wirklich bequem ist. Eine weitere Untersuchung besagt, dass zu enge Kleidung negative Auswirkungen auf die Aktivität der Gehirnströme haben kann. Auch chronische Körperwachsamkeit kann durch Kleidung entstehen, die Unbehagen verursacht und einschränkend wirkt. Durch diesen "Comfort Gap" wird weiterhin die Botschaft vermittelt, dass Frauenkörper zum Anschauen da sind, Männerkörper hingegen zum aktiven Handeln.
Während die Damenmode experimentierfreudiger ist, was Silhouetten angeht, ist sie auch anstrengender für die Trägerin. Der Fokus auf Qualität, Komfort und die Entwicklung eines eigenen Stils ist in der Herrenmode eher gegeben. Der männliche Blick bestimmt außerdem noch weite Aspekte der weiblichen Garderobe. Frauen sind für 70 bis 80 Prozent des Konsums verantwortlich, und etwa 85 Prozent der Modedesign-Abschlüsse werden von Studentinnen erworben. Aber nur etwa 14 Prozent der Führungspositionen bei großen Marken werden von Frauen besetzt. Spannend würde es werden, wenn veraltete Stereotype überwunden, inklusive Unisex-Mode bedeutender und der weibliche Blick mehr in den Vordergrund gerückt würde. Die nächste Saison kommt bestimmt.