Comeback-Kollektion von Phoebe Philo

Im Haifischbecken der Luxusmarken

Die ehemalige Celine-Designerin Phoebe Philo hat ihre lang ersehnte neue Kollektion unter eigenem Namen herausgebracht - in einer Zeit, in der nahezu alle Top-Positionen der Modewelt von Männern besetzt sind

Am 30. Oktober um 16.04 Uhr mitteleuropäischer Zeit erreichte tausende Menschen eine E-Mail, auf die sie sechs Jahre lang gewartet hatten: "Phoebephilo.com is now open". Phoebe Philos nach ihr benannte Marke ist endlich online gegangen

Nach ihrem Adieu als Creative Director von Celine im Jahr 2017, trauerten die Kundinnen um die Kreationen der Modedesignerin. Philo hatte es geschafft, Frauen weltweit mit tragbarer, moderner und schmeichelnder Kleidung zu versorgen. Ihre Kreationen ließen sie nicht nur gut aussehen, sondern auch gut fühlen. Stark, sinnlich, souverän - schick angezogen, ohne auf Komfort zu verzichten. Klassiker aus der Herrengarderobe, auf den weiblichen Leib geschneidert. 

Philo gehört zu den Modeschöpferinnen, die für Frauen und ihre Bedürfnisse designt, nicht für den männlichen Blick. Entsetzt waren die treuen "Philophiles", wie sich ihre Fanbase selbst nennt, von ihrem Nachfolger bei Celine, Hedi Slimane. Wie bei vielen seiner männlichen Kollegen, die weitestgehend den Creative-Director-Markt besetzen, wurden die Models abermals unfassbar dünn und jung, die Kleider extrem kurz und eng. Das Gegenteil von dem, was Philo etabliert hatte. Das Gegenteil von dem, was viele Frauen im alltäglichen Leben gern tragen möchten. 

Weiße Männer an der Spitze

Während des Modemonats im September gab es neben Philos sehnlich erwartetem Comeback noch ein weiteres Thema, das für Diskussionen sorgte. Sarah Burton verließ nach 13 Jahren als kreative Leitung das britische Modehaus Alexander McQueen und zeigte ihre letzte Kollektion in Paris. Als ihre Nachfolge wurde Sean McGirr ausgesucht, der bisher für Jonathan Andersons Marke J.W. Anderson tätig war. Ein weißer Mann mittleren Alters, der auf seinem offiziellen Ankündigungs-Foto ernst in die Kamera blickt. Gewiss, das ihm anvertraute Imperium erfolgreich weiterzuführen. 

Und damit ist er nicht allein. Bei allen zum Kering-Konzern gehörenden Luxusmarken, stehen nach Burtons Abschied weiße Männer an der Spitze: Matthieu Blazy leitet Bottega Veneta, Sabato de Sarno Gucci. Demna Gvasalia ist die kreative Leitung bei Balenciaga, Anthony Vaccarello bei Saint Laurent. Norbert Stumpfl leitet Brioni. Zum Verwechseln ähnlich schauen sie zufrieden von ihren Schwarz-Weiß-Fotografien in die Gesichter fassungsloser Frauen. 

Kering hat nach eigenen Angaben "eine Reihe konkreter Verpflichtungen" eingeführt, die darauf abzielen, "die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf allen Ebenen zu fördern". Aber von den 29 Kreativdirektoren, die jemals die sechs großen Modehäuser des Unternehmens geleitet haben, waren nur fünf Frauen. "Es ist eine Beleidigung für jede Frau, die in der Branche arbeitet - nicht, dass er ernannt wurde, sondern, dass das gesamte Ressort von Männern geleitet wird," machte eine Designerin im Interview mit der Mode-Plattform "@1granary" ihrem Frust Luft. 

Privilegien und Beziehungen, um die Ränge von innen zu erklimmen

Nur wenige Tage später wurde ein weiterer Mann zum neuen Creative Director bei Moschino ernannt: Davide Renne. Nicht überrascht, aber enttäuscht, wurde auch diese Ungerechtigkeit hingenommen. Es ist ein bekanntes Problem. Wer Mode studiert, teilt sich meist mit 95 Prozent Kommilitoninnen die Klassenräume - trotzdem sind die Top-Positionen der Modebranche fast alle von Männern besetzt. 

"Leute stellen Leute ein, die wie sie aussehen und obwohl die unteren Ränge der Modebranche vielfältiger sind, braucht man Privilegien und Beziehungen, um die Ränge von innen zu erklimmen", schreibt "Vogue Business". In ungewissen Zeiten, wie sie gerade für den Luxusmarkt bevorstehen, versuchen sich die Marken abzusichern und suchen für die Position des Kreativdirektors in den oberen, homogenen Rängen schon bestehender Designteams. Wo sich vor allem weiße Männer tummeln.

Modehäuser wurden einst von kreativen Köpfen und passionierten Genies gegründet, um ihren Visionen einen Raum zu geben. Doch jetzt ist es nicht mal mehr Christobal Balenciaga, der Balenciaga leitet und ausmacht. Man könnte fast sagen, die Marke wird künstlich am Leben erhalten, denn sie hat sich verkauft, macht Umsatz und ist zu einem millionenschweren Unternehmen geworden. 

Konsumenten diktieren das Geschäft

Der Kunde steht im Zentrum allen Handelns – nicht die Modemarke diktiert das Geschäft, die Konsumenten tun es. Creative Directors werden im Eiltempo ausgewechselt, sobald der Umsatz nicht den Anforderungen entspricht. Einige Kritiker vermuten, dass die Marken Designer einstellen, die die Mehrheit repräsentieren, in der Hoffnung, dass sie an die Mehrheit verkaufen werden. Und das sind dann wohl weiße Männer?

Was dabei immer wieder vergessen wird: Wenn Frauen die Design-Leitung übernehmen, wird die Frau zum Subjekt des Designprozesses, nicht zum Objekt. Entwerfen Frauen für Frauen, besteht ein völlig anderes Verständnis für den weiblichen Körper. Die Wünsche sowie Ansprüche an ihre Kleidung werden eher respektiert und umgesetzt. Und diese Art von Mode wollen Frauen kaufen.

Verdeutlicht wurde dies am Montag, als Phoebe Philos Website unter dem Ansturm der ausgehungerten Philophiles zusammenbrach. "Der Philo-Look ist ein Vibe," beschreibt es der Guardian. "Die richtige Mischung aus schräg und luxuriös", die Vogue. "A1" heißt Phoebe Philos erster "Edit", wie sie die veröffentlichten Kapitel ihrer Entwürfe bezeichnet. 

Ein Investment zu horrenden Preisen

Aus den circa 150 angebotenen Kleidern und Accessoires sollen sich die Kundinnen über die Zeit eine Garderobe zusammenstellen oder die ihre ergänzen können. Sie soll nicht saisonal ausgetauscht werden, sondern immer wieder neue Nuancen hinzufügen. Die horrenden Preise schließen auch alles andere aus. Pumps für 990 Euro, Kleider für 2900 Euro und Mäntel für 13.000 Euro bietet Frau Philo an. Ein Investment, das sich durch seine Langlebigkeit, seine nie verloren gehende Modernität, lohnen soll. 

"Old Céline", wie Philos Ära bei dem Modehaus im Internet genannt wird, verkauft sich auf Resell-Plattformen für deutlich mehr als den originalen Preis. Von ihr designte Klassiker wie die "Alphabet Pendants" gehören zu den meistgesuchten Produkten überhaupt auf Vintage-Websites. 

Wer also in den ersten Phoebe-Drop investiert, wird das Teure gut sicherlich auch wieder los. Schon wenige Stunden nach dem Launch der Kollektion waren einige Teile ausverkauft. Phoebe Philo nährt mit ihrer Kollektion die Wartenden, die Fanbase, die sie sich über viele Jahre erarbeitet hat. 

Balance zwischen feminin und maskulin

Scheinbar klassische Basics wie Rollkragen-Pullover mutiert sie zur Perfektion, durch die richtigen Details an Kragen und Nähten und die perfekte Ärmellänge. Khakifarbene Anzüge sind so exakt geschnitten, dass sie trotz komplett verdecktem Körper reine Sexiness verkörpern. 

Eine Hose weist statt Bundfalten Reißverschlüsse auf, die sich vom Saum bis zum Bund aufziehen lassen. Skulpturale Kleider in Anthrazit, Lederjacken mit abnehmbarem Lederschal, eine seidene Cargo-Hose - die Präzision, mit der Philo eine Balance zwischen feminin und maskulin, zwischen verspielt und schlicht, modern und klassisch schafft, ist beeindruckend. 

Die Proportionen und Silhouetten feinst aufeinander abgestimmt, Materialien im vollkommenen Gleichgewicht. Sportlich bedruckte Leggings kombiniert Philo zu exquisiten Lederstiefeletten, ein Baumwoll-T-Shirt bekommt einen Rollkragen verpasst und wird zu einem mit gekämmten Nähten verzierten Minirock getragen. Edgy-elegant. "Ein Produkt, das Permanenz reflektiert", möchte Philo mit ihren Kreationen bereitstellen. Und, der Erfahrung nach werden ihre Designs zu ewig tragbaren Favoriten, die ein gewisses Alter nur noch wertiger macht.

Rückkehr an die Spitze  

Negative Kritik blieb trotzdem nicht aus. Das lag nicht nur an den absoluten Highclass-Preisen, sondern auch an den wenigen inklusiven Größen, die als rückschrittlich angemerkt wurden. Für Verwirrung sorgte ein mit Plastikpailletten besetztes Strickkleid für 14.000 Euro, dass Produkte ausschließlich via der Website bestellbar sein werden und dass kein bisschen Marketing auf den sozialen Medien stattfindet. 

"Wo ist der Video-Content, das Intro in dem Ethos deiner Brand, die Visualisierung?", fragte Modekritiker Shelton Boyd-Griffith. Er vermisst offenbar ein ausführlicheres Storytelling, eine stärkere Positionierung der Marke, die mehr ist als eben: Phoebe Philos Brand. 

Modekritikerin Mandy Lee stellte die Frage der Relevanz einer weiteren "Quiet Luxury/ Elevated Basics"- Brand, mit ähnlichen Silhouetten wie bei Cos oder Khaite und Preisschildern wie bei The Row oder Bottega Veneta. Gleichzeitig sprach sie sich für LVMHs finanzielle Unterstützung der neu gelaunchten Brand aus. Der Kering-Konkurrent hatte in die Marke Phoebe Philo investiert. "Sie brauchen mehr Repräsentation weiblicher Designer", erklärt Lee.  Mit "A1" hat Phoebe Philo sich nicht neu erfunden, sondern genau das geliefert, wofür sie geliebt und vermisst wurde.

Der "female gaze" bleibt hängen

Sich selbst als Kundin vor Augen, schafft sie es, Mode durch simple, aber perfektionierte Tricks zu mächtigen Statements zu formen. Der "female gaze" bleibt an eben diesen Kleidern bewundernd hängen. Das Tragegefühl und die daraus resultierende Körpersprache stehen für sich. Auch wenn ihre Designs heute nicht wie eine Revolution wirken, darf nicht vergessen werden, dass Philo selbst vor einigen Jahren den Grundstein für vieles legte, was aktuell auf dem Modemarkt zu sehen ist. Den "Quirky-Chic", wie "Vogue"-Redakteur José Criales-Unzueta es nennt. 

Philo hat neue Maßstäbe gesetzt und wird nun wohl daran arbeiten, sich selbst einzuholen, um wieder den Ton anzugeben. Mehr noch als ihre Kleider jedoch, wiegt momentan der Fakt, dass eine Frau an der Spitze einer wegweisenden Modemarke steht, auch wenn diese sich noch im Haifischbecken-Luxusmarkt beweisen muss.