Wer nur die Nachrichten aus Uganda kennt, dem muss das ostafrikanische Land mit über 80 Prozent Christen, das Homosexuelle von Staats wegen verfolgt, als eine lustfeindliche Einöde vorkommen. Wer aber einmal nachts in den Klubs der Hauptstadt Kampala, im Capital vielleicht oder im Red I, eingezwängt zwischen Studenten, NGO-Mitarbeitern, Prostituierten und Twerk-Tänzern im Dancehall-Wahnsinn stand, weiß, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Unwirklich nämlich.
Das surreale Erleben kommt nicht allein vom Waragi-Konsum, einem ginähnlichen Getränk, das es nur in Uganda gibt. Es passieren tatsächlich seltsame Dinge. Dafür gibt es jetzt einen neuen Beleg: Michele Sibilonis kleines, böses Fotobuch "Fuck it", Ergebnis einer zweijährigen Tour durch das Nachtleben Kampalas. Da schultern drei Frauen einen irgendwie toten Mann, hängt eine Tänzerin kopfüber vom Deckenbalken, gleich neben einer Discokugel aus Stroh, Auftritt eines Kriegers mit Pfeil und Bogen, Krallenhände, verschwitzte Polyesterhemden, weggetretene Gesichter und – huch! – zwei sich küssende Frauen.
Kampalas Ausgehviertel heißt Kabalagala, das klingt schon nach "Mad Max", die Architektur und das Interieur der Etablissements würden gut zu einem Schmugglereiland passen: offene Strukturen aus Beton und krummen Holzbalken, vollgestellt mit klobigen, selbst gezimmerten Möbeln, an den Wänden Ventilatoren, Neonlichter, Fernseher und Banner von britischen Fußballvereinen. Eine robuste Bühne für einen robusten Lifestyle.
Der 34-jährige Sibiloni, der seit fünf Jahren als Fotoreporter von politischen Spannungen und Entwicklungshilfeprojekten in Ostafrika berichtet, trifft mit seinen Bildern keine Wertungen. Sie sind frei von kunsthandwerklichem Ehrgeiz. Der Italiener hält die Kamera schief, bleibt an lächerlichen Details hängen, er hält einen Finger halb vor die Linse, missachtet klassische Bildhierarchien und lässt viel Unschärfe und überbelichtete Gesichter zu. Als wären die Fotos selbst betrunken. Uganda, eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Alkoholkonsum weltweit, tankt auf, Uganda legt nach.
Ein Hoch auf die Säufersolidarität
Der große gemeinsame Rausch macht alle gleich: Einheimische und Expats, Evangelikale und Drogendealer, Huren und Sekretärinnen. Ein Hoch auf die internationale "Säufersolidarität", die die Hamburger Band Deichkind besang, deren Musik, wie zur Bestätigung dieser Parole, neben der von Lokalgrößen wie Ragga Pimpy, Rabadaba und Yung Mula auch schon mal in den Kabalagala-Klubs läuft.
Der Exzess hat natürlich – wie das Ausgehleben überall auf der Welt – auch eine unübersehbare kaputte Seite. In Uganda mag man in dieser Zerrüttung die Wunden aus der Idi-Amin-Diktatur sehen, des Uganda-Tansania-Kriegs, der Versklavung Zehntausender Kinder durch den Warlord Joseph Kony, des islamistischen Terrors, der 2010 auch eine Bar in Kabalagala traf. Man sieht vielleicht den Frust über die repressiven Gesetze des Staatsoberhaupts Yoweri Museveni, der seit unglaublichen 30 Jahren an der Macht ist. Bleierne Zeit.
Aber diese Fotos stiften eben auch und vor allem Hoffnung: Jedes Bild zeigt die Fähigkeit und das Recht des Menschen, mit anderen gemeinsam immer wieder ein herzliches "Fuck it!" zu performen.