Es ist bekannt, wie isoliert Cindy Sherman an ihren Inszenierungen arbeitet, eine Einladung in ihr Atelier ist ein Privileg. Bei der Gelegenheit zu fragen: "Sind das Selbstporträts?", klingt wie eine der gezielten Peinlichkeiten in Lena Dunhams TV-Serie "Girls". So etwas traut sich nur die Kunstmarktexpertin Sarah Thornton: Künstler mit dem anscheinend zu Offensichtlichen zu konfrontieren.
Während sie im vorherigen Buch, "Sieben Tage in der Kunstwelt", anekdotenhaft ein komplexes System erklärt, geht die Autorin diesmal in die Tiefe. Im Gespräch mit sehr bekannten und weniger bekannten Künstlern will sie die Essenz dieser Profession definieren. Wie, fragt sie im Vorwort, erhalten Künstler die gottgleiche Autorität aufrecht, die ihnen Marcel Duchamp gab, als er 1917 ein signiertes Urinal ausstellte und es fortan nicht mehr um messbare Könnerschaft ging?
Thorntons eigene Strategie ist angenehm direkt: Die in London lebende kanadische Kultursoziologin legt Kriterien nachvollziehbar fest und kehrt, trotz vieler szenischer Beschreibungen der zahlreichen Atelier- und Wohnungsbesuche, stets konzentriert zu ihren beiden zentralen Fragen zurück: "Was ist ein Künstler?" Und: "Welche Art von Künstler sind Sie?" Künstler, die langweilig antworteten, flogen wieder raus, egal wie berühmt sie sein mögen.
Dass diese Fragen eine politische Dimension haben können, zeigen die Begegnungen mit Ai Weiwei. Die Treffen mit ihm vor und nach seiner Inhaftierung kontrastiert Thornton wirkungsvoll, wenn sie Jeff Koons in seinem New Yorker Atelier aufsucht, bei einem Talk in Abu
Dhabi oder bei Schauen in London und Frankfurt trifft. Elegant führt sie erst sein Mantra der "Akzeptanz aller Dinge" ein, um ihn in einem atemberaubend getakteten Pressetermin zu bitten, seine Floskeln zu überspringen und zu erklären, ob seine allumfassende Akzeptanz auch Neonazis einschließe. Koons flüchtet sich in Storys aus der Kindheit, erzählt, wie er lernte, Banalität zu lieben, dann ist die halbe Stunde vorbei. Thornton und mit ihr die Leser lernen, dass es für Künstler nicht ratsam ist, sich festzulegen. Sie sieht es so: Uneindeutigkeit wirke sich besser auf die Bewertung der Kunst aus. Genau diese Wolke der vagen Übereinkunft will die Autorin aber vertreiben. Dafür nimmt sie auch unangenehme Situationen in Kauf.
Großartig sind die Begegnungen mit Maurizio Cattelan, dem Unbehaglichkeit nicht fremd ist. Nichts erscheint dabei geglättet. Ihr ambivalentes Verhältnis zu Damien Hirst verheimlicht Thornton nicht. Verblüffung über die betagte Yayoi Kusama, die sich als hellwacher PR-Profi entpuppt. Marina Abramović präsentiert sich deckungsgleich mit der Märtyrerin aus ihren Performances. Überhaupt sind es vor allem die Frauen, die Thorntons Vorhaben, Künstler ihre Relevanz selbst erklären zu lassen, so komplex, anstrengend und gut machen: Martha Rosler, Andrea Fraser, Cindy Sherman und Laurie Simmons stellen klar, dass man zugleich zweiflerisch und unbeirrbar sein kann und dass man auch mit Verweigerung im Spiel bleibt.
Thornton gelingt es, sich mit einer notorischen Querulantin, der großartigen Cady Noland, zu verabreden, die dem Kunstsystem und der Öffentlichkeit zutiefst misstraut und in letzter Zeit fast nur noch durch offene Briefe präsent war, in denen sie sich von der Ausstellung ihres Werks distanziert. Das Gespräch zählt zu den unterhaltsamsten Passagen des Buches, wie immer bei Noland ist es mit der Bemerkung versehen, dass es ohne Zustimmung gedruckt wurde.
Spaß machen die präzisen Äußerungen von Künstlern übereinander. Und die Aussagen, die sie verweigern. Wie Sherman, die jeden Bezug ihrer Bilder zu sich selbst hartnäckig abstreitet. "Aber sogar auf der Jacke, die Sie hier tragen, steht 'Cindy'!" Ach, die Jacke, das sei nur ein Geschenk der Künstlerin Laurie Simmons, Mutter von Lena Dunham. Sie, die Schöpferin von "Girls", und ihr Vater, der Maler Carroll Dunham, kommen ebenfalls vor. "Niemand kann einen Künstler richtig fassen", sagt Lena Dunham. "Nicht einmal das Kind von zwei Künstlern!"