Debatte
"Wie kriegt man die Kunstfreiheit in die Kunst zurück?", fragt Hito Steyerl in einem Gastbeitrag für die "FAZ". Was einst ein Privileg der Kunst war, ist nun in die politische Sphäre gesickert: "Viele libertäre Autokraten benehmen sich derzeit wie traditionelle Künstlergenies und laufen performativ Amok. Populisten und Autokraten setzen sich wie besoffene Malerfürsten über Vernunft und Vorschriften hinweg. Regeln, Gesetze, Realität: egal." Die Kultur schaue dagegen alt aus: "KI verwandelt sie in Durchschnittsware." Was also tun? "Effizienz, Anwendbarkeit und Optimiertheit sind schon lang real existierende Grenzen für Denk-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit. Öffentliche Einrichtungen, ja der öffentliche Diskurs selbst sind ebenso abhängig von meist US-basierten digitalen Monopolen wie einst von russischem Gas. Weil Kultur davor zurückschreckt, ihre eigenen Abhängigkeiten zu benennen, und sich stattdessen im defensiv Partikulären verhaspelt, haben Kettensägen-Artisten leichtes Spiel. Wie Freiheit wieder vorgestellt werden kann? Die wichtigsten Grenzen der Vorstellungskraft sind nicht Meinungskorridore oder Denkverbote, sondern die Idee, dass die Welt weder disruptiven Oligarchen noch kulturellen Großgrundbesitzern gehört, da sie allen gemein ist."
Aruna D’Souza war für die "New York Times" bei den Proben für Anne Imhofs neuestes Performancestück "Doom" in der Park Avenue Armory in Manhattan dabei. Sie sah "diese unglaublich schönen Darsteller, viele von ihnen sehr jung. Sie lagen auf dem Boden eines der Proberäume der Armory, saßen am Klavier, probten Bewegungsabläufe oder studierten Zeilen aus Shakespeares 'Romeo und Julia' ein - dem Ausgangspunkt für das neue Projekt. Im Gegensatz zur heftigen, manchmal aggressiven Ästhetik ihrer Werke war Imhof eine sanfte, beobachtende Präsenz, die die Darsteller nicht so sehr anleitete, sondern sie fragte, wie sie vorgehen wollten - ganz im Gegensatz zur strengen Strenge einer Ballettprobe. 'Ich rechne mit Zufällen und Unfällen und Dingen, die nicht geplant sind', sagte mir der 46-jährige Berliner Künstler. 'Es muss so offen sein, dass die Darsteller selbst bestimmen können.'"
Ausstellung
Frances Morgan, einst stellvertretende Chefredakteurin von "The Wire", hat für die "London Review of Books" die Yoko-Ono-Ausstellung im Düsseldorfer K20 besucht, eine Schau, die zuvor in der Londoner Tate Modern zu sehen war und demnächst nach Berlin wandert. "Ono, heute 92 Jahre alt, hat alles miterlebt, von der Demontage des traditionellen Kunstobjekts und der Explosion der Popkultur bis zu ihrer Vereinnahmung durch die zeitgenössische Kunst und der Historisierung der Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Das Beharren auf der Macht des Spekulativen und das Gespür für die Art und Weise, wie materielle Dinge Bedeutung erlangen, koexistieren in ihrem Werk ohne allzu große Reibung."
Frauke Steffens besucht in Los Angeles für die "FAZ" eine Galerieausstellung der Künstlerin Claire Tabouret, die die neuen Fenster von Notre Dame in Paris bemalen wird - was auf Widerstand stößt. "In Tabourets Werken liegen Schönheit und Verzweiflung nebeneinander, gehören beide zur alltäglichen Realität. In Paris will sie auch die Skeptiker davon überzeugen, dass gerade das ein passender Weltzugriff ist, wenn eine vom Feuer zerstörte Kathedrale in neuem Glanz erstrahlen soll."
Anne Carson widmet sich in der "London Review of Books" der Handschrift - mit besonderem Fokus auf den Maler Cy Twombly: "Wie einige andere Künstler der Moderne scheint Twombly darauf bedacht gewesen zu sein, das Ich hinter sich zu lassen, sich dem Ich und seinen Spuren zu entziehen und die Leere interessanter als die Präsenz zu machen. Twombly war mit John Cage befreundet, dem Komponisten von 4'33" und anderen Kunstwerken, die das Ich entleeren. Wie Cage es ausdrückte, 'muss etwas getan werden, um uns von unseren Erinnerungen und Entscheidungen zu befreien'. Was Cage tat, war, Zufallsoperationen in sein Werk einzuführen. Was Twombly tat, war, zu einer Handschrift zu finden, in der keine Person vorkommt. Kritiker bezeichnen Twomblys Linie manchmal als 'graffitiartig'; ich glaube nicht, dass Twombly das gerne gehört hat. Graffiti sind oft hässlich und in der Regel auf einer gewissen Ebene aktivistisch. Ihr Charakter ist der des 'egoistischen Erhabenen', wie Keats über Wordsworth sagte. Ich habe die Künstlerin Tacita Dean einmal nach Twomblys Einstellung zu all dem gefragt. Sie lernte ihn sehr gut kennen, als sie einen 16-mm-Film über ihn drehte. 'Im Fall von Cy, sagte sie, 'habe ich immer geglaubt, dass es um die Begegnung geht, ein bisschen wie bei einem Medium mit einem Ouija-Brett. Wenn er in diesem Moment ist, kann er nicht unterbrochen werden (auch nicht von sich selbst), oder die Verbindung wird unterbrochen. Wenn er in diesem Moment ist, wird die Begegnung zum Bild und alles andere ist unwichtig.'"