Debatte
Die Freie Universität Berlin hat entschieden, eine Ausstellung über Pogrome an Juden nicht zu zeigen und damit für Irritation gesorgt. Wie ein Sprecher der FU mitteilte, biete das Foyer eines Universitätsgebäudes, das als öffentlicher Verkehrsraum diene, nach Auffassung der Präsidiumsmitglieder möglicherweise nicht die richtige Plattform. In einem museumspädagogischen Kontext hingegen sei die Ausstellung angemessen. Zunächst hatten der "Tagesspiegel" und weitere Medien berichtet. Aus Erfahrung bringen Ausstellungen an Hochschulen "aller Arten und zu verschiedenen Themen, die emotionale Reaktionen hervorrufen können", oft Herausforderungen mit sich, wie der FU-Sprecher sagte. Öffentliche und nicht unmittelbar betreute Ausstellungen dieser Art könnten starke Emotionen hervorrufen und vor Ort intensive Debatten auslösen, die möglicherweise unangemessen seien. Die Ausstellung "The Vicious Circle" wird vom National Holocaust Centre and Museum aus dem britischen Laxton durchgeführt. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte und den gewaltsamen Übergriffen auf fünf jüdischen Gemeinden, von der Nazizeit bis in die Gegenwart. Nach Angaben des "Tagesspiegel" wird auch das Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 thematisiert. Das Museum wollte die Wanderausstellung für eine Woche im Januar oder Februar 2025 an der FU zeigen. Die wissenschaftliche Leiterin der Ausstellung, Maiken Umbach, sagte dem "Tagesspiegel", dass sie mit dem Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichte an der FU bereits geplant habe, ein Begleitprogramm aus "akademischen und öffentlichen Veranstaltungen" zu organisieren. Die "Jüdische Allgemeine" berichtete mit Verweise auf Umbach, das FU-Institut habe der Ausstellung zunächst zugesagt. Nach Angaben des FU-Sprechers wurde die Anfrage "negativ beschieden", aber keine explizit für den Campus geplante oder bereits im Aufbau befindliche Ausstellung abgesagt. Der FU-Sprecher teilte mit, die Uni stehe einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen der Ausstellung offen gegenüber und habe gegenüber dem National Holocaust Centre and Museum angeregt, Diskussionsveranstaltungen auf dem Campus zu organisieren. Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges geriet die FU zuletzt wegen Protestaktionen von propalästinensischen Studierenden immer wieder in die Schlagzeilen. Im Oktober drangen Vermummte in ein FU-Gebäude ein und bedrohten Mitarbeiter mit Äxten, Sägen, Brecheisen und Knüppeln.
Vandalismus
Was geht in Österreich? Angriffe auf Gegenwartskunst häufen sich dort. In Bregenz wurden im Sommer Plakate von Anne Imhof abgerissen, kurz zuvor köpfte jemand im Linzer Dom eine Statue. Jetzt wurde das Kunstwerk "Pussy Riot Sex Dolls" der Pussy-Riot-Mitbegründerin Nadya Tolokonnikova, ausgestellt in der Gnadenkapelle des Linzer OK-Platzes, Ziel einer Attacke, wie der "Standard" berichtet. "Die Künstlerin interpretiert die Tat, die in der Nacht vor Mariä Empfängnis verübt wurde, als gezielten Akt fundamentalistischer Aggression. Sie kritisiert den Angriff als Bruch mit den Idealen von Aufklärung, Säkularismus und Meinungsfreiheit."
Ausstellung
Man hätte sich mal eine andere Perspektive als die von weißen Männern auf die vielleicht sogar zurecht umstrittene Otto-Mueller-Ausstellung in Münster gewünscht, aber nach Philipp Meier von der "NZZ" und Till Briegleb von der "SZ" (siehe unsere Medienschau vom 3. Dezember) muss nun für die "Welt" Hans-Joachim Müller antreten, um den angeblich moralisierenden Fokus der Schau zu kritisieren. Zu Erinnerung: In der Sonderausstellung zum 150. Geburtstag des Expressionisten zeigt das LWL-Museum für Kunst und Kultur neben vier Werken aus der eigenen Sammlung auch 60 Stücke aus privaten und öffentlichen Sammlungen und Werke von Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) und Otto Dix (1891-1969) sowie weiteren Vertretern der Künstlergruppe "Die Brücke". Dabei wirft die Kuratorin Tanja Pirsig einen kritischen Blick auf die romantisierende und stereotypierende Darstellung von Minderheiten wie den Sinti und Roma in Muellers Werk. Aber auch der deutsche Kolonialismus und die Rolle von Frauen werden in der Ausstellung thematisiert. "Welt"-Autor Hans-Joachim Müllers beginnt seinen Text mit der tourettehaften Wiederholung des Z-Wortes, als wolle er gleich mal klarstellen, auf welcher Seite er steht. Und er wundert sich dann im Rest des Artikels, dass er in der Ausstellung nicht das wiederfindet, was er eh schon weiß, sondern ganz neue Gedanken und eine offenbar verstörende Empathie für die Anliegen anderer Menschen: "Eigentlich ist man ja nach Münster ins LWL-Museum für Kunst und Kultur gereist, um einem Künstler über die Schultern zu schauen, der sich ein Leben lang hinter Büschen verborgen hielt und seinen Aktmodellen beim Badevergnügen an zivilisationsfernen Seegrundstücken zugesehen hat. Aber schon auf der ersten Seite des Katalogs, den man als gleichsam logopädische Hilfe zu benutzen hat, wird man auf den 'Umgang mit rassistischen Fremdbezeichnungen in dieser Publikation' verwiesen. Und es geht weiter so …" Am Ende fasst Müller über Mueller resigniert zusammen: "Wieder ist ein alter weißer Malermann in die Schranken gewiesen" - als wäre das etwas Schlechtes.
Ganz begeistert ist Tabesch Mehrabi im "Spiegel" von der Nan-Goldin-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin: "Goldin löst die Fotografierten nie aus ihren Milieus, sondern holt die Betrachtenden in diese Welten hinein. Das macht diese Schau so eindrücklich. Die eigenen Glücks- und Leidensmomente spiegeln sich in den fotografierten Leben der anderen." Wir haben zur Ausstellung und den Wirbel zur Eröffnung heute eine neue Folge unseres Monopol-Podcasts "Kunst und Leben" veröffentlicht.
Kunstmarkt
Silvia Anna Barrilà schaut in der "Welt" auf London als Kunstmetropole: "Seit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hat sich der Kunsthandel verändert. Besonders eine Stadt nutzte die Gelegenheit, um die europäische Kunstmetropole London anzugreifen: Paris." Die britischen Kunstverkäufe seien 2023 um acht Prozent auf 10,9 Milliarden Dollar gesunken, "liegen elf Prozentpunkte unter dem Vor-Pandemie-Niveau von 2019. In Frankreich fiel der Rückgang 2023 mit sieben Prozent geringer aus, aber auch auf niedrigerem Niveau bei einem Gesamtvolumen von 4,6 Milliarden Dollar – eine Flaute nach dem starken Wachstum von 62 Prozent in den Jahren 2021 und 2022." Grade für Künstler und noch mehr für Künstlerinnen sei die wirtschaftliche Situation angespannt: "Dies geht aus einer aktuellen Studie der Universität Glasgow hervor, für die mehr als 1200 Künstler befragt worden sind. Aus dieser Analyse geht hervor, dass das mittlere Einkommen von Künstlern in Großbritannien derzeit nur 12.500 Pfund pro Jahr beträgt: Das sind 40 Prozent weniger als 2010 und 47 Prozent weniger als der Mindestlohn eines Vollzeitarbeiters, der laut der Studie bei knapp 24.000 Pfund liegt."
Jahresrückblick
Von dynamischen Performances und bewegten Bildern bis hin zu mehreren großen Biennalen: Vier Mitglieder der "Frieze"-Redaktion diskutieren das Kunstjahr 2024. Chloe Stead etwa ließ sich durch eine Performance der Young Boy Dancing Group in der Wehrmühle in Berlin begeistern: "Ich war hin und weg. Sie waren sehr gymnastisch und akrobatisch; es gab sogar einen Slip 'N Slide. Leistung braucht Einsatz, und was mir an dieser Arbeit gefiel, war, dass man sehen konnte, dass sich die Darsteller am Ende des Stücks wirklich abmühten. Sie waren kalt, nass, müde und unglücklich - das ist es, was ich von meinen Aufführungen erwarte, das Gefühl, dass jemand für mich gelitten hat."
Film
Stella von Senger, Sebastian (gefühltes "von") Hoffmann und Cecil von Renner stellen in ihrer "Weltkunst"-Stilkolumne Weihnachtsfilme und ihr Set-Design vor: von "Kevin allein zu Haus" bis "Eyes Wide Shut". Zu "Unter Null" von 1987 heißt es: "Eiseskälte im warmen Los Angeles in den Weihnachtsferien. Desolate College-Heimkehrer wie Robert Downey Jr. an den Beverly-Hills-Pools ihrer Eltern und überall Achtizgerjahre-Dekoration: sehenswert. Es muss nicht immer gemütlich sein, und wie sollte das bei einer Bret-Easton-Ellis-Verfilmung auch gehen?" Schade, dass die "Stirb langsam"-Reihe fehlt. Die öden Büro- und Transiträume, durch die sich Bruce Willis bewegt, während andere bei ihren Familien sitzen, wären auf alle Fälle einmal eine Betrachtung wert.