Debatte
Noch vor der Eröffnung am kommenden Freitag gibt es Streit um eine Ausstellung von Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Genauer gesagt um ein Symposium, das die Schau der US-Fotografin begleiten soll. "Goldin, die Jüdin ist", erläutert Jörg Häntzschel in der "SZ" die Hintergründe, fiel zuletzt "vor allem mit ihren Äußerungen zu Israel auf" und "gehörte zu den 8000 Unterzeichnern eines nach dem 7. Oktober 2023 im Magazin Artforum erschienenen offenen Briefes, in dem Israel für seine Antwort auf den Hamas-Überfall scharf kritisiert wurde. Die Hamas und deren Opfer wurden nicht erwähnt." Genau das mache "eine Ausstellung ihres Werks in einem öffentlichen Museum in Deutschland zum Problem". Um die erwartbaren Auseinandersetzungen abzufangen, hat die Neue Nationalgalerie ein Symposium unter dem Titel "Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung" für den 23. November geplant, mit dem Klaus Biesenbach, Direktor der Nationalgalerie, Meron Mendel und Saba-Nur Cheema beauftragte. Nachdem erste Streitigkeiten um die Besetzung des Symposiums hätten geklärt werden können, habe sich jedoch die Boykott-Bewegung Strike Germany eingeschaltet. "In einem Instagram-Post verwandelte die Gruppe den Titel 'Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung' zu 'Vagheit und Vermeidung in Zeiten des Genozids'. Und behauptete, die Veranstaltung werde 'vor allem dominiert von Zionisten, die den Genozid leugnen'", schreibt Häntzschel. "Hito Steyerl wurde in dem Post als 'bekannte antideutsche Künstlerin' diffamiert. Das wäre möglicherweise ohne Konsequenzen geblieben, hätte nicht 'studionangoldin' diesen Post gelikt. Nun wiederum hat Hito Steyerl ihre Keynote abgesagt." Auch der "Tagesspiegel" berichtet über den Streit.
Im Dezember soll die neue Leitung der Documenta bekannt gegeben werden, die vom 12. Juni bis 19. September 2027 angesetzt ist. Vorab aber werden für die Weltkunstschau neue Strukturen etabliert, schreibt Stefan Trinks in der "FAZ". "Die Stadtverordnetenversammlung Kassel beschloss nun eine Änderung des Gesellschaftervertrags der Documenta gGmbH. Dazu zählt die Einrichtung eines Wissenschaftlichen Beirats. Das sechsköpfige Gremium soll der fachlichen Beratung und Unterstützung des Aufsichtsrates und der Geschäftsführung dienen.“ Doch damit nicht genug der Berater. "Überdies stimmten die Stadtverordneten für die Erweiterung des Aufsichtsrates um drei zusätzliche Mitglieder. So kommen zwei Vertreter Claudia Roths, Nicole Zeddies und Ingo Mix, sowie die vorsitzende Person des Wissenschaftlichen Beirats als nicht stimmberechtigte Mitglieder hinzu." Die Reform folgt auf die internationalen Antisemitismus-Diskussionen, die die Documenta 15 im Jahr 2022 überschatteten. "Zur Aufarbeitung der Chronik dieses antisemitischen Eklats hatte der Aufsichtsrat der Documenta gGmbH die private Managementberatung METRUM mit einer Organisationsuntersuchung beauftragt, bei der unter anderem ein unabhängiger wissenschaftlicher Beirat sowie ein Verhaltenskodex ("Code of Conduct") für die künstlerische Leitung wie für die Trägergesellschaft der Documenta, die Museum Fridericianum gGmbH, empfohlen wurde. Ein solcher wurde aber nur der Trägergesellschaft auferlegt."
Das Sterben und der Tod sind zentrale Themen im Werk des Künstlers Gregor Schneider. Für seine neueste Arbeit "Ars Moriendi" hat Schneider in München Menschen, die bald sterben werden, in 3D gescannt und interviewt. Ihre digitalen Abbilder und Stimmen sollen für mehrere Jahre im Stadtraum von München zu sehen sein, abrufbar über eine App. Im Gespräch mit dem "Tagesspiegel" erzählt Schneider, auf seinen Aufruf hätten sich "durchweg neugierige und offene Menschen, die trotz ihrer Erkrankungen oder ihres Alters ganz bewusst leben und ihr Leben selbstbestimmt führen" gemeldet. "Alle Personen befürworten das Vorhaben als sinnstiftend und haben sich bereits intensiv mit dem Sterben und Tod auseinandergesetzt. Natürlich suchen wir auch Teilnehmende, die nichts von dem Aufruf erfahren haben oder nicht so aktiv sind. Menschen, die Krankheit und Alter in Einsamkeit erleben, zum Beispiel Obdachlose und Randgruppen. Mein Angebot ist nicht nur für das typische Theaterpublikum gedacht." Auf die Frage, was er mit dem Projekte erreichen wolle, sagt Schneider. "Der Tod bleibt für uns eine unverfügbare Erfahrung. Und doch zeigt uns das Sterben, was es heißt, ein Mensch zu sein. Denn dieses Schicksal teilen wir mit allen Menschen. Die App kann dabei helfen, Sterben als Teil des Lebens zu begreifen und in unserem Alltag präsent zu machen." Ein Monopol-Interview mit dem Künstler zu der Arbeit lesen Sie hier.
Marcus Woeller porträtiert in der "Welt" den Berliner Galeristen Robert Grunenberg, der kürzlich neue Räume auf der Kantstraße eröffnet hat. "Robert Grunenberg, der gerade 39 Jahre alt geworden ist, geht offen mit in seiner Branche meist bewusst nicht gestellten Fragen um. Etwa der, wie sich Junggaleristen eigentlich finanzieren. Ohne ein gutes Polster ist jene Etablierung am Markt, die nicht nur den Künstlern ein Auskommen ermöglicht, eine Herausforderung. Er habe ein privates Darlehen aufgenommen, um sein Unternehmen zu gründen: 300.000 Euro. War der Glaube an den Erfolg größer als die Furcht vor dem Risiko?" Der Galerist zahle den Kredit heute noch ab.
Performance
Einen Christoph Schlingensief bräuchte es heute, meint Beate Scheder in der "taz": "Schlingensief und seine Mitstreiter*innen hielten dem Parteiensystem der Bundesrepublik einen Spiegel vor, enttarnten Worthülsen und politische Mechanismen. Nicht zuletzt nahm Schlingensief – vor allem was Fragen der Inklusion angeht – vieles vorweg, was in der Breite erst Jahrzehnte später diskutiert wurde. Indem er versuchte, Minderheiten Gehör zu verschaffen, Arbeitslose und Menschen mit Behinderung aufforderte, sich selbstbewusst zu zeigen." Schlingensiefs Antwort auf die Frage, wie er darauf gekommen sei, eine Partei zu gründen, klinge heute noch einleuchtender als damals im Jahr 2000: "Die etablierten Parteien seien für ihn nur noch Spaßparteien. Sie seien zynisch und nähmen nichts mehr ernst. Stattdessen wollte er 'dem kalten Kampf menschliche Wärme entgegensetzen' und 'mit Fantasie Bewegung ins politische Spiel zu bringen'. Gebrauchen könnten wir all das auch heute. Nur einer wie Christoph Schlingensief, der fehlt uns seit nunmehr 14 Jahren." Auch Schlingensiefs Dramaturg Carl Hegemann vermisst dessen mutige Kunst, wie er vor einer Woche in der "Berliner Zeitung" schrieb.