Debatte
Wie unter anderem "Der Standard" aus Wien meldet, wurde ein Plakat des japanischen Künstlers Yoshinori Niwa in der Grazer Innenstadt von der Polizei verhüllt. Das Werk war im Vorfeld des Kunstfestivals Steirischer Herbst aufgestellt worden und gehört zur Performance "Cleaning a Poster During the Election Period Until It Is No Longer Legible". Während in Österreich der Wahlkampf läuft – die rechtspopulistische FPÖ könnte laut Umfragen stärkste Kraft im Nationalrat werden – wirkt das Plakat wie die Botschaft einer Partei. Der Slogan "Jedem das Unsere" erinnert an den Nazi-Spruch "Jedem das Seine", der mit der NS-Zeit in Verbindung steht. Und in der linken oberen Ecke prangt das Logo der fiktiven EPÖ ("Ehrlichste Partei Österreichs"). Der Spitzenkandidat trägt den Namen Dr. Paul Steinapfel, das Plakat ist überwiegend in der FPÖ-Farbe Blau gehalten. Es wurde von Polizeibeamten abgedeckt und mit Absperrbändern versehen, weil, so die Grazer Polizei, der Verdacht einer strafbaren Handlung nach dem Verbotsgesetz vorliege, das nationalsozialistische Parolen unter Strafe stellt. Unterdessen forderte die steirische FPÖ den Landeshauptmann Christopher Drexler von der ÖVP auf, Stellung zu beziehen, und mahnte einen Förderstopp für das Kulturfestival an. Unter Drexlers Ägide sei der Steirische Herbst in den vergangenen Jahren mit Millionen Euro überhäuft worden, so der Vorwurf der FPÖ. Wie der ORF am Donnerstagnachmittag meldete, ist das Plakat inzwischen wieder enthüllt. Die Bewertung, ob das Kunstwerk rechtskonform ist, laufe davon ungeachtet weiter.
Ohne Wut gäbe es keine moderne Kunst, konstatiert Hanno Rauterberg in der "Zeit". Doch nun sieht der Autor die produktive Rage in Gefahr, denn gegenwärtig sei "der Furor in die Politik abgebogen". "Oft schon wurde beschrieben, wie die Kreativität der Künstler zum neuen Ideal aufstieg", schreibt Rauterberg. "Zugleich aber – und das wird meist übersehen – ist auch ihre Wut in die Gesellschaft ausgewandert. Und mit ihr ein allgemeiner Stolz darauf, sich widersinnig aufzuführen und immer schön dagegen zu sein: Ich wüte, also bin ich. Wie der moderne Künstler seine eruptiven Gefühle zu pflegen verstand, weil sie ihn einzigartig machten und unabhängig, so halten es nun weite Teile der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, vor allem die Populisten der Patzigkeit, links wie rechts. Schuld sind immer die anderen, und nichts könnte bedrohlicher sein als Zufriedenheit. Auch dieses Mantra, das sich heute nach AfD-Milieu anhört, war den Avantgarden lieb und teuer. Politisch verfolgten sie andere Ziele, gegen Bonzen, Spießer, den rechten Mob, doch ihre Affektstrategien – die selbstgerechte Wut, das Hochfahrende und stets Empörungsbereite – erinnern stark an die Anti-Establishment-Parteien von heute."
Documenta
Catherine David, die als erste Frau 1997 die Documenta leitete, wurde am Donnerstag 70. In der "FAZ" schreibt Stefan Trinks eine Eloge auf die französische Kunsthistorikerin und Kuratorin. "Davids Hang zur Sinnlichkeit und Poesie von Kunst", der sich laut Trinks auf der Documenta X zeigte, sei "fest grundiert – sie studierte in ihrer Heimatstadt eben nicht nur Kunstgeschichte, sondern auch Sprachwissenschaft sowie spanische und portugiesische Literatur". Der "FAZ"-Redakteur zeichnet ihren Werdegang – 1981 bis 1990 Kuratorin am Centre Pompidou, danach Ausstellungsmacherin des ebenso in Paris ansässigen Jeu de Paume - und: "Sie leitete von Paris den Boom der arabischen Kunstwelt ein", so Trinks, der Davids Documenta mit der jüngsten, von Ruangrupa verantworteten Großschau vergleicht. Die Documenta X leuchte "nach dem Fiasko der vorigen heute wie ein Diamant in der Nacht – und dies, obwohl die zehnte Ausgabe der Weltkunstschau in Kassel um keinen Deut weniger politisch war".
Kunstmarkt
Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk kommt nicht um den Hype um den dreijährigen Maler Laurent Schwarz aus Bayern herum - wobei die Nachrichtenwürdigkeit vor allem daraus besteht, dass alle Medien nacheinander darüber berichtet haben, wie gehyped die Kunst des kreativen Kleinkinds auf Instagram ist. Unseren Artikel zum Thema finden Sie hier. Nun ist auch das "Heute Journal" im ZDF dem Phänomen auf der Spur und stellt den "Mini-Picasso in Windeln" (der Titel darf niemals fehlen) bei einer großen Vernissage in seiner Heimat vor. Dass man zur Beurteilung des Markt-Booms (der zurzeit allerdings vor allem auf Aussagen der Mutter basiert) ausgerechnet den Ökonomen Magnus Resch zu Rate zieht, kann man jedoch etwas kurios finden. Schließlich hat auch der ehemalige Galerist Erfahrung damit, in der notorisch aufgeregten Kunstwelt Hypes zu erzeugen und von der Aufmerksamkeitsökonomie zu leben.
Ausstellung
In den wiedereröffneten Rieckhallen am Hamburger Bahnhof in Berlin ist eine große Werkschau von Mark Bradford zu sehen. Was der US-Künstler entwickelt habe, schreibt Georg Imdahl in der "FAZ", "lässt sich als eine Art autobiographische Abstraktion beschreiben, eine solche, die mit den eigenen wie auch kollektiven Erinnerungen und Traumata des amerikanischen Rassismus aufgeladen ist". Bei der Pressekonferenz berichtete Bradford, man habe ihm schon am CalArts, der berühmten Kunsthochschule in Kalifornien, dazu geraten, seine Identität als Schwarzer und seine Homosexualität "groß zum Thema" (Bradford) zu machen. Imdahl lässt in seiner Ausstellungsrezension durchblicken, dass der 62-Jährige das bis heute nur sehr indirekt tut: "Ähnlich wie etwa Isaac Julien schreckt Bradford vor Pathos nicht zurück. Als Inspiration nennt er die Theatralik eines Tintoretto, die etwa dann durchschlägt, wenn er den eigenen Körper, noch einmal vergrößert, als weiße Skulptur in melodramatischer 'Death Drop'-Pose auf den Boden legt. Die ikonische Tanzeinlage stammt aus der Ballroom-Szene, einer schwarzen, queeren Subkultur der Sechzigerjahre, ist ein Renner auf Youtube und ihrem bisweiligen Slapstick auch selbstironisch lesbar", so der "FAZ"-Autor.
Seit August 2021 leitet Jörg van den Berg das Leverkusener Museum Morsbroich und hat es aus dem "Dornröschenschlaf" geweckt, findet Lars Fleischmann in der "taz". Die neue Ausstellung "Gegen den Himmel" zeigt Werke des belgischen Künstlers Jef Verheyen (1932-1984) zusammen mit Arbeiten der Kölnerin Johanna von Monkiewitsch (Jahrgang 1979), die mit Video, Installation und Fotografie arbeitet. Letztere "fotografiert und filmt Lichtstimmungen, hält sie in Pigmentdrucken fest oder projiziert sie auf Marmor und Moltonbahnen. Damit teilt sie die DNA mit den Impressionisten: In den Fotografien 'Morsbroich' oder 'Tel Aviv', die lichtdurchflutete Wände in den titelgebenden Städten zeigen, erkennt man einen konzeptuellen Ansatz, der auch einen Claude Monet zwischen 1892 und 1894 die Fassade der Kathedrale von Rouen zigfach malen ließ", schreibt Fleischmann, und über den historischen Maler: "Die Bilder von Verheyen, die vor einem halben Jahrhundert entstanden sind, werfen auch die Frage auf, ob es möglich ist, ein Temperament oder eine Stimmung einzufangen, oder um kurz einen oft missbrauchten Begriff zu rehabilitieren: Verheyen versuchte, Atmosphären so gut wie möglich mit den Mitteln der Malerei wiederzugeben."
Film
Heute startet Ellen Kuras' Biopic über Lee Miller in den Kinos – und natürlich ist Kate Winslet als "Die Fotografin" auch in Hitlers Badewanne zu sehen, nach dem berühmten Original-Foto aus dem Jahr 1945. "Allein diese Episode ist eine großartige Geschichte", schreibt Susan Vahabzadeh in der "Süddeutschen Zeitung", und "'Die Fotografin' ist ein interessanter, sehr konventionell erzählter, aber bewegender Film. Es ist halt nur nicht unbedingt das, was man von einem Lee- Miller-Porträt erwarten würde – die Badass-Qualitäten, die sie zu einer der ersten Kriegsreporterinnen machen, speisen sich aus dem, was in ihrem Leben davor passierte. Und hier gibt es kein Davor". Daniel Kothenschulte in der "Frankfurter Rundschau" stört sich daran, dass der Film kaum an Millers fotografischem Ansatz interessiert sei: "Nur wenige Bilder sind tatsächlich zu sehen. Ihre Außenseiterrolle als Kriegsberichterstatterin nimmt breiten Raum ein, kaum aber das Besondere ihres Kamerablicks", schreibt Kothenschulte, der allerdings Kate Winslets darstellerische Leistung hervorhebt. Die britische Schauspielerin (und Produzentin des Films) scheint auch Andreas Busche vom "Tagesspiegel" überzeugt zu haben, der von ihrem achtjährigen Kampf um die Verfilmung berichtet und schreibt: "In ihren besten Momenten stürmt Winslet durch den Film; etwa als sie realisiert, dass die 'Vogue' ihre Bilder aus Dachau nicht zu veröffentlichen beabsichtigt, weil die Welt - so die Herausgeber - lieber mit der Vergangenheit abschließen will". Monopol-Redakteur Jens Hinrichsen hat "Die Fotografin" hier besprochen.
Die besondere Biografie
Armin Furrer entreißt in einem "Open Source"-Beitrag in der "Berliner Zeitung" den falschen Baron, Künstler und Dandy Sebastian von Droste dem Vergessen, der eigentlich Willy Knobloch hieß und 1927 im Alter von nur 27 Jahren in Hamburg starb. Im Juni vor 100 Jahren lud von Droste Journalisten zu einer Pressekonferenz im New Yorker Hotel Waldorf Astoria, um eine neu gegründete "International Association Against the Tyranny of Parents" (IAAP) vorzustellen. Furrer erklärt die kuriose Gesellschaft gegen elterliche Tyrannei damit, dass Droste unter seiner "Herkunft aus einem reichen bürgerlichen (jüdischen) Elternhaus" litt; bald sei von der IAAP ohnehin nicht mehr die Rede gewesen, weil der Deutsche in den USA an seine frühere Karriere als Tänzer anzuknüpfen versucht und auch beim Film reüssieren will – beides vergeblich. Dann findet er in der "Liebeskolonie Clarkstown County Club (…) ein neues Betätigungsfeld – als Choreograf durchaus ungewöhnlicher Sexsessions nach dem Vorbild Berlins". Nebenbei arbeitet Sebastian Droste als Korrespondent für die "B.Z. am Mittag" in Berlin. Furrer: "Das Interesse in Deutschland an allem, was mit der populären Jazz-Kultur in den USA zu tun hat, ist ebenso groß, wie das der New Yorker an der 'Hure Babylon'. Und Droste kennt beide aus eigenem Erleben und Mitwirken – so wird er zu einem Mittler zwischen Berlin und New York." Auf der anderen Seite des Atlantiks hatte er eine kurze Karriere als Nackttänzer gemacht, der im Winter 1922/23 in Wien sogar mit der skandalumwitterten Anita Berber aufrat (in dem Programm "Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase"), ihre Juwelen stahl und von dem Erlös seine IAAP-Organisation aufbaute. Berber, die wie er an der Nadel hing, starb im November 1928, Droste schon ein Jahr vor ihr an Tuberkolose, die mit seiner Kokainsucht zusammenhing. Am 24. September erscheint Armin Furrers Buch "Sextropolis. Anita Berber und das wilde Berlin der Zwanzigerjahre" im BeBra-Verlag.