Medienschau

"Es geht um gemalte Zeitgenossenschaft"

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Schau über Geflüchtete schon vor Eröffnung wieder abgebaut, Albert Oehlen zum 70. und Nachruf auf den Kunstsammler Christoph Müller: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Debatte

Im sächsischen Pirna wurde eine Ausstellung über Geflüchtete schon vor Eröffnung wieder abgebaut. Sie sollte eigentlich im Foyer des Landratsamtes zu sehen sein. In der Schau "Es ist nicht leise in meinem Kopf", die bereits in anderen Städten zu sehen war, berichten Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, von ihren Erfahrungen. Doreen Reinhard schreibt in der "Zeit": "Die Schau habe 'bereits in den ersten Stunden nach ihrem Aufhängen' bei Besuchern und Mitarbeitern des Amts 'polarisiert' und 'für eine aufgeheizte Stimmung unter den anwesenden Betrachtern' gesorgt, teilte die Pressestelle des Landratsamts mit." Offenbar hatte sich das Vorab-Publikum an Äußerungen von Geflüchteten gestört, die sich in Deutschland "eingesperrt" fühlten und der Polizei Rassismus vorwarfen. "Die Ausstellungsmacher nannten den Vorfall in einer Mitteilung 'ungeheuerlich'. 'Davor, dass Bilder oder die Ausstellung von Rassisten oder Rechten beschädigt oder attackiert werden, ist man nicht sicher', heißt es darin. 'Außer selten verbal geäußertem Missfallen blieb bisher zum Glück alles unversehrt.' Über das Verhalten in Pirna sei man 'schockiert'. Dass ein Amt eines demokratischen Staates die Bilder einer derartigen Ausstellung aufgrund von 'Beschwerden' wieder abnehme, habe eine völlig neue Dimension." 

Museum

Dem Phänomen der "Artfluence", also dem Einfluss des Publikums auf eine Ausstellung, hat die Heidi Horten Collection in Wien freien Lauf gelassen. Dort durften nämlich nun Besucherinnen und Besucher darüber entscheiden, welche Werke dauerhaft in dem Privatmuseum im ersten Bezirk zu sehen sein sollen, wie Olga Kronsteiner im "Standard" schreibt. "Und siehe da: Andy Warhols Mickey Mouse landete nur auf Platz elf, Jean-Michel Basquiats Mr. Greedy auf Rang 22. Keith Harings aus Stahl geschnittenes Selbstporträt, einer der Selfie-Spots auf dem Vorplatz des Museums, blieb mit nur 207 Stimmen weit abgeschlagen (Rang 47). Erwartet hatte man das so nicht, wie man bei der Präsentation jüngst eingestanden hat. Der angesichts solcher Big Stars unerwartete Sieger: Paul Klees Geschwister, zwei in inniger Umarmung verschmolzene Figuren, 1930 in Aquarell und Öl auf Leinwand verewigt. Kein Bild, das visuell um Aufmerksamkeit kreischt, aber als Sinnbild der Geschwisterliebe emotional berührt."

Malerei

So laut wie die Gitarre einer Trash-Metal-Band und so schnell wie ein tiefergelegter Opel Manta: So beschreibt Georg Diez in der "Zeit" die Malerei von Albert Oehlen, der am Dienstag 70 geworden ist. "Oehlens Bilder sind, bei aller Lautheit und Schnelligkeit, bei all dem Performativen und der Energie, die in ihnen steckt, eher gemaltes Nachdenken über die Zeit, in der man lebt, getragen am Anfang von der Spannung zwischen Geschichte und Humor. Wobei der Witz sich durch- und fortsetzte, während die Geschichte, das Braune, Hitler langsam verschwanden. Es geht um gemalte Zeitgenossenschaft und darum, wie, ganz kunstimmanent gesprochen, die Mittel und Werkzeuge einer alten, anderen Zeit, die Malerei, die älteste Kunstform, auf diese irrwitzige, kakofonische, manische Gegenwart prallen, wie sie passen." Die Geburtstags-Würdigung für Albert Oehlen bei Monopol lesen Sie hier.

Film

Allgemeine Begeisterung herrscht weiterhin über den Film "Die Fotografin", in dem eine derzeit durch alle Medien gereichte Kate Winslet als Kriegsreporterin Lee Miller brilliert (lesen Sie unsere Rezension zum Film hier). Wolfgang Höbel reflektiert im "Spiegel", wie die Schauspielerin die Promo-Tour zum Biopic auch für Botschaften der Body Positivity nutzte: "Der Film 'Die Fotografin' handelt vom Mut zum genauen Blick auf das Wesentliche im menschlichen Leben. Insofern ist es schon in Ordnung, dass die Schauspielerin Kate Winslet in der Rolle der US-amerikanischen Lebenskünstlerin und Bildreporterin Lee Miller (1907 bis 1977) wiederholt ihre bloßen Brüste und ihre nackte Haut zeigt. Sie tritt dabei betont uneitel auf. Winslets fröhlicher Stolz auf den eigenen Körper hat dem Film einige Aufmerksamkeit durch Vorabberichte und Interviews beschert, die sich oft um zeitgenössische Ideen von Schönheitsidealen drehen. In Wahrheit beschäftigt sich der Film allerdings weniger mit Aspekten des Körperbewusstseins als mit sehr viel dunkleren, eher zeitlosen Fragen – zum Beispiel mit der, wie viele Dokumente von Mordlust und Grausamkeit und welche Bilder von Holocaustopfern dem großen Medienpublikum nun eigentlich zuzumuten seien."


Nachruf

Ingeborg Ruthe würdigt in der "Berliner Zeitung" den mit 86 Jahren verstorbenen Verleger, Kunstsammler und Mäzen Christoph Müller. Sie erinnert an eine Schenkung seiner niederländischen Malerei an das Kunstmuseum in Schwerin. "Am glücklichsten aber war damals Christoph Müller selber. Er stand zur Übergabe mit strahlenden Augen vor den 155 Gemälden und sagte uns, dem ob solcher Großmut staunenden Publikum, es genüge nicht, dass nur einer sich an diesen Schätzen erfreuen könne, der es sich privat leisten kann. Die Kunst müsse ihre Schönheit, ihre Weisheit, ihre Botschaften für viele, viele Leute entfalten. Erst dann erfülle sie ihren Sinn. Es war die größte Altmeisterschenkung der deutschen Nachkriegszeit."

Das besondere Kunstwerk

In der "Welt" erinnert Gesine Borcherdt an Robert Smithsons großes bis größenwahnsinniges Land-Art-Werk "Spiral Jetty", das sie in Utah besucht hat. Die riesige Spirale aus Gesteinsbrocken, die der Künstler 1970 am Nordufer des Großen Salzsees nahe Salt Lake City arrangierte, sei "eines der größten und visuell einprägsamsten Kunstwerke seiner Zeit". Im Angesicht dieses Kolosses konstatiert Borcherdt, dass ein Foto die Anziehungskraft des Werkes kaum fassen kann. "Es steht für die Einsicht jener Zeit, dass Kunst nicht Wänden, Gebäuden und Gärten vorbehalten sein muss, sondern auch aus weitläufigen, unumkehrbaren Eingriffen in die Landschaft bestehen kann – am besten irgendwo im Nirgendwo. Um 'Spiral Jetty' mit eigenen Augen zu sehen, muss man auf Pilgerreise gehen."