Medienschau

"Wurm tanzte, als ob es kein Morgen gäbe"

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Lucio Fontana im Dienst der faschistischen Propaganda, Navid Kermani über seine neu entflammte Liebe zum Museum und Erwin Wurms Geburtstagsfeier auf Hydra: Das ist unsere Presseschau am Freitag

Debatte

Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag in München fordert die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums, das Gefährdungspotenzial für Gedenkstätten und Erinnerungsorte in den Blick zu nehmen: "Das ganze Areal braucht ein gemeinsames Sicherheitskonzept", sagte Mirjam Zadoff der "Süddeutschen Zeitung". Und es sei eine bessere Prävention nötig: "Wir müssten uns überlegen, wie wir darauf reagieren. Was tun wir dagegen? In den Schulen, in den sozialen Medien, auf Tiktok? Inwiefern können Bildungseinrichtungen wie die unsere ihre Expertise zur Verfügung stellen?" Am 5. September hatte ein 18-jähriger Österreicher auf das israelische Generalkonsulat und das NS-Dokumentationszentrum geschossen, bevor er von der Polizei getötet wurde. Die Ermittler gehen Hinweisen auf ein islamistisches oder antisemitisches Motiv nach. Zadoff geht von einem gezielten Angriff auf ihr Haus aus: "Ich fürchte, er wusste ganz gut, worauf er schoss." Die Historikerin sagte weiter, Islamismus und Rechtsextremismus seien kein Widerspruch, "sie beziehen ihren Antisemitismus aus den gleichen Quellen". Extremismusforscher fürchteten schon lange, dass beide Gruppen über den Extremismus zusammenfinden, "dass Rechtsextreme zwar antimuslimisch bleiben, aber es verbindende Elemente gibt: Antisemitismus, Queerfeindlichkeit und Misogynie zum Beispiel. Und dass sie eine offene, liberale Gesellschaft als Feindbild teilen".

Der Theaterregisseur Frank Castorf sieht die Wahlergebnisse in Ostdeutschland als eine Reaktion auf Herabwürdigungen aus anderen Teilen des Landes. "Na ja, man hat sich im Westen endlos lustig gemacht über die Sachsen und ihren Dialekt", sagte der 1951 in Berlin (Ost) geborene Castorf dem "Tagesspiegel" auf die Frage, warum Menschen im Osten anders wählen als im Westen. "Ich habe ja auch darüber gelacht. Und wenn du das immer hörst, ihr seid die Idioten, ihr seid lachhaft, dann kommt die Reaktion instinktiv. Wie ein Hund, der beißt." Wenn man sich wehre, überlege man eben, wie man sein Gegenüber am härtesten treffen könne, führte Castorf aus. "Deshalb habe ich auch einmal von der Rache des Ostens gesprochen, wenn dort AfD gewählt wird". Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen war die AfD am 1. September auf jeweils mehr als 30 Prozent gekommen. Seine vorangegangene These über AfD-Wähler im Osten hatte der frühere Intendant der Volksbühne Berlin (1992 bis 2017) der "Berliner Zeitung" im August mitgeteilt. Als weiteres Problem sieht Castorf "die Ungleichmäßigkeit der Besetzung der Chefposten im Osten, in der Politik, im Theater, in den Museen, überall", wie er nun erklärte. Am Samstag ist in Berlin die Premiere seines Stücks "Kleiner Mann, was nun?", nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada im Berliner Ensemble.

Museen

In der "Zeit" schreibt der Schriftsteller Navid Kermani über seine neu entflammte Liebe zum Museum: "Speziell Museen sind für die Zerstreuung wie gemacht. Im Theater, im Konzert, beim Lesen oder in einer Ausstellung ist man auf ein bestimmtes Werk oder eine Gruppe von Werken fokussiert, das ist ein anderer Vorgang. Im Museum hingegen – vielleicht ähnlich wie in einer Bibliothek – weiß man, was einen erwartet. Und weiß es wegen der schieren Menge an Objekten auch wieder nicht, so dass man jedes Mal etwas Unerwartetes entdeckt."

Kulturpolitik

Jörg Häntzschel berichtet in der "SZ" vom Widerstand gegen die Kürzungen im Bundeskulturetat. "Als die Kürzungen bei einzelnen Posten des Kulturhaushalts Mitte Juli bekannt wurden, war – wohl auch wegen der Sommerferien – kaum mehr zu hören als ein Grummeln. Doch inzwischen vergeht kaum ein Tag ohne Protestnoten und Aktionen." Tatsächlich seien die freien Künstler die großen Verlierer im Etatentwurf; ebenso wie die sogenannten Produktionshäuser, Institutionen wie Kampnagel in Hamburg, das Berliner HAU, das Tanzhaus NRW und der Essener Pact Zollverein. "Genau hier liegt das Ärgernis der Kürzungen: (Kulturstaatsministerin) Roth macht die Großen größer und die Kleinen kleiner. Und sie greift bei den Schwächsten zu, weil es dort am einfachsten ist: bei den Freien, die keine Verträge auf Lebenszeit, keine Tarifabsicherung, keine politische Lobby haben."

Skulptur

Wie hat Erwin Wurm seinen 70. Geburtstag gefeiert? "Privat mit einer Geburtstagsparty mit Freunden und Familie, die auf der griechischen Insel Hydra stattfand. Kruder & Dorfmeister, DJ Wolfram Amadeus, die Bouziki Player spielten auf und Wurm tanzte, als ob es kein Morgen gäbe." Das plaudert Olga Kronsteiner im "Standard" aus, verweist aber auch auf die vielen ganz offiziellen Feierlichkeiten. So tauchten in der Wiener Innenstadt seit ein paar Wochen immer neue Skulpturen des Künstlers auf; vor der Horten Collection etwa oder im Foyer des Boutiquehotels Almanac. In der Albertina ausgestellt werden derweil 170 "Skulpturen, Zeichnungen und Handlungsanweisungen, Videos und Fotografien das Paradoxe und Absurde unserer Welt beleuchtet werden wollen", so Kronsteiner. "Zu sehen sind Hauptwerke aus allen künstlerischen Schaffensphasen, von frühen Holz- und Staubskulpturen über einen Parcours mit Selbstportrait als Gurken (2008) bis 'Abstract Sculptures' aus Würsteln (2013), mit denen Wurm die österreichische Seele persifliert und Banales wie Alltägliches bis heute zum Kunstwerk erhebt."

Kunstgeschichte

Von einem "schwarzen Loch" in der Biografie von Lucio Fontana berichtet Jan Hendrik Geschke in der "Zeit": "Noch immer ist nur ausgemachten Experten geläufig, dass der spätere Held einer abstrakten Moderne über viele Jahre einer anderen Art von Radikalität verbunden war: Er stellte seine Kunst in den Dienst des Diktators Benito Mussolini und seines Regimes. Erst am 6. März 1940 verließ er Italien an Bord der SS Oceania – und seine Reise, für die ihm die Staatsreederei eine Luxuskabine überließ, obwohl er nur dritte Klasse gebucht hatte, war keine Flucht. Während verfolgte Maler und Schriftsteller aus Deutschland und Frankreich verzweifelt versuchten, in Marseille oder Lissabon auf irgendein Schiff gen Westen zu gelangen, kreuzte Fontana fürstlich nach Argentinien, wo sein Vater als Grabmalkünstler wirkte, und beteiligte sich dort an einem Wettbewerb zur Ehrung der Nationalflagge."

Ausstellungen

Sophie Jung besucht für die "taz" die Rirkrit-Tiravanija-Ausstellung im Berliner Gropius Bau und kommt zu dem Schluss, dass "diese große Schau irgendwie schwermütig macht". Den Grund dafür findet die "taz"-Autorin im zeitgeschichtlichen Kontext. Tiravanija partizipative Aktionskunst aus den frühen 1990er-Jahren "spiegelte auch eine Zeit des gesellschaftlichen Zusammenkommens. Der Eiserne Vorhang war gefallen, in Europa war die Reisefreiheit eingeführt worden und Deutschland begriff sich endlich als Einwanderungsland. In der Politik hatten sich Grenzen gelöst, und ebenso war es in der Kunst." 20 Jahre später habe sich die politische Situation grundsätzlich verändert. "Während Tiravanijas Retrospektive als Teil der Berlin Art Week eröffnet und der thailändische Künstler im Gropius Bau den türkischen Mokka in seiner Installation 'Café Deutschland' von 1993 wieder aufsetzen lässt, werden nur ein paar Meter weiter im Bundestag in einer nach rechts gerückten Asyldebatte erneut Grenzen gesetzt, die man doch schon als überwunden glaubte."

Ob bei Paul McCarthy, bei den Chapman-Brüdern, bei Hans Bellmer, Wael Shawky oder William Kentridge: Spielzeugfiguren in der Kunst verheißen selten etwas Gutes, ganz im Gegenteil. "Im mindesten Fall ist Spielzeug in der Kunst ein Ausdruck des Unheimlichen, aber meist wird es schlimmer", schreibt Till Briegleb in der "SZ" – und ist vor diesem Hintergrund wenig angetan von Mark Dions Ausstellung "Delirious Toys" ("Spielzeuge im Fieberwahn") in der Bundeskunsthalle. Dort würden "Fans von bösen Clowns, Gremlins oder fiesen Lustdämonen schwer enttäuscht. Denn der amerikanische Künstler Mark Dion, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus seiner Sammelleidenschaft eine Kunstform entwickelt hat, verfremdet nichts. In seiner Schau zur Kinderzimmerbesatzung mit weit über 600 Objekten aus drei Jahrhunderten stellt Dion ein Spielzeugmuseum nach, inklusive didaktischer Lehrtexte. Und da ist der Horror höchstens soziologisch-historisch lebendig."

Fotografie

Zur Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises gibt die Fotografin Candida Höfer Einblick in ihre Arbeitsweise. Im Interview des "Tagesspiegel" beschreibt sie den Prozess so: "Literatur-Recherche; Gespräche mit denjenigen, die den Raum kennen; Schnappschüsse, die ich erbitte; Jugendträume, die wahr werden; aber auch Zufall und Gelegenheit. Das Entscheidende ist immer im Raum stehen und schauen." Höfer ist vor allem für ihre Fotografien von öffentlichen Innenräumen bekannt. Die 80-Jährige ist die diesjährige Trägerin des Käthe-Kollwitz-Preises der Berliner Akademie der Künste, der heute vergeben wird. Die Auszeichnung wird von einer Ausstellung begleitet. Auf die Frage, wie sie sich Räumen in ihrer Fotografie annähere, sagte sie: "Es sind für mich sehr persönliche Begegnungen: Es ist wie vor und während einer Porträtsitzung." Höfer, die aus Eberswalde in Brandenburg stammt, studierte ab 1973 an der Kunstakademie Düsseldorf. Dort gehörte sie zur ersten Künstlergeneration der Klasse von Bernd und Hilla Becher, die heute als internationale fotografische Avantgarde der Nachkriegsmoderne gilt. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Köln.